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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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täglich fortschreiten, je vollkommener das Rezept in Theorie und Praxis durch
die fortwährende Anwendung ausgebildet wird.

Die deutsche Nation kann nicht dankbar genug sein, daß sie nicht blos
den politischen Zentralpunkt gewonnen hat, von welchem aus zentrale Aufgaben
überhaupt in Angriff genommen werden können, sondern daß sie in dem
Schöpfer der Zentralgewalt zugleich den Staatsmann gewonnen hat, der mit
dem Muthe der größten Entschlüsse zugleich die Gewalt persönlicher Ueberlegen-
heit besitzt, die Unermeßlichkeit parlamentarischer Bedenken fortzureißen oder
hinwegzustoßen. Denn nie käme ein Parlament aus sich heraus oder unter
gewöhnlichen Ministern zu einem solchen Entschluß, nie käme die öffentliche
Meinung in Deutschland zu der Klarheit, Festigkeit und zu dem Uebergewichte
der Stimmen, um ein Parlament in diesen Fragen auf einen bestimmten Weg
zu drängen. In Folge unserer staatlichen Zerrissenheit sind auch unsere wirth¬
schaftlichen Interessen auseinandergerissen. Die lange Zeit fast unbestrittene
Herrschaft einer so absurden Theorie, wie es die Manchesterdoktrin, diese Waffe
des englischen Handelsübergewichtes, in ihrer Anwendung auf Deutschland
ist, wäre völlig unbegreiflich, wenn die Erklärung nicht unmittelbar vor den
Augen läge. Die Unterwerfung unter die Manchesterdoktrin war die Ver¬
zweifelung, jemals den richtigen Weg der Handelspolitik der Zerrissenheit der
Interessen gegenüber einschlagen und experimentirend verfolgen zu können. Auch
von dieser Verzweifelung hat die Vorsehung uns erlösen wollen, indem sie uns
einen Bismarck gab. Es scheint, daß sie durch diesen Mann alles für uns
thun will, was wir selbst in Folge der verschuldeten und unverschuldeten Irrwege
unserer Geschichte nicht mehr zu thun im Stande waren. Um so strenger wird
sie Rechenschaft fordern, wenn wir mit dem überreichlich gespendeten Pfund
fortan nicht zu wuchern verstehen.

Bei weitem die wichtigste Veränderung, welche der Bundesrath an der
Kvmmissionsvorlage vorgenommen, ist die Hinzufügung einer allgemeinen Voll¬
macht für den Bundesrath, jeden Einfuhrzoll um den doppelten Betrag des
jetzt einzuführenden Tarifes zu erhöhen gegenüber solchen Staaten, welche Schiffe
oder Waaren deutscher Herkunft ungünstiger behandeln als jene anderer Staaten,
oder welche deutsche Erzeugnisse erheblich höher belasten, als ihre Erzeugnisse
in Deutschland belastet sind. In dieser Vollmacht, welche den Bundesrath
berechtigt, nöthigenfalls den ganzen Tarif in einen Kampszolltarif zu ver¬
wandeln, liegt erst die wahrhaft wirksame Waffe der neuen Zollpolitik. Eine
solche Waffe kann nie durch die gesetzgebenden Faktoren eines Staates gehand¬
habt werden, einem Bismarck kann man sie anvertrauen mit der Zuversicht
des höchst energischen und zugleich höchst vorsichtigen Gebrauches, vorsichtig
in Bezug auf die innere Volkswirthschaft und die äußere Interessenpolitik,


täglich fortschreiten, je vollkommener das Rezept in Theorie und Praxis durch
die fortwährende Anwendung ausgebildet wird.

Die deutsche Nation kann nicht dankbar genug sein, daß sie nicht blos
den politischen Zentralpunkt gewonnen hat, von welchem aus zentrale Aufgaben
überhaupt in Angriff genommen werden können, sondern daß sie in dem
Schöpfer der Zentralgewalt zugleich den Staatsmann gewonnen hat, der mit
dem Muthe der größten Entschlüsse zugleich die Gewalt persönlicher Ueberlegen-
heit besitzt, die Unermeßlichkeit parlamentarischer Bedenken fortzureißen oder
hinwegzustoßen. Denn nie käme ein Parlament aus sich heraus oder unter
gewöhnlichen Ministern zu einem solchen Entschluß, nie käme die öffentliche
Meinung in Deutschland zu der Klarheit, Festigkeit und zu dem Uebergewichte
der Stimmen, um ein Parlament in diesen Fragen auf einen bestimmten Weg
zu drängen. In Folge unserer staatlichen Zerrissenheit sind auch unsere wirth¬
schaftlichen Interessen auseinandergerissen. Die lange Zeit fast unbestrittene
Herrschaft einer so absurden Theorie, wie es die Manchesterdoktrin, diese Waffe
des englischen Handelsübergewichtes, in ihrer Anwendung auf Deutschland
ist, wäre völlig unbegreiflich, wenn die Erklärung nicht unmittelbar vor den
Augen läge. Die Unterwerfung unter die Manchesterdoktrin war die Ver¬
zweifelung, jemals den richtigen Weg der Handelspolitik der Zerrissenheit der
Interessen gegenüber einschlagen und experimentirend verfolgen zu können. Auch
von dieser Verzweifelung hat die Vorsehung uns erlösen wollen, indem sie uns
einen Bismarck gab. Es scheint, daß sie durch diesen Mann alles für uns
thun will, was wir selbst in Folge der verschuldeten und unverschuldeten Irrwege
unserer Geschichte nicht mehr zu thun im Stande waren. Um so strenger wird
sie Rechenschaft fordern, wenn wir mit dem überreichlich gespendeten Pfund
fortan nicht zu wuchern verstehen.

Bei weitem die wichtigste Veränderung, welche der Bundesrath an der
Kvmmissionsvorlage vorgenommen, ist die Hinzufügung einer allgemeinen Voll¬
macht für den Bundesrath, jeden Einfuhrzoll um den doppelten Betrag des
jetzt einzuführenden Tarifes zu erhöhen gegenüber solchen Staaten, welche Schiffe
oder Waaren deutscher Herkunft ungünstiger behandeln als jene anderer Staaten,
oder welche deutsche Erzeugnisse erheblich höher belasten, als ihre Erzeugnisse
in Deutschland belastet sind. In dieser Vollmacht, welche den Bundesrath
berechtigt, nöthigenfalls den ganzen Tarif in einen Kampszolltarif zu ver¬
wandeln, liegt erst die wahrhaft wirksame Waffe der neuen Zollpolitik. Eine
solche Waffe kann nie durch die gesetzgebenden Faktoren eines Staates gehand¬
habt werden, einem Bismarck kann man sie anvertrauen mit der Zuversicht
des höchst energischen und zugleich höchst vorsichtigen Gebrauches, vorsichtig
in Bezug auf die innere Volkswirthschaft und die äußere Interessenpolitik,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/71>, abgerufen am 27.12.2024.