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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bat. Moser war Mann genug, dies Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Darauf
erfolgte eine Resolution des Reichshofraths, ihn sofort freizulassen, und endlich
25. Sept. 1764 die Freilassung.

Wunderbarer Weise hatte die schwere Haft seiner Gesundheit nicht geschadet;
auch sein rastloser Thätigkeitstrieb hatte sich Befriedigung zu verschaffen gewußt.
Man hatte ihm alles Schreibmaterial entzogen, aber er kratzte mit einer Licht¬
scheue in die weiße Wand ein, und mit derselben Lichtscheere in den Rücken des
Papieres seiner Bibel und seines Gesangbuchs. Und was kratzte er auf diese
Weise zusammen! Ueber 1000 geistliche Lieder, später in 114 Bogen gedruckt!
34 Werke vermischten Inhalts, z. B. "Grundsätze des Besteuerungsrechts derer
Reichsstände", "Eines alten Mannes muntere Stunden während seines Festungs¬
arrests", "Politische und philosophische Gedanken beim Hühnerfüttern", "Reise¬
beschreibung in's Land der Altgebräuchler" u. s. w.

Von dem, was man sich gewöhnlich unter einem Pietisten vorstellt, hatte der
alte Moser gar nichts. Ein rüstiger alter Herr, breitschultrig und wohlbeleibt,
mit hochrothem Gesicht und festem, klarem Auge, in allen Geschäften des prak¬
tischen Lebens bewandert und von einer Rührigkeit, die keinen Augenblick Muße
erträgt; der in seinem siebzigsten Jahr ohne Beihilfe der Hände einen Tisch
zwischen die Zähne nimmt und auf demselben der Gesellschaft Kaffee präsentirt;
ein streitfertiger alter Herr, der in einer Periode allgemeiner Hundedemuth
keinen Anstand nimmt, gegen Groß und Klein laut und vernehmlich zu reden.

Am 12. August 1759 war die unglückliche Schlacht bei Kunersdorf; die
ganze Armee schien vernichtet. "Non wallisur sse," schreibt Friedrich an
seinen Minister Finkenstein, "as vivrs "Moors, ^s. us suis xlns irMtrs as
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In dieser Situation denkt ihn sich Adolf Menzel in einer seiner
Zeichnungen: er steht am Rande eines Abgrundes, halb zu Tode gehetzt, er¬
wartet aber mit gezücktem Schwerte, festen Blickes die anstürmenden Feinde.

Am 25. August schreibt Winckelmann aus Rom: "Ich nehme mehr Antheil
an dem Unglück meines Vaterlands, als Sie glauben. Einen großen Mann,
ja den größten Mann unglücklich zu sehn, muß den mehrsten Menschen Mitleid
Bregen, geschweige denen, die ihm als geborne Unterthanen gleichsam eigen sind.


bat. Moser war Mann genug, dies Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Darauf
erfolgte eine Resolution des Reichshofraths, ihn sofort freizulassen, und endlich
25. Sept. 1764 die Freilassung.

Wunderbarer Weise hatte die schwere Haft seiner Gesundheit nicht geschadet;
auch sein rastloser Thätigkeitstrieb hatte sich Befriedigung zu verschaffen gewußt.
Man hatte ihm alles Schreibmaterial entzogen, aber er kratzte mit einer Licht¬
scheue in die weiße Wand ein, und mit derselben Lichtscheere in den Rücken des
Papieres seiner Bibel und seines Gesangbuchs. Und was kratzte er auf diese
Weise zusammen! Ueber 1000 geistliche Lieder, später in 114 Bogen gedruckt!
