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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Beamte bis zum Dorfschulzen herab anzustellen, eine Kouvertitenkasse zu er¬
richten und sorgfältig die Zwietracht zwischen den Lutheranern und Reformisten
zu schüren. Eine gewaltsame Zurückführung des Volkes zum katholischen
Glauben endlich wurde in dieser Zeit von dem Herzog von Württemberg und
seinen jesuitischen Rathgebern in Verbindung mit einer Abschaffung der Ver¬
fassung geplant, und hiervon sowie von dem jüdischen Abenteurer, der zu diesem
Staatsstreiche das Geld zu beschaffen hatte, wollen wir nun erzählen.

Württemberg besaß seit zwei Jahrhunderten eine Verfassung, welche die
Gewalt seiner Fürsten außerordentlich beschränkte. Nach dem Testamente
Eberhard's im Barte und dem Tübinger Vertrage von 1514 mußte der Herzog,
bevor man ihm die Erbhuldigung leistete, die Landesverfassung beschwören,
und seine Unterthanen waren ihm nur verfassungsmäßigen Gehorsam schuldig.
Der Württemberger konnte nur durch seinen natürlichen Richter verhaftet und
gestraft werden. Jeder hatte das Recht, Waffen zu tragen, zum Kriegsdienste
aber konnte nur mit Bewilligung der Stände ausgehoben werden. Alles Eigen¬
thum war unverletzlich. Man zahlte nur solche Abgaben, welche die Volks¬
vertretung gutgeheißen hatte. Die Gemeindeordnung war nach dem Grund¬
satze vollkommener Selbstverwaltung eingerichtet. Monopole waren ungesetzlich.

Hüter dieser Landesfreiheiten waren die Stände, deren Versammlung sich
aus 14 Prälaten und 70 Abgeordneten von Städten und Aemtern zusammen¬
setzte. Ritter saßen damals nicht darin. Die Stände hatten sehr wichtige
Rechte. Sie konnten jede Vorlage des Herzogs berathen, annehmen oder ab¬
lehnen, gegen einzelne Personen und Maßregeln der Regierung, sowie gegen
deren ganzes System Vorstellungen machen und den Fürsten auf die Bedin¬
gungen hinweisen, unter welchen allein ihm Gehorsam gelobt worden. Sie
hatten das Recht des verfassungsmäßigen Widerstandes und der Steuerver¬
weigerung. Sie konnten die Gesetzvorfchläge der herzoglichen Regierung um¬
wandeln oder ganz neue Vorlagen nach ihrem Sinne verlangen. Ohne sie zu
befragen durfte der Herzog nichts vom Kammergut oder Staatsgebiet veräußern
oder vertauschen. Einen Angriffskrieg durfte er nur dann ohne ihre Zustim¬
mung führen, wenn er ihn mit gewordenen Freiwilligen und mit eigenen Mitteln
unternehmen wollte.

Die Landesversammlung trat selten zusammen. Da sie aber die Aufgabe
hatte, über die Regierung eine beständige Aufsicht zu führen, so waren zwei
Ausschüsse, ein engerer und ein weiterer, bestellt, von denen jener, aus zwei
Mitgliedern der Prälarenbank und sechs Abgeordneten der Städte und Aemter
bestehend, immer beisammen blieb und sich beim Abgänge eines seiner Mit¬
glieder selbst ergänzte. Der weitere Ausschuß wurde nur dann einberufen,
wenn es über besonders wichtige Fragen Beschluß zu fassen galt.


Beamte bis zum Dorfschulzen herab anzustellen, eine Kouvertitenkasse zu er¬
richten und sorgfältig die Zwietracht zwischen den Lutheranern und Reformisten
zu schüren. Eine gewaltsame Zurückführung des Volkes zum katholischen
Glauben endlich wurde in dieser Zeit von dem Herzog von Württemberg und
seinen jesuitischen Rathgebern in Verbindung mit einer Abschaffung der Ver¬
fassung geplant, und hiervon sowie von dem jüdischen Abenteurer, der zu diesem
Staatsstreiche das Geld zu beschaffen hatte, wollen wir nun erzählen.

Württemberg besaß seit zwei Jahrhunderten eine Verfassung, welche die
Gewalt seiner Fürsten außerordentlich beschränkte. Nach dem Testamente
Eberhard's im Barte und dem Tübinger Vertrage von 1514 mußte der Herzog,
bevor man ihm die Erbhuldigung leistete, die Landesverfassung beschwören,
und seine Unterthanen waren ihm nur verfassungsmäßigen Gehorsam schuldig.
Der Württemberger konnte nur durch seinen natürlichen Richter verhaftet und
gestraft werden. Jeder hatte das Recht, Waffen zu tragen, zum Kriegsdienste
aber konnte nur mit Bewilligung der Stände ausgehoben werden. Alles Eigen¬
thum war unverletzlich. Man zahlte nur solche Abgaben, welche die Volks¬
vertretung gutgeheißen hatte. Die Gemeindeordnung war nach dem Grund¬
satze vollkommener Selbstverwaltung eingerichtet. Monopole waren ungesetzlich.

