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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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geweihte Tag ist der 30. Mai. Es lag nahe, daß Dante, wenn er an diesem
Tag geboren war, in jener Lucia eine Fürsprecherin voraussetzen konnte.

In Ravenna starb der Dichter. Seine Leiche wurde bei der Franziskaner-
kirche in einem steinernen Sarkophage beigesetzt. Seit dem Jahre 1321, seinem
Todesjahre, ist an diese Grabstätte mehrfach gerührt worden; 1483 wurde sie
mit Basreliefs geschmückt; 1692, als das Gewölbe der Kapelle mit Einsturz
drohte, und das Denkmal selbst Schaden zu leiden anfing, unternahm der päpst¬
liche Kardinallegat Domenico Cvrsi eine umfassende Reparatur, wobei das Ge¬
bäude mit einem eisernen Gitter umgeben wurde. In diesem Unternehmen sahen
aber die Franziskaner einen Eingriff in ihre Rechte und wollten die Arbeiter
vertreiben, sodaß die städtische Behörde sie durch Polizeimannschaft schützen
mußte. 1780 wurde die Kapelle in einen eleganten kleinen Tempel verwandelt,
eine Gestalt, in der sie noch jetzt besteht.

Um diese Zeit verbreitete sich das Gerücht, der Sarkophag sei leer, und
die Notiz des Geschichtschreibers Camillo Spreti, daß man gefunden habe,
was erforderlich sei, um die Wahrheit zu offenbare", war natürlich wenig ge¬
eignet, dies Gerücht zum Schweigen zu bringen. Im Jubeljahr 1865 beab¬
sichtigten die Ravennciten, einige bauliche Reparaturen an der vermeintlichen
Grabstätte Dante's und in der nächsten Umgebung derselben vorzunehmen.
Hierbei wurde nach Oeffnung einer vermauerten Thür eine hölzerne Kiste gefunden,
welche menschliche Gebeine enthielt. Auf der inneren Seite des Deckels der Kiste
war mit Tinte geschrieben: Oanti8 oss". vonnxsr rsvisa, aus 3^ ^null 1677;
auf der Außenseite des Seitenbrettes von derselben Hand: Oiintis ossa, s. ins
Z?rß Antonio Lanti nie xosiw. ^uno 1677. alis 18 ^ Octobris. Vermuthlich
soll das erste Datum den Tag des Einsammelns und Bergens der Ueberreste
des Dichters, das andere den des Einmauerns der Kiste angeben. Bei der
Eröffnung des Sarkophages fanden sich nur drei Knöchelchen, die an den
übrigen Resten fehlten. Die Echtheit derselben ist also keinem Zweifel unter¬
worfen.

Was mag wohl die Veranlassung gewesen sein, die Gebeine Dante's aus
der ursprünglichen Grabstätte zu entfernen? Witte sucht eine solche darin zu
finden, daß die Gerechtsame des Klosters nur so geschützt werden konnten.
War doch ein entronnener Gefangener, der verfolgt das Gitter der Grabkapelle
Dante's, im Vertrauen auf das Asylrecht der Kirche, ergriffen hatte, von den
Häschern gewaltsam fortgerissen worden, und die dieses Vorgehen billigende
Staatsbehörde hatte sich darauf berufen, daß jene Grabkapelle, weil sie die
Gebeine eines Ketzers berge, ihre geistlichen Vorrechte eingebüßt habe. Darauf
antworteten die Mönche, daß Dante's Ueberreste sich weder in der Kapelle noch
im Mausoleum befänden, und eine in der Kapelle v.orhandene Inschrift dies


geweihte Tag ist der 30. Mai. Es lag nahe, daß Dante, wenn er an diesem
Tag geboren war, in jener Lucia eine Fürsprecherin voraussetzen konnte.

In Ravenna starb der Dichter. Seine Leiche wurde bei der Franziskaner-
kirche in einem steinernen Sarkophage beigesetzt. Seit dem Jahre 1321, seinem
Todesjahre, ist an diese Grabstätte mehrfach gerührt worden; 1483 wurde sie
mit Basreliefs geschmückt; 1692, als das Gewölbe der Kapelle mit Einsturz
drohte, und das Denkmal selbst Schaden zu leiden anfing, unternahm der päpst¬
liche Kardinallegat Domenico Cvrsi eine umfassende Reparatur, wobei das Ge¬
bäude mit einem eisernen Gitter umgeben wurde. In diesem Unternehmen sahen
aber die Franziskaner einen Eingriff in ihre Rechte und wollten die Arbeiter
vertreiben, sodaß die städtische Behörde sie durch Polizeimannschaft schützen
mußte. 1780 wurde die Kapelle in einen eleganten kleinen Tempel verwandelt,
eine Gestalt, in der sie noch jetzt besteht.

Um diese Zeit verbreitete sich das Gerücht, der Sarkophag sei leer, und
die Notiz des Geschichtschreibers Camillo Spreti, daß man gefunden habe,
was erforderlich sei, um die Wahrheit zu offenbare», war natürlich wenig ge¬
eignet, dies Gerücht zum Schweigen zu bringen. Im Jubeljahr 1865 beab¬
sichtigten die Ravennciten, einige bauliche Reparaturen an der vermeintlichen
Grabstätte Dante's und in der nächsten Umgebung derselben vorzunehmen.
Hierbei wurde nach Oeffnung einer vermauerten Thür eine hölzerne Kiste gefunden,
welche menschliche Gebeine enthielt. Auf der inneren Seite des Deckels der Kiste
war mit Tinte geschrieben: Oanti8 oss». vonnxsr rsvisa, aus 3^ ^null 1677;
auf der Außenseite des Seitenbrettes von derselben Hand: Oiintis ossa, s. ins
Z?rß Antonio Lanti nie xosiw. ^uno 1677. alis 18 ^ Octobris. Vermuthlich
soll das erste Datum den Tag des Einsammelns und Bergens der Ueberreste
des Dichters, das andere den des Einmauerns der Kiste angeben. Bei der
Eröffnung des Sarkophages fanden sich nur drei Knöchelchen, die an den
übrigen Resten fehlten. Die Echtheit derselben ist also keinem Zweifel unter¬
worfen.

Was mag wohl die Veranlassung gewesen sein, die Gebeine Dante's aus
der ursprünglichen Grabstätte zu entfernen? Witte sucht eine solche darin zu
finden, daß die Gerechtsame des Klosters nur so geschützt werden konnten.
War doch ein entronnener Gefangener, der verfolgt das Gitter der Grabkapelle
Dante's, im Vertrauen auf das Asylrecht der Kirche, ergriffen hatte, von den
Häschern gewaltsam fortgerissen worden, und die dieses Vorgehen billigende
Staatsbehörde hatte sich darauf berufen, daß jene Grabkapelle, weil sie die
Gebeine eines Ketzers berge, ihre geistlichen Vorrechte eingebüßt habe. Darauf
antworteten die Mönche, daß Dante's Ueberreste sich weder in der Kapelle noch
im Mausoleum befänden, und eine in der Kapelle v.orhandene Inschrift dies


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/440>, abgerufen am 18.06.2024.