Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.geführt, daß viele Verfassungen die Regierungen berechtigen, in solchen Fällen Will man, daß der Richter die Verpflichtung habe, Publikationen, die Grenzboten II. 1879. 12
geführt, daß viele Verfassungen die Regierungen berechtigen, in solchen Fällen Will man, daß der Richter die Verpflichtung habe, Publikationen, die Grenzboten II. 1879. 12
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geführt, daß viele Verfassungen die Regierungen berechtigen, in solchen Fällen
Gegenstände der Gesetzgebung sür einige Zeit giltig auf dem Verordnungswege
zu normiren. Dies sind die sogenannten verfassungsmäßigen Oktroyirungen,
die provisorischen Gesetze. Die Befugniß, sie zu erlassen, ist ein ausdrückliches
Zugeständniß der Verfassung, daß die ordentlichen Gesetzgebungsformen in kri¬
tischen Augenblicken unzureichend sind. Durch die provisorischen Gesetze sucht
dieselbe manchen sonst unvermeidlichen formellen Verletzungen ihrer eigenen
Bestimmungen zuvorzukommen. Allein dies rettet den Rechtsstaat keineswegs.
Denn einmal muß, wie Held ganz richtig geltend macht, die Befugniß zum
Erlaß provisorischer Gesetze dem Souverän unter allen Umständen zustehen,
weil er sonst der Pflicht der Erhaltung des Staates nicht nachkommen könnte;
sodann aber geht die provisorische Gesetzgebung schon über die Grenzen des
Rechtsstaates hinaus, indem sie sich nicht an die etwa für sie geschaffenen
verfassungsmäßigen Schranken zu halten braucht, wenn die Umstände davon
abzusehen zwingen. „Es gibt im Leben der Staaten Nothwendigkeiten, welche
jeder vorausgehenden gesetzlichen Normirung spotten. Die provisorische Gesetz¬
gebung muß natürlich sehr verschieden aufgefaßt werden, je nachdem man fest-
geschlossene, harmonisch-organische Staatszustände oder deren Gegentheil vor
sich hat. Im letzteren Falle kann überhaupt vom Rechtsstaat nicht die Rede
sein, im ersteren aber handelt die Regierung, wenn sie die bestehende Harmonie
nicht böswillig zu lösen trachtet, durch das provisorische Gesetz, gleichviel, ob
es von der Verfassung ausdrücklich für zulässig erklärt worden ist, und ob die
darüber gegebenen Verfassungsbestimmungen in dem konkreten Falle anwendbar
sind oder nicht, also mit oder ohne das formelle Recht, nach dem uralten
Grundsatze, daß die Noth kein Gebot kennt, wie ein charakterfester, in sich selbst
einiger, starker Mann, schnell und entschieden nach den Anforderungen des
Augenblickes. Daher ist auch für den Gebrauch dieses Staatsnothrechtes
weniger die blos provisorische Geltung des oktroyirten Gesetzes als das Motiv
und die Art seiner Anwendung entscheidend. Die Politik, nicht der
Rechtsstaat ist die Hauptsache."
Will man, daß der Richter die Verpflichtung habe, Publikationen, die
nicht in verfassungsmäßiger Form zu Stande gebrachte Normen enthalten,
nicht anzuwenden, und daß er befugt sei, zu entscheiden, ob die Verfügungen
nach ihrem Gegenstande verfassungsmäßig entstanden seien, so übersieht man,
daß mit der Publikation einer entschieden nicht verfassungsmäßig geschaffenen
Norm, sowie mit dem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit derselben die Grenzen
des Rechtsstaates bereits überschritten sind, und man sich im zweiten Falle auf
dem Gebiete der Politik befindet, wo ein gewöhnlicher Gerichtshof, der außer¬
halb des Parteilebens steht, die Frage nicht entscheiden kann, während ein
Grenzboten II. 1879. 12
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