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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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UM fern vom Heimatlande den Verlornen Muth wiederzugewinnen, "um seine
durch viele Arbeit und unsäglichen Verdruß zerrüttete Gesundheit wiederherzu¬
stellen". Auch unsere Darstellung würde hier zu Ende sein, wenn nicht noch
von mancherlei Kränkungen zu berichten wäre, welche List von Mitgliedern des
Komites zu erdulden gehabt, und welche er nur aus Rücksicht auf den großen
Zweck mit Nachsicht ertrug, unter anderen Umständen aber wohl energisch
zurückgewiesen hätte.

Wer sich in öffentlichen Dingen wiederholt so frei ausgesprochen, wie List
es vor seiner Agitation für die Eisenbahnen in zwei verschiedenen Stellungen,
als Abgeordneter und als Stifter und Konsulent des deutschen Handelsvereins,
gethan hatte, wer überdies den Interessen einzelner Gruppen im Interesse der
Gesammtheit so entschieden entgegengetreten war wie er, der konnte sich drauf
verlassen, daß mau ihn im großen Stil herabsetzen und verleumden würde. In
List's Falle hatten die Gegner um so leichteres Spiel, als er längere Zeit
vom Vaterlande abwesend war, und erst während seiner Abwesenheit der
Einfluß des deutschen Handelsvereins gespürt wurde. Was war natürlicher,
als daß bei seinem Auftreten in Leipzig die öffentliche Meinung fast in der¬
selben Gestalt wieder auflebte, wie sie 14 Jahre früher die Gegner zu bilden
gewußt hatten. Die Animosität der Häupter des Leipziger Handels gegen List
loderte sofort wieder auf, und gern wäre man mit der Eisenbahn ohne ihn
sertig geworden, wenn man nur die Fähigkeit dazu besessen hätte. Vieles, was
List in der Zeit seiner Vorarbeiten zu ertragen hatte, muß direkt auf jene Ursache
zurückgeführt werden, wenn es überhaupt erklärlich werden soll. Man wagte
der Regierung gegenüber gar nicht, seinen Namen zu nennen. Als man eine
Adresse an die Stände und die Regierung einreichte, wurde sein Name darin
nicht erwähnt, obgleich in dem ersten Prospekte von Seyfferth und Dufour da¬
rauf Bezug genommen war. Nur ganz im allgemeinen war in der Adresse
gesagt, der Plan sei in Schriften zur Sprache gekommen, "die viel Wahres ent¬
halten", was ja auch der Vermuthung Raum gab, daß manches Unwahre darin
enthalten sei. Als die in unserm ersten Aufsatz erwähnte Deputation (Seyfferth,
Dufour, Harkort und Lampe) nach Dresden ging, und List, dazu nicht eingela¬
den, auf eigene Hand hinreiste, traf er mit der Deputation beim Minister
v. Carlowitz zusammen. Während der Unterredung that Harkort die Aeußerung,
daß in Leipzig niemand sei, der die Sache verstehe, worauf ihnen der Minister,
freimüthig genug -- List als Sachverständigen empfahl. In den Handelskreisen
verbreitete man überhaupt das Märchen, List's Schrift enthalte viele Unrichtig¬
keiten; wenn aber List fragte, welche das seien, wußte man selbstverständlich
keine anzugeben, da allen die Sache fremd war. Man suchte ihn zu diskredi-
tiren, indem man den Nationalökonomen des Verkehrs mit allerhand Projekten-


UM fern vom Heimatlande den Verlornen Muth wiederzugewinnen, „um seine
durch viele Arbeit und unsäglichen Verdruß zerrüttete Gesundheit wiederherzu¬
stellen". Auch unsere Darstellung würde hier zu Ende sein, wenn nicht noch
von mancherlei Kränkungen zu berichten wäre, welche List von Mitgliedern des
Komites zu erdulden gehabt, und welche er nur aus Rücksicht auf den großen
Zweck mit Nachsicht ertrug, unter anderen Umständen aber wohl energisch
zurückgewiesen hätte.

Wer sich in öffentlichen Dingen wiederholt so frei ausgesprochen, wie List
es vor seiner Agitation für die Eisenbahnen in zwei verschiedenen Stellungen,
als Abgeordneter und als Stifter und Konsulent des deutschen Handelsvereins,
gethan hatte, wer überdies den Interessen einzelner Gruppen im Interesse der
Gesammtheit so entschieden entgegengetreten war wie er, der konnte sich drauf
verlassen, daß mau ihn im großen Stil herabsetzen und verleumden würde. In
List's Falle hatten die Gegner um so leichteres Spiel, als er längere Zeit
vom Vaterlande abwesend war, und erst während seiner Abwesenheit der
Einfluß des deutschen Handelsvereins gespürt wurde. Was war natürlicher,
als daß bei seinem Auftreten in Leipzig die öffentliche Meinung fast in der¬
selben Gestalt wieder auflebte, wie sie 14 Jahre früher die Gegner zu bilden
gewußt hatten. Die Animosität der Häupter des Leipziger Handels gegen List
loderte sofort wieder auf, und gern wäre man mit der Eisenbahn ohne ihn
sertig geworden, wenn man nur die Fähigkeit dazu besessen hätte. Vieles, was
List in der Zeit seiner Vorarbeiten zu ertragen hatte, muß direkt auf jene Ursache
zurückgeführt werden, wenn es überhaupt erklärlich werden soll. Man wagte
der Regierung gegenüber gar nicht, seinen Namen zu nennen. Als man eine
Adresse an die Stände und die Regierung einreichte, wurde sein Name darin
nicht erwähnt, obgleich in dem ersten Prospekte von Seyfferth und Dufour da¬
rauf Bezug genommen war. Nur ganz im allgemeinen war in der Adresse
gesagt, der Plan sei in Schriften zur Sprache gekommen, „die viel Wahres ent¬
halten", was ja auch der Vermuthung Raum gab, daß manches Unwahre darin
enthalten sei. Als die in unserm ersten Aufsatz erwähnte Deputation (Seyfferth,
Dufour, Harkort und Lampe) nach Dresden ging, und List, dazu nicht eingela¬
den, auf eigene Hand hinreiste, traf er mit der Deputation beim Minister
v. Carlowitz zusammen. Während der Unterredung that Harkort die Aeußerung,
daß in Leipzig niemand sei, der die Sache verstehe, worauf ihnen der Minister,
freimüthig genug — List als Sachverständigen empfahl. In den Handelskreisen
verbreitete man überhaupt das Märchen, List's Schrift enthalte viele Unrichtig¬
keiten; wenn aber List fragte, welche das seien, wußte man selbstverständlich
keine anzugeben, da allen die Sache fremd war. Man suchte ihn zu diskredi-
tiren, indem man den Nationalökonomen des Verkehrs mit allerhand Projekten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/118>, abgerufen am 01.09.2024.