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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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ziehung. Der aus Pythagoreern bestehende Rath der Dreihundert in Kroton,
die in Lokroi, Metapont, Tarent und anderwärts an der Spitze stehende pytha¬
goreische Aristokratie waren eine Verwirklichung von Tendenzen, welche den
geschilderten platonischen ungemein nahe stehen. Wie Platon erkannten die
Pythagoreer nur der Ueberlegenheit des Geistes, nur der Aristokratie der Intel¬
ligenz und Tugend die Berechtigung zur Herrschaft zu und bekämpften deshalb
die Volksherrschaft, bei welcher sie edleres Streben, höhere Einsicht und That¬
kraft vermißten. Wie Platon waren die Pythagoreer durchaus konservativ und
aristokratisch gesinnt und verleugneten nicht ihre Verachtung der Demokratie,
welche am schärfsten in den dem Pythagoras zugeschriebenen Worten ausge¬
sprochen ist: "Der Haufe ist ein schlechter Beurtheiler des Edlen. Deshalb
verachte sein Lob, verachte seinen Tadel. Die Brüder ehre wie die Götter;
die übrigen Menschen halte für eine werthlose Menge. Mit den ,Bohnen'
it. h. den Demokraten) führe immerdar Krieg." Auch der Ausdruck "Brüder"
deutet, ohne daß man darin eine freimaurerische Beziehung zu wittern braucht,
auf eine der platonischen ähnliche familienhafte oder vielmehr sozialistische Art
des Zusammenlebens hin. Eine lange und strenge Prüfung ging auch der
Aufnahme in den Pythagoreerbund voraus, und die mäßige und sittlich strenge
Lebensweise, die gemeinsamen Mahlzeiten, vielleicht auch Gütergemeinschaft,
bilden noch weitere Analogieen. Die Pythagoreer bedeckten das Wesen ihres
Bundes mit einem gewissen Geheimniß, und Platon weist seine Herrscherkaste
an, über die tieferen politischen Ideen und Motive der Menge gegenüber
Schweigen zu beobachten. Die unbedingte und undiskutirbare Unterwerfung
unter die Autorität der überlieferten Ordnungen und ihrer Vertreter, in dein
Pythagoreischen "Z/ro? Ly?" gipfelnd, die innige Verschmelzung von sozialen,
ethischen und politischen Elementen, die erhabene Stellung der herrschenden
Kaste und ihre strenge Scheidung von den andern sind Elemente des platoni¬
schen Staatsentwnrfs, welche sich kaum aus etwas Anderem als dem Pytha-
goreismus herleiten lassen.

Ist es uns im Vorstehenden gelungen, eine Anzahl sozialistischer und kom¬
munistischer Ideen schon im alten Hellas nachzuweisen, so sehen wir uus
dagegen vergebens nach einer Thatsache um, welche auf das Vorhandensein der
Idee vom "Internationalismus" schließen ließe. Der Gedanke an die Gleich¬
berechtigung und Gleichbefähigung der Völker war dem Alterthum völlig fremd
und hat sich erst langsam mit der Verbreitung der klassischen Kultur, vorzüglich
an der Hand des Alles einigen wollenden Christenthums, entwickelt. Dem
Hellenen galten alle andern Völkern als Barbaren, die auf eine Gleichstellung
mit ihm keinen Anspruch hatten. Das Höchste, wozu man vor Alexander sich
erhob, war die Erkenntniß, daß innerhalb der griechischen Stämme Freiheit,


Grenzboten II, 1879. . 69

ziehung. Der aus Pythagoreern bestehende Rath der Dreihundert in Kroton,
die in Lokroi, Metapont, Tarent und anderwärts an der Spitze stehende pytha¬
goreische Aristokratie waren eine Verwirklichung von Tendenzen, welche den
geschilderten platonischen ungemein nahe stehen. Wie Platon erkannten die
Pythagoreer nur der Ueberlegenheit des Geistes, nur der Aristokratie der Intel¬
ligenz und Tugend die Berechtigung zur Herrschaft zu und bekämpften deshalb
die Volksherrschaft, bei welcher sie edleres Streben, höhere Einsicht und That¬
kraft vermißten. Wie Platon waren die Pythagoreer durchaus konservativ und
aristokratisch gesinnt und verleugneten nicht ihre Verachtung der Demokratie,
welche am schärfsten in den dem Pythagoras zugeschriebenen Worten ausge¬
sprochen ist: „Der Haufe ist ein schlechter Beurtheiler des Edlen. Deshalb
verachte sein Lob, verachte seinen Tadel. Die Brüder ehre wie die Götter;
die übrigen Menschen halte für eine werthlose Menge. Mit den ,Bohnen'
it. h. den Demokraten) führe immerdar Krieg." Auch der Ausdruck „Brüder"
deutet, ohne daß man darin eine freimaurerische Beziehung zu wittern braucht,
auf eine der platonischen ähnliche familienhafte oder vielmehr sozialistische Art
des Zusammenlebens hin. Eine lange und strenge Prüfung ging auch der
Aufnahme in den Pythagoreerbund voraus, und die mäßige und sittlich strenge
Lebensweise, die gemeinsamen Mahlzeiten, vielleicht auch Gütergemeinschaft,
bilden noch weitere Analogieen. Die Pythagoreer bedeckten das Wesen ihres
Bundes mit einem gewissen Geheimniß, und Platon weist seine Herrscherkaste
an, über die tieferen politischen Ideen und Motive der Menge gegenüber
Schweigen zu beobachten. Die unbedingte und undiskutirbare Unterwerfung
unter die Autorität der überlieferten Ordnungen und ihrer Vertreter, in dein
Pythagoreischen «Z/ro? Ly?« gipfelnd, die innige Verschmelzung von sozialen,
ethischen und politischen Elementen, die erhabene Stellung der herrschenden
Kaste und ihre strenge Scheidung von den andern sind Elemente des platoni¬
schen Staatsentwnrfs, welche sich kaum aus etwas Anderem als dem Pytha-
goreismus herleiten lassen.

