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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Arm- und Handbewegung mitthun, was die Hand thut, in deren Fassung
und Gewalt er sich befindet. Sagt man, daß die Hand "sich" mit einem
Gegenstande "befaßt", so heißt das bei Weitem mehr als das einfache: sie
"ergreift" oder "erfaßt" ihn. Das rückbezügliche "sich" deutet auf die Ueber¬
einstimmung zwischen dem Organe und einem zum Werkzeuge ausersehenen
Gegenstande. Hat sich demnach die hebende Hand mit einer Stange befaßt,
so hebt diese mit und wird zum Hebel, der scharfe und spitze Stein in der
Hand schneidet und dreht sich mit und wird zu Messer, Säge und Bohrer;
denn die schneidende oder bohrende Drehbewegung des Handgelenkes setzt sich
schneidig oder spiralig in dem gefaßten Gegenstande fort und formt ihn
Zu Messer, Bohrer und Schraube. Die Sprache bezeichnet die Hebel-Enden
"ach ihrem Ursprünge als Hebelarme. Wie das Zermalmen mit den Zähnen
vor jeder Mühle da war, so das Sichheben des Armes vor allen Hebeln. In
organischer Bewegung hat die Verrichtung mit Werkzeugen ihren Ursprung, und
die ursprüngliche Bezeichnung einer organischen Bewegung ist die Wurzel der
Namen von entsprechenden Mechanismen.

Die Bewegung der Werkzeuge steht in vollkommener Uebereinstimmung
Mit der Bewegung der menschlichen Gelenke. Als daher die Physiologie diese
Uebereinstimmung erkannt hatte, entnahm sie die Bezeichnung fiir die Bestand¬
theile des Bewegungs-Organismus dem Bewegungs-Mechanismus, und so
kamen Werkzeugnamen wie Hebel, Charnier, Spirale, Schraube, Schrauben¬
spindel, Schraubenmutter u. s. w. aus der Mechanik zur Physiologie; das or¬
ganische Vorbild des Werkzeuges entlehnte die Bezeichnung seiner werkthätigen
Organe seinem mechanischen Nachbilde.

Im vierten Kapitel behandelt Kapp die Gliedmaßen und Maße. Ueberall
und und bleiben bei Jung und Alt, beim Wilden wie beim Kulturmenschen
solgende natürlichen Maße im Gebrauch: der Fuß, der Finger und seine
Glieder, der Daumen, die Hand und der Arm, die Fingerspanne, die Ent¬
fernung der schreitenden Füße und die ausgebreiteten klaffenden Arme, eines
Fingers und eines Haares Breite als Längenmaße; die Handvoll, der Mund¬
voll, die Faust- und die Kopfgröße u. s. w. als Hodl- und Raummaße. Als
Zeitmaß führt Kapp nur an den "Augenblick"; er übersieht den Pulsschlag
des erwachsenen Menschen als den Repräsentanten der Sekunde, des Urmaßes
sür die Stunden, Jahre und Jahrtausende. Unsre ganze Zeitrechnung stützt
sich ja, wie K. E. v. Bär geistvoll ausgeführt hat, auf die Dauer eines mensch¬
lichen Pulsschlages als Einheit.

Mit Maß und Zahl, sagt Kapp, rekognoszirt der Mensch und beherrscht
er die Dinge. Ein primitives Werkzeug, die Zange, dient zum Packen und
Festhalten, das thut zur Noth auch die thierische Klaue -- aber mit Maß-


Grenzbotcn II. 1379. 7

Arm- und Handbewegung mitthun, was die Hand thut, in deren Fassung
und Gewalt er sich befindet. Sagt man, daß die Hand „sich" mit einem
Gegenstande „befaßt", so heißt das bei Weitem mehr als das einfache: sie
«ergreift" oder „erfaßt" ihn. Das rückbezügliche „sich" deutet auf die Ueber¬
einstimmung zwischen dem Organe und einem zum Werkzeuge ausersehenen
Gegenstande. Hat sich demnach die hebende Hand mit einer Stange befaßt,
so hebt diese mit und wird zum Hebel, der scharfe und spitze Stein in der
Hand schneidet und dreht sich mit und wird zu Messer, Säge und Bohrer;
denn die schneidende oder bohrende Drehbewegung des Handgelenkes setzt sich
schneidig oder spiralig in dem gefaßten Gegenstande fort und formt ihn
Zu Messer, Bohrer und Schraube. Die Sprache bezeichnet die Hebel-Enden
"ach ihrem Ursprünge als Hebelarme. Wie das Zermalmen mit den Zähnen
vor jeder Mühle da war, so das Sichheben des Armes vor allen Hebeln. In
organischer Bewegung hat die Verrichtung mit Werkzeugen ihren Ursprung, und
die ursprüngliche Bezeichnung einer organischen Bewegung ist die Wurzel der
Namen von entsprechenden Mechanismen.

