Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.politischer wieder nicht in den engen Rahmen des Rechtsstaates geht. "Aber Betrachten wir nun zum Schlüsse mit Held noch die Frage der Nichtig¬ politischer wieder nicht in den engen Rahmen des Rechtsstaates geht. „Aber Betrachten wir nun zum Schlüsse mit Held noch die Frage der Nichtig¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142049"/> <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> politischer wieder nicht in den engen Rahmen des Rechtsstaates geht. „Aber<lb/> auch im ersten Falle," sagt Held, „wird keine Regierung unterlassen, die poli¬<lb/> tische Nothwendigkeit als Grund für die Verfassimgsverletzung anzuführen, und<lb/> so wird die Frage auch hier zu einer politischen. Man spricht in solchen<lb/> Fällen von Usurpationen. Während man bei diesen immer davon ausgeht,<lb/> daß diejenigen, welche im Staate bleiben wollen, sich dem Usurpator nach<lb/> vollendeter Gewaltthat zu unterwerfen haben, und daß die wieder eingesetzte<lb/> legitime Dynastie die Regierungshandlungen des Usurpators, soweit sie nicht<lb/> durch die Restauration selbst aufgehoben werden, anerkennen müsse, verlangt<lb/> man von dem Richter und nur von ihm, nicht auch von den übrigen Staats¬<lb/> beamten, daß er diese Verfügungen unbedingt verwerfe. Man vergißt hierbei,<lb/> daß die Stände die Wächter der Staatsverfassung sind, und daß auch eine<lb/> Minister-Verantwortlichkeit besteht. Hat aber ein Regierungserlaß die Verfassung<lb/> formell verletzt, so beweist dies, daß Gesetz und Verfassung nicht ausreichen,<lb/> oder daß die politische Wirksamkeit der Volksvertretung und die Kraft der<lb/> Minister-Verantwortlichkeit geschwächt sind. Wie könnte man dann einem Stande,<lb/> der vom Volke und dessen Vertretern verlassen und durch besondere Diensteide<lb/> gebunden ist, wie könnte man den richterlichen Beamten dann in Folge einer<lb/> Konsequenz des Rechtsstaates zumuthen, der Usurpation allein zu widerstehen!"<lb/> Die Bürgschaft für die Unverletzbarkeit der Verfassung besteht uicht darin, daß<lb/> sie zur Anwendung in Kollisionen komme, sondern darin, daß Kollisionen<lb/> überhaupt nicht entstehen, mit anderen Worten, die Organisation der Volks¬<lb/> vertretung und der Aemter und deren ganze Haltung soll Verfafsungsverletzungen<lb/> verhindern. Sobald diese einmal eingetreten sind, gibt es Parteigegensätze, und<lb/> diese werden durch Richtersprüche nicht beseitigt. So aber ist unsere Frage,<lb/> wenn man sie aus dem Gebiete doktrinärer Behandlung in das der realen<lb/> Erscheinungen versetzt, wiederum eine wesentlich politische. Nicht der Rechtsstaat,<lb/> sondern die wahre politische Bildung des Volkes und seiner Abgeordneten sowie<lb/> die der Beamten gewähren die größte Sicherheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_296" next="#ID_297"> Betrachten wir nun zum Schlüsse mit Held noch die Frage der Nichtig¬<lb/> keit und Anfechtbarkeit der Gesetze und namentlich der Verfassungsgesetze im<lb/> Ganzen und Einzelnen, so ist es unzweifelhaft, daß ohne den gesetzgeberischen<lb/> Willen auch kein Gesetz denkbar ist. Allein das reicht für abnorme, juristisch<lb/> nicht bestimmbare Fälle nicht aus. Wie der Souverän sich genöthigt sehen kann,<lb/> die verfassungsmäßige Form der Gesetzgebung durch ein proviforisches Gesetz<lb/> zu umgehen, so kann das Volk in gewissen Fällen, z. B., wenn sein Souverän<lb/> entflohen oder in dauernde Gefangenschaft gerathen ist, gezwungen sein, ohne<lb/> ihn, den verfassungsmäßigen eigentlichen Gesetzgeber, einstweilen Gesetze zu<lb/> erlassen. Was nützt es dann, wenn diese später von der einen Seite für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
politischer wieder nicht in den engen Rahmen des Rechtsstaates geht. „Aber
auch im ersten Falle," sagt Held, „wird keine Regierung unterlassen, die poli¬
tische Nothwendigkeit als Grund für die Verfassimgsverletzung anzuführen, und
so wird die Frage auch hier zu einer politischen. Man spricht in solchen
Fällen von Usurpationen. Während man bei diesen immer davon ausgeht,
daß diejenigen, welche im Staate bleiben wollen, sich dem Usurpator nach
vollendeter Gewaltthat zu unterwerfen haben, und daß die wieder eingesetzte
legitime Dynastie die Regierungshandlungen des Usurpators, soweit sie nicht
durch die Restauration selbst aufgehoben werden, anerkennen müsse, verlangt
man von dem Richter und nur von ihm, nicht auch von den übrigen Staats¬
beamten, daß er diese Verfügungen unbedingt verwerfe. Man vergißt hierbei,
daß die Stände die Wächter der Staatsverfassung sind, und daß auch eine
Minister-Verantwortlichkeit besteht. Hat aber ein Regierungserlaß die Verfassung
formell verletzt, so beweist dies, daß Gesetz und Verfassung nicht ausreichen,
oder daß die politische Wirksamkeit der Volksvertretung und die Kraft der
Minister-Verantwortlichkeit geschwächt sind. Wie könnte man dann einem Stande,
der vom Volke und dessen Vertretern verlassen und durch besondere Diensteide
gebunden ist, wie könnte man den richterlichen Beamten dann in Folge einer
Konsequenz des Rechtsstaates zumuthen, der Usurpation allein zu widerstehen!"
Die Bürgschaft für die Unverletzbarkeit der Verfassung besteht uicht darin, daß
sie zur Anwendung in Kollisionen komme, sondern darin, daß Kollisionen
überhaupt nicht entstehen, mit anderen Worten, die Organisation der Volks¬
vertretung und der Aemter und deren ganze Haltung soll Verfafsungsverletzungen
verhindern. Sobald diese einmal eingetreten sind, gibt es Parteigegensätze, und
diese werden durch Richtersprüche nicht beseitigt. So aber ist unsere Frage,
wenn man sie aus dem Gebiete doktrinärer Behandlung in das der realen
Erscheinungen versetzt, wiederum eine wesentlich politische. Nicht der Rechtsstaat,
sondern die wahre politische Bildung des Volkes und seiner Abgeordneten sowie
die der Beamten gewähren die größte Sicherheit.
Betrachten wir nun zum Schlüsse mit Held noch die Frage der Nichtig¬
keit und Anfechtbarkeit der Gesetze und namentlich der Verfassungsgesetze im
Ganzen und Einzelnen, so ist es unzweifelhaft, daß ohne den gesetzgeberischen
Willen auch kein Gesetz denkbar ist. Allein das reicht für abnorme, juristisch
nicht bestimmbare Fälle nicht aus. Wie der Souverän sich genöthigt sehen kann,
die verfassungsmäßige Form der Gesetzgebung durch ein proviforisches Gesetz
zu umgehen, so kann das Volk in gewissen Fällen, z. B., wenn sein Souverän
entflohen oder in dauernde Gefangenschaft gerathen ist, gezwungen sein, ohne
ihn, den verfassungsmäßigen eigentlichen Gesetzgeber, einstweilen Gesetze zu
erlassen. Was nützt es dann, wenn diese später von der einen Seite für
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