Hüter dieser Landesfreiheiten waren die Stände, deren Versammlung sich
aus 14 Prälaten und 70 Abgeordneten von Städten und Aemtern zusammen¬
setzte. Ritter saßen damals nicht darin. Die Stände hatten sehr wichtige
Rechte. Sie konnten jede Vorlage des Herzogs berathen, annehmen oder ab¬
lehnen, gegen einzelne Personen und Maßregeln der Regierung, sowie gegen
deren ganzes System Vorstellungen machen und den Fürsten auf die Bedin¬
gungen hinweisen, unter welchen allein ihm Gehorsam gelobt worden. Sie
hatten das Recht des verfassungsmäßigen Widerstandes und der Steuerver¬
weigerung. Sie konnten die Gesetzvorfchläge der herzoglichen Regierung um¬
wandeln oder ganz neue Vorlagen nach ihrem Sinne verlangen. Ohne sie zu
befragen durfte der Herzog nichts vom Kammergut oder Staatsgebiet veräußern
oder vertauschen. Einen Angriffskrieg durfte er nur dann ohne ihre Zustim¬
mung führen, wenn er ihn mit gewordenen Freiwilligen und mit eigenen Mitteln
unternehmen wollte.

Die Landesversammlung trat selten zusammen. Da sie aber die Aufgabe
hatte, über die Regierung eine beständige Aufsicht zu führen, so waren zwei
Ausschüsse, ein engerer und ein weiterer, bestellt, von denen jener, aus zwei
Mitgliedern der Prälarenbank und sechs Abgeordneten der Städte und Aemter
bestehend, immer beisammen blieb und sich beim Abgänge eines seiner Mit¬
glieder selbst ergänzte. Der weitere Ausschuß wurde nur dann einberufen,
wenn es über besonders wichtige Fragen Beschluß zu fassen galt.


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[0388] Beamte bis zum Dorfschulzen herab anzustellen, eine Kouvertitenkasse zu er¬ richten und sorgfältig die Zwietracht zwischen den Lutheranern und Reformisten zu schüren. Eine gewaltsame Zurückführung des Volkes zum katholischen Glauben endlich wurde in dieser Zeit von dem Herzog von Württemberg und seinen jesuitischen Rathgebern in Verbindung mit einer Abschaffung der Ver¬ fassung geplant, und hiervon sowie von dem jüdischen Abenteurer, der zu diesem Staatsstreiche das Geld zu beschaffen hatte, wollen wir nun erzählen. Württemberg besaß seit zwei Jahrhunderten eine Verfassung, welche die Gewalt seiner Fürsten außerordentlich beschränkte. Nach dem Testamente Eberhard's im Barte und dem Tübinger Vertrage von 1514 mußte der Herzog, bevor man ihm die Erbhuldigung leistete, die Landesverfassung beschwören, und seine Unterthanen waren ihm nur verfassungsmäßigen Gehorsam schuldig. Der Württemberger konnte nur durch seinen natürlichen Richter verhaftet und gestraft werden. Jeder hatte das Recht, Waffen zu tragen, zum Kriegsdienste aber konnte nur mit Bewilligung der Stände ausgehoben werden. Alles Eigen¬ thum war unverletzlich. Man zahlte nur solche Abgaben, welche die Volks¬ vertretung gutgeheißen hatte. Die Gemeindeordnung war nach dem Grund¬ satze vollkommener Selbstverwaltung eingerichtet. Monopole waren ungesetzlich. Hüter dieser Landesfreiheiten waren die Stände, deren Versammlung sich aus 14 Prälaten und 70 Abgeordneten von Städten und Aemtern zusammen¬ setzte. Ritter saßen damals nicht darin. Die Stände hatten sehr wichtige Rechte. Sie konnten jede Vorlage des Herzogs berathen, annehmen oder ab¬ lehnen, gegen einzelne Personen und Maßregeln der Regierung, sowie gegen deren ganzes System Vorstellungen machen und den Fürsten auf die Bedin¬ gungen hinweisen, unter welchen allein ihm Gehorsam gelobt worden. Sie hatten das Recht des verfassungsmäßigen Widerstandes und der Steuerver¬ weigerung. Sie konnten die Gesetzvorfchläge der herzoglichen Regierung um¬ wandeln oder ganz neue Vorlagen nach ihrem Sinne verlangen. Ohne sie zu befragen durfte der Herzog nichts vom Kammergut oder Staatsgebiet veräußern oder vertauschen. Einen Angriffskrieg durfte er nur dann ohne ihre Zustim¬ mung führen, wenn er ihn mit gewordenen Freiwilligen und mit eigenen Mitteln unternehmen wollte. Die Landesversammlung trat selten zusammen. Da sie aber die Aufgabe hatte, über die Regierung eine beständige Aufsicht zu führen, so waren zwei Ausschüsse, ein engerer und ein weiterer, bestellt, von denen jener, aus zwei Mitgliedern der Prälarenbank und sechs Abgeordneten der Städte und Aemter bestehend, immer beisammen blieb und sich beim Abgänge eines seiner Mit¬ glieder selbst ergänzte. Der weitere Ausschuß wurde nur dann einberufen, wenn es über besonders wichtige Fragen Beschluß zu fassen galt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/388>, abgerufen am 20.10.2024.