Ist es uns im Vorstehenden gelungen, eine Anzahl sozialistischer und kom¬
munistischer Ideen schon im alten Hellas nachzuweisen, so sehen wir uus
dagegen vergebens nach einer Thatsache um, welche auf das Vorhandensein der
Idee vom „Internationalismus" schließen ließe. Der Gedanke an die Gleich¬
berechtigung und Gleichbefähigung der Völker war dem Alterthum völlig fremd
und hat sich erst langsam mit der Verbreitung der klassischen Kultur, vorzüglich
an der Hand des Alles einigen wollenden Christenthums, entwickelt. Dem
Hellenen galten alle andern Völkern als Barbaren, die auf eine Gleichstellung
mit ihm keinen Anspruch hatten. Das Höchste, wozu man vor Alexander sich
erhob, war die Erkenntniß, daß innerhalb der griechischen Stämme Freiheit,


Grenzboten II, 1879. . 69
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[0465] ziehung. Der aus Pythagoreern bestehende Rath der Dreihundert in Kroton, die in Lokroi, Metapont, Tarent und anderwärts an der Spitze stehende pytha¬ goreische Aristokratie waren eine Verwirklichung von Tendenzen, welche den geschilderten platonischen ungemein nahe stehen. Wie Platon erkannten die Pythagoreer nur der Ueberlegenheit des Geistes, nur der Aristokratie der Intel¬ ligenz und Tugend die Berechtigung zur Herrschaft zu und bekämpften deshalb die Volksherrschaft, bei welcher sie edleres Streben, höhere Einsicht und That¬ kraft vermißten. Wie Platon waren die Pythagoreer durchaus konservativ und aristokratisch gesinnt und verleugneten nicht ihre Verachtung der Demokratie, welche am schärfsten in den dem Pythagoras zugeschriebenen Worten ausge¬ sprochen ist: „Der Haufe ist ein schlechter Beurtheiler des Edlen. Deshalb verachte sein Lob, verachte seinen Tadel. Die Brüder ehre wie die Götter; die übrigen Menschen halte für eine werthlose Menge. Mit den ,Bohnen' it. h. den Demokraten) führe immerdar Krieg." Auch der Ausdruck „Brüder" deutet, ohne daß man darin eine freimaurerische Beziehung zu wittern braucht, auf eine der platonischen ähnliche familienhafte oder vielmehr sozialistische Art des Zusammenlebens hin. Eine lange und strenge Prüfung ging auch der Aufnahme in den Pythagoreerbund voraus, und die mäßige und sittlich strenge Lebensweise, die gemeinsamen Mahlzeiten, vielleicht auch Gütergemeinschaft, bilden noch weitere Analogieen. Die Pythagoreer bedeckten das Wesen ihres Bundes mit einem gewissen Geheimniß, und Platon weist seine Herrscherkaste an, über die tieferen politischen Ideen und Motive der Menge gegenüber Schweigen zu beobachten. Die unbedingte und undiskutirbare Unterwerfung unter die Autorität der überlieferten Ordnungen und ihrer Vertreter, in dein Pythagoreischen «Z/ro? Ly?« gipfelnd, die innige Verschmelzung von sozialen, ethischen und politischen Elementen, die erhabene Stellung der herrschenden Kaste und ihre strenge Scheidung von den andern sind Elemente des platoni¬ schen Staatsentwnrfs, welche sich kaum aus etwas Anderem als dem Pytha- goreismus herleiten lassen. Ist es uns im Vorstehenden gelungen, eine Anzahl sozialistischer und kom¬ munistischer Ideen schon im alten Hellas nachzuweisen, so sehen wir uus dagegen vergebens nach einer Thatsache um, welche auf das Vorhandensein der Idee vom „Internationalismus" schließen ließe. Der Gedanke an die Gleich¬ berechtigung und Gleichbefähigung der Völker war dem Alterthum völlig fremd und hat sich erst langsam mit der Verbreitung der klassischen Kultur, vorzüglich an der Hand des Alles einigen wollenden Christenthums, entwickelt. Dem Hellenen galten alle andern Völkern als Barbaren, die auf eine Gleichstellung mit ihm keinen Anspruch hatten. Das Höchste, wozu man vor Alexander sich erhob, war die Erkenntniß, daß innerhalb der griechischen Stämme Freiheit, Grenzboten II, 1879. . 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/465>, abgerufen am 20.10.2024.