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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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mittelbar mit dem Aufblick zu Gott, verkläre sich zu lauterer Frömmigkeit.
Aber kaum zum Mannesalter herangereift, verliert der Dichter Beatrice, der Tod
entreißt ihm die !vieruudzwanzigjährige, mit einem andern Manne, wie es
scheint, wider ihren Willen, unglücklich vermählte. Unter diesem schweren
Geschick bricht Dante's Glaube, Dante's Ergebung zusammen. Auf den Wegen
der Religion findet er keinen Trost, er sucht ihn nun in den Armen der Philo¬
sophie. Er schildert sie als ein holdes Mädchen, als eine Dornig, Asutilo, in
deren Blicken er einen Abglanz von Beatrice's Liebe und den Ausdruck himm¬
lischen Erbarmens zu erkennen glaubt. Es ist wohl wahrscheinlich -- auch
Witte, wenigstens im zweiten Bande, weist es nicht zurück --, daß auch hier
die Liebe zu einem irdischen Weibe und die Liebe zur Philosophie sich vereinigten.
Aber auch auf dem Gebiete der Philosophie entzieht sich ihm der Friede, sein Suchen
ist vergeblich, sein Streben fruchtlos. Diese Periode seiner Entwickelung schildert
das Qvnvivio ^.invro80. Da erweckt die Gnade Gottes den Strahl der Reli¬
gion von neuem in seiner Brust, er wendet sich von dem Uebermuth der
Philosophie, die das Unerforschliche erforschen Mit, zum Glauben und zur
Liebe, zur verklärten Beatrice zurück. Aber diese Rückkehr schließt doch eine
Veränderung in sich, sein Glaube ist nicht mehr der unbewußt naive der Jugend,
er ist wissenschaftlich gestählt, und die zum Himmel erhobene Beatrice ist ihm
zum strahlenden Symbol der Königin der Wissenschaften, der erleuchteten und
lichtspendenden Theologie, geworden. Dies abschließende, vollendende Stadium
in Dante's Entwickelung reprüsentirt die Göttliche Komödie. Was der Dichter
innerlich erlebt, hat aber eine allgemeine Bedeutung, es ist der Weg, den alle
Christen, bis auf wenig Auserwählte, gehen müssen, um zum Heil zu gelangen.
Und so steht der Dichter zugleich als das ganze gefallene und zur Erlösung
berufene Menschengeschlecht da, auf dem tausend verschiedene Sünden lasten,
dem aber der Heiland auch tausend Arme reicht, um es vom Abgrunde an
seine Brust zu reißen. Die Hölle ist das Symbol der fortgesetzten, unbereuter
Sünde, die Strafe ist die That selber; das Fegefeuer stellt die fortgesetzte Reue
dar, ihre Strafen find Bußübungen, welche die Sünder von der Sünde ent¬
wöhnen sollen, nicht von der zürnenden Gerechtigkeit, sondern von der heilenden
Liebe Gottes auferlegt. Das Paradies endlich zeigt den Zustand der Seelen, in
welchem sie, gereinigt von der Sünde, die volle, wenn auch abgestufte Ge¬
meinschaft mit Gott genießen.

An den Jdeenkreis dieses Aufsatzes schließt sich die Abhandlung des zweiten
Bandes "Dante's Sündensystem in Hölle und Fegefeuer" an. Wir heben
namentlich zwei Abschnitte daraus hervor, welche die allgemeinen Prinzipien
enthalten, und verzichten darauf, die übrigen, auf einzelne Momente gerichteten
Untersuchungen ins Auge zu fassen. "Dante's Grundprinzip für Strafe" ist
das Thema des einen Abschnittes. Strafen im engeren Sinne werden nur
über die Bewohner der Hölle verhängt, sie gehen von der Gerechtigkeit aus und
haben keinen andern Zweck als die Vergeltung böser Thaten. Bestraft wird
aber nur die That, nicht der sündhafte Antrieb, aus dem sie hervorging, wie
denn auch die Höllenstrafen in der rastlosen Fortdauer der zur Qual gewordenen
sündhaften Thätigkeit bestehen. Die Gesinnung, in der die sündhafte That
verübt ward, kommt nur in Betracht, um die Verantwortlichkeit des Thäters
oder die besondere Art des Verbrechens zu bestimmen. Dagegen sind -- wie
in dem zweiten Abschnitt "Dante's Grundprinzip für Buße" ausgeführt wird --
die Schmerze" des Purgatoriums nicht Strafen im engeren Sinne, sondern
Züchtigungen, und die ihnen unterworfnen wissen, daß sie nur zu ihrem Heil


mittelbar mit dem Aufblick zu Gott, verkläre sich zu lauterer Frömmigkeit.
