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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Gleichheit und Brüderlichkeit wünschenswert!) sei, und auch Platon, der sich
dem Begriffe der Humanität, wie Aristoteles dem der Universalität, unter allen
Alten vielleicht am meisten angenähert hat, ist doch auf streng nationalem
Boden stehen geblieben. Sein Staatsideal ist ausschließlich für hellenische
Gemeinden berechnet, und jeder Gedanke an eine Verbindung von Nationen
hat ihm fern gelegen, weshalb auch seine Rathschläge für den freundlichen und
den feindlichen Verkehr sich nur ans griechische Gemeinden beziehen.

Trotz dieser Beschränkung auf die eigene Nation, trotz der allgemeinen und
auch von Platon in's Auge gefaßten relativen Kleinheit der hellenischen Staats¬
gemeinde, welche selten über-den Umfang einer Stadt und ihres Landgebietes
hinausging, und trotzdem daß es an Reformparteien mit ähnlichen Tendenzen
nicht fehlte, ist der platonische Staat nie realisirt worden. Die Pythagoreer-
herrschaft ist nach kurzem Bestehen mit Gewalt und Blutvergießen gestürzt
worden, die auf Reformen im spartanischen Sinne hinarbeitenden aristokrati¬
schen Parteien in Theben, Korinth, Phlius, Elis, Mcmtineia haben es zu
keiner dauernden Herrschaft gebracht, und Sparta selbst, das Ideal aller Kon¬
servativen und Ordnuugsfreuude, hatte schon in der Zeit, als Platon, Lysias,
Xenophon, Aristophanes seine Bürgerzucht als Panazee priesen, in kläglicher
Weise Schiffbruch gelitten. Das Vorgehen der Spartaner ihren politischen
Gegnern gegenüber zeigte, daß Härte, Rohheit und Uebermuth ihnen nicht fremd
geworden, daß sie vor Selbstsucht, Ehrgeiz und Habgier durch ihre bürgerliche
Zucht nicht geschützt worden waren. Die innere Verderbniß und Zerrüttung
war in Sparta, wenn auch weniger sichtbar, doch nicht minder vorhanden, und
der ebenfalls nicht verhinderte scharfe Gegensatz zwischen Armen und Reichen,
zwischen Bevorrechteten und Enterbten, zwischen Herrschenden und Unterdrückten
stürzte den Staat in einen Zustand der inneren Fäulniß, der um so unheil¬
barer war, als er nicht einmal das Gegengewicht der geistigen und aesthetischen
Güter in Kunst und Wissenschaft besaß. Um dieselbe Zeit, als das Gesetz des
Epitadeus freie Verfügung über die Landlvose gewährte, war die Zahl der
Vollbürger von 9 -- 10000 bereits auf 2000 gesunken, und es mußte durch
Belohnungen zur Kindererzeugung aufgemuntert werden. Aristoteles rechnet
sogar nur etwa 1000 Spartiaten, und hundert Jahre später gab es nur noch 700,
von denen aber 600 keinen Landbesitz mehr hatten, während aller Reichthum
sich in den Händen der übrigen hundert angehäuft hatte. "Mit solcher Un¬
gleichheit," sagt Schömann, "konnte denn unmöglich die alte lykurgische Lebens¬
ordnung noch bestehen. Die Reichen befolgten sie zwar zum Theil, aber nur
zum Schein. Sie besuchten z. B. die Phiditien, aber nachdem sie sich kurze
Zeit dort aufgehalten, schmausten sie zu Hause mit orientalischem Luxus. Die
Ephoren, deren Amt es sein sollte, auf die Befolgung der Agoge zu wachen,


Gleichheit und Brüderlichkeit wünschenswert!) sei, und auch Platon, der sich
dem Begriffe der Humanität, wie Aristoteles dem der Universalität, unter allen
Alten vielleicht am meisten angenähert hat, ist doch auf streng nationalem
Boden stehen geblieben. Sein Staatsideal ist ausschließlich für hellenische
Gemeinden berechnet, und jeder Gedanke an eine Verbindung von Nationen
hat ihm fern gelegen, weshalb auch seine Rathschläge für den freundlichen und
den feindlichen Verkehr sich nur ans griechische Gemeinden beziehen.

Trotz dieser Beschränkung auf die eigene Nation, trotz der allgemeinen und
auch von Platon in's Auge gefaßten relativen Kleinheit der hellenischen Staats¬
gemeinde, welche selten über-den Umfang einer Stadt und ihres Landgebietes
hinausging, und trotzdem daß es an Reformparteien mit ähnlichen Tendenzen
nicht fehlte, ist der platonische Staat nie realisirt worden. Die Pythagoreer-
herrschaft ist nach kurzem Bestehen mit Gewalt und Blutvergießen gestürzt
worden, die auf Reformen im spartanischen Sinne hinarbeitenden aristokrati¬
schen Parteien in Theben, Korinth, Phlius, Elis, Mcmtineia haben es zu
keiner dauernden Herrschaft gebracht, und Sparta selbst, das Ideal aller Kon¬
servativen und Ordnuugsfreuude, hatte schon in der Zeit, als Platon, Lysias,
Xenophon, Aristophanes seine Bürgerzucht als Panazee priesen, in kläglicher
Weise Schiffbruch gelitten. Das Vorgehen der Spartaner ihren politischen
Gegnern gegenüber zeigte, daß Härte, Rohheit und Uebermuth ihnen nicht fremd
geworden, daß sie vor Selbstsucht, Ehrgeiz und Habgier durch ihre bürgerliche
Zucht nicht geschützt worden waren. Die innere Verderbniß und Zerrüttung
war in Sparta, wenn auch weniger sichtbar, doch nicht minder vorhanden, und
der ebenfalls nicht verhinderte scharfe Gegensatz zwischen Armen und Reichen,
zwischen Bevorrechteten und Enterbten, zwischen Herrschenden und Unterdrückten
stürzte den Staat in einen Zustand der inneren Fäulniß, der um so unheil¬
barer war, als er nicht einmal das Gegengewicht der geistigen und aesthetischen
Güter in Kunst und Wissenschaft besaß. Um dieselbe Zeit, als das Gesetz des
Epitadeus freie Verfügung über die Landlvose gewährte, war die Zahl der
Vollbürger von 9 — 10000 bereits auf 2000 gesunken, und es mußte durch
Belohnungen zur Kindererzeugung aufgemuntert werden. Aristoteles rechnet
sogar nur etwa 1000 Spartiaten, und hundert Jahre später gab es nur noch 700,
von denen aber 600 keinen Landbesitz mehr hatten, während aller Reichthum
sich in den Händen der übrigen hundert angehäuft hatte. „Mit solcher Un¬
gleichheit," sagt Schömann, „konnte denn unmöglich die alte lykurgische Lebens¬
ordnung noch bestehen. Die Reichen befolgten sie zwar zum Theil, aber nur
zum Schein. Sie besuchten z. B. die Phiditien, aber nachdem sie sich kurze
Zeit dort aufgehalten, schmausten sie zu Hause mit orientalischem Luxus. Die
Ephoren, deren Amt es sein sollte, auf die Befolgung der Agoge zu wachen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/466>, abgerufen am 20.10.2024.