Die Bewegung der Werkzeuge steht in vollkommener Uebereinstimmung
Mit der Bewegung der menschlichen Gelenke. Als daher die Physiologie diese
Uebereinstimmung erkannt hatte, entnahm sie die Bezeichnung fiir die Bestand¬
theile des Bewegungs-Organismus dem Bewegungs-Mechanismus, und so
kamen Werkzeugnamen wie Hebel, Charnier, Spirale, Schraube, Schrauben¬
spindel, Schraubenmutter u. s. w. aus der Mechanik zur Physiologie; das or¬
ganische Vorbild des Werkzeuges entlehnte die Bezeichnung seiner werkthätigen
Organe seinem mechanischen Nachbilde.

Im vierten Kapitel behandelt Kapp die Gliedmaßen und Maße. Ueberall
und und bleiben bei Jung und Alt, beim Wilden wie beim Kulturmenschen
solgende natürlichen Maße im Gebrauch: der Fuß, der Finger und seine
Glieder, der Daumen, die Hand und der Arm, die Fingerspanne, die Ent¬
fernung der schreitenden Füße und die ausgebreiteten klaffenden Arme, eines
Fingers und eines Haares Breite als Längenmaße; die Handvoll, der Mund¬
voll, die Faust- und die Kopfgröße u. s. w. als Hodl- und Raummaße. Als
Zeitmaß führt Kapp nur an den „Augenblick"; er übersieht den Pulsschlag
des erwachsenen Menschen als den Repräsentanten der Sekunde, des Urmaßes
sür die Stunden, Jahre und Jahrtausende. Unsre ganze Zeitrechnung stützt
sich ja, wie K. E. v. Bär geistvoll ausgeführt hat, auf die Dauer eines mensch¬
lichen Pulsschlages als Einheit.

Mit Maß und Zahl, sagt Kapp, rekognoszirt der Mensch und beherrscht
er die Dinge. Ein primitives Werkzeug, die Zange, dient zum Packen und
Festhalten, das thut zur Noth auch die thierische Klaue — aber mit Maß-


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[0053] Arm- und Handbewegung mitthun, was die Hand thut, in deren Fassung und Gewalt er sich befindet. Sagt man, daß die Hand „sich" mit einem Gegenstande „befaßt", so heißt das bei Weitem mehr als das einfache: sie «ergreift" oder „erfaßt" ihn. Das rückbezügliche „sich" deutet auf die Ueber¬ einstimmung zwischen dem Organe und einem zum Werkzeuge ausersehenen Gegenstande. Hat sich demnach die hebende Hand mit einer Stange befaßt, so hebt diese mit und wird zum Hebel, der scharfe und spitze Stein in der Hand schneidet und dreht sich mit und wird zu Messer, Säge und Bohrer; denn die schneidende oder bohrende Drehbewegung des Handgelenkes setzt sich schneidig oder spiralig in dem gefaßten Gegenstande fort und formt ihn Zu Messer, Bohrer und Schraube. Die Sprache bezeichnet die Hebel-Enden "ach ihrem Ursprünge als Hebelarme. Wie das Zermalmen mit den Zähnen vor jeder Mühle da war, so das Sichheben des Armes vor allen Hebeln. In organischer Bewegung hat die Verrichtung mit Werkzeugen ihren Ursprung, und die ursprüngliche Bezeichnung einer organischen Bewegung ist die Wurzel der Namen von entsprechenden Mechanismen. Die Bewegung der Werkzeuge steht in vollkommener Uebereinstimmung Mit der Bewegung der menschlichen Gelenke. Als daher die Physiologie diese Uebereinstimmung erkannt hatte, entnahm sie die Bezeichnung fiir die Bestand¬ theile des Bewegungs-Organismus dem Bewegungs-Mechanismus, und so kamen Werkzeugnamen wie Hebel, Charnier, Spirale, Schraube, Schrauben¬ spindel, Schraubenmutter u. s. w. aus der Mechanik zur Physiologie; das or¬ ganische Vorbild des Werkzeuges entlehnte die Bezeichnung seiner werkthätigen Organe seinem mechanischen Nachbilde. Im vierten Kapitel behandelt Kapp die Gliedmaßen und Maße. Ueberall und und bleiben bei Jung und Alt, beim Wilden wie beim Kulturmenschen solgende natürlichen Maße im Gebrauch: der Fuß, der Finger und seine Glieder, der Daumen, die Hand und der Arm, die Fingerspanne, die Ent¬ fernung der schreitenden Füße und die ausgebreiteten klaffenden Arme, eines Fingers und eines Haares Breite als Längenmaße; die Handvoll, der Mund¬ voll, die Faust- und die Kopfgröße u. s. w. als Hodl- und Raummaße. Als Zeitmaß führt Kapp nur an den „Augenblick"; er übersieht den Pulsschlag des erwachsenen Menschen als den Repräsentanten der Sekunde, des Urmaßes sür die Stunden, Jahre und Jahrtausende. Unsre ganze Zeitrechnung stützt sich ja, wie K. E. v. Bär geistvoll ausgeführt hat, auf die Dauer eines mensch¬ lichen Pulsschlages als Einheit. Mit Maß und Zahl, sagt Kapp, rekognoszirt der Mensch und beherrscht er die Dinge. Ein primitives Werkzeug, die Zange, dient zum Packen und Festhalten, das thut zur Noth auch die thierische Klaue — aber mit Maß- Grenzbotcn II. 1379. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/53>, abgerufen am 27.09.2024.