Aber kaum zum Mannesalter herangereift, verliert der Dichter Beatrice, der Tod
entreißt ihm die !vieruudzwanzigjährige, mit einem andern Manne, wie es
scheint, wider ihren Willen, unglücklich vermählte. Unter diesem schweren
Geschick bricht Dante's Glaube, Dante's Ergebung zusammen. Auf den Wegen
der Religion findet er keinen Trost, er sucht ihn nun in den Armen der Philo¬
sophie. Er schildert sie als ein holdes Mädchen, als eine Dornig, Asutilo, in
deren Blicken er einen Abglanz von Beatrice's Liebe und den Ausdruck himm¬
lischen Erbarmens zu erkennen glaubt. Es ist wohl wahrscheinlich — auch
Witte, wenigstens im zweiten Bande, weist es nicht zurück —, daß auch hier
die Liebe zu einem irdischen Weibe und die Liebe zur Philosophie sich vereinigten.
Aber auch auf dem Gebiete der Philosophie entzieht sich ihm der Friede, sein Suchen
ist vergeblich, sein Streben fruchtlos. Diese Periode seiner Entwickelung schildert
das Qvnvivio ^.invro80. Da erweckt die Gnade Gottes den Strahl der Reli¬
gion von neuem in seiner Brust, er wendet sich von dem Uebermuth der
Philosophie, die das Unerforschliche erforschen Mit, zum Glauben und zur
Liebe, zur verklärten Beatrice zurück. Aber diese Rückkehr schließt doch eine
Veränderung in sich, sein Glaube ist nicht mehr der unbewußt naive der Jugend,
er ist wissenschaftlich gestählt, und die zum Himmel erhobene Beatrice ist ihm
zum strahlenden Symbol der Königin der Wissenschaften, der erleuchteten und
lichtspendenden Theologie, geworden. Dies abschließende, vollendende Stadium
in Dante's Entwickelung reprüsentirt die Göttliche Komödie. Was der Dichter
innerlich erlebt, hat aber eine allgemeine Bedeutung, es ist der Weg, den alle
Christen, bis auf wenig Auserwählte, gehen müssen, um zum Heil zu gelangen.
Und so steht der Dichter zugleich als das ganze gefallene und zur Erlösung
berufene Menschengeschlecht da, auf dem tausend verschiedene Sünden lasten,
dem aber der Heiland auch tausend Arme reicht, um es vom Abgrunde an
seine Brust zu reißen. Die Hölle ist das Symbol der fortgesetzten, unbereuter
Sünde, die Strafe ist die That selber; das Fegefeuer stellt die fortgesetzte Reue
dar, ihre Strafen find Bußübungen, welche die Sünder von der Sünde ent¬
wöhnen sollen, nicht von der zürnenden Gerechtigkeit, sondern von der heilenden
Liebe Gottes auferlegt. Das Paradies endlich zeigt den Zustand der Seelen, in
welchem sie, gereinigt von der Sünde, die volle, wenn auch abgestufte Ge¬
meinschaft mit Gott genießen.

An den Jdeenkreis dieses Aufsatzes schließt sich die Abhandlung des zweiten
Bandes „Dante's Sündensystem in Hölle und Fegefeuer" an. Wir heben
namentlich zwei Abschnitte daraus hervor, welche die allgemeinen Prinzipien
enthalten, und verzichten darauf, die übrigen, auf einzelne Momente gerichteten
Untersuchungen ins Auge zu fassen. „Dante's Grundprinzip für Strafe" ist
das Thema des einen Abschnittes. Strafen im engeren Sinne werden nur
über die Bewohner der Hölle verhängt, sie gehen von der Gerechtigkeit aus und
haben keinen andern Zweck als die Vergeltung böser Thaten. Bestraft wird
aber nur die That, nicht der sündhafte Antrieb, aus dem sie hervorging, wie
denn auch die Höllenstrafen in der rastlosen Fortdauer der zur Qual gewordenen
sündhaften Thätigkeit bestehen. Die Gesinnung, in der die sündhafte That
verübt ward, kommt nur in Betracht, um die Verantwortlichkeit des Thäters
oder die besondere Art des Verbrechens zu bestimmen. Dagegen sind — wie
in dem zweiten Abschnitt „Dante's Grundprinzip für Buße" ausgeführt wird —
die Schmerze» des Purgatoriums nicht Strafen im engeren Sinne, sondern
Züchtigungen, und die ihnen unterworfnen wissen, daß sie nur zu ihrem Heil


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[0442] mittelbar mit dem Aufblick zu Gott, verkläre sich zu lauterer Frömmigkeit. Aber kaum zum Mannesalter herangereift, verliert der Dichter Beatrice, der Tod entreißt ihm die !vieruudzwanzigjährige, mit einem andern Manne, wie es scheint, wider ihren Willen, unglücklich vermählte. Unter diesem schweren Geschick bricht Dante's Glaube, Dante's Ergebung zusammen. Auf den Wegen der Religion findet er keinen Trost, er sucht ihn nun in den Armen der Philo¬ sophie. Er schildert sie als ein holdes Mädchen, als eine Dornig, Asutilo, in deren Blicken er einen Abglanz von Beatrice's Liebe und den Ausdruck himm¬ lischen Erbarmens zu erkennen glaubt. Es ist wohl wahrscheinlich — auch Witte, wenigstens im zweiten Bande, weist es nicht zurück —, daß auch hier die Liebe zu einem irdischen Weibe und die Liebe zur Philosophie sich vereinigten. Aber auch auf dem Gebiete der Philosophie entzieht sich ihm der Friede, sein Suchen ist vergeblich, sein Streben fruchtlos. Diese Periode seiner Entwickelung schildert das Qvnvivio ^.invro80. Da erweckt die Gnade Gottes den Strahl der Reli¬ gion von neuem in seiner Brust, er wendet sich von dem Uebermuth der Philosophie, die das Unerforschliche erforschen Mit, zum Glauben und zur Liebe, zur verklärten Beatrice zurück. Aber diese Rückkehr schließt doch eine Veränderung in sich, sein Glaube ist nicht mehr der unbewußt naive der Jugend, er ist wissenschaftlich gestählt, und die zum Himmel erhobene Beatrice ist ihm zum strahlenden Symbol der Königin der Wissenschaften, der erleuchteten und lichtspendenden Theologie, geworden. Dies abschließende, vollendende Stadium in Dante's Entwickelung reprüsentirt die Göttliche Komödie. Was der Dichter innerlich erlebt, hat aber eine allgemeine Bedeutung, es ist der Weg, den alle Christen, bis auf wenig Auserwählte, gehen müssen, um zum Heil zu gelangen. Und so steht der Dichter zugleich als das ganze gefallene und zur Erlösung berufene Menschengeschlecht da, auf dem tausend verschiedene Sünden lasten, dem aber der Heiland auch tausend Arme reicht, um es vom Abgrunde an seine Brust zu reißen. Die Hölle ist das Symbol der fortgesetzten, unbereuter Sünde, die Strafe ist die That selber; das Fegefeuer stellt die fortgesetzte Reue dar, ihre Strafen find Bußübungen, welche die Sünder von der Sünde ent¬ wöhnen sollen, nicht von der zürnenden Gerechtigkeit, sondern von der heilenden Liebe Gottes auferlegt. Das Paradies endlich zeigt den Zustand der Seelen, in welchem sie, gereinigt von der Sünde, die volle, wenn auch abgestufte Ge¬ meinschaft mit Gott genießen. An den Jdeenkreis dieses Aufsatzes schließt sich die Abhandlung des zweiten Bandes „Dante's Sündensystem in Hölle und Fegefeuer" an. Wir heben namentlich zwei Abschnitte daraus hervor, welche die allgemeinen Prinzipien enthalten, und verzichten darauf, die übrigen, auf einzelne Momente gerichteten Untersuchungen ins Auge zu fassen. „Dante's Grundprinzip für Strafe" ist das Thema des einen Abschnittes. Strafen im engeren Sinne werden nur über die Bewohner der Hölle verhängt, sie gehen von der Gerechtigkeit aus und haben keinen andern Zweck als die Vergeltung böser Thaten. Bestraft wird aber nur die That, nicht der sündhafte Antrieb, aus dem sie hervorging, wie denn auch die Höllenstrafen in der rastlosen Fortdauer der zur Qual gewordenen sündhaften Thätigkeit bestehen. Die Gesinnung, in der die sündhafte That verübt ward, kommt nur in Betracht, um die Verantwortlichkeit des Thäters oder die besondere Art des Verbrechens zu bestimmen. Dagegen sind — wie in dem zweiten Abschnitt „Dante's Grundprinzip für Buße" ausgeführt wird — die Schmerze» des Purgatoriums nicht Strafen im engeren Sinne, sondern Züchtigungen, und die ihnen unterworfnen wissen, daß sie nur zu ihrem Heil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/442>, abgerufen am 27.12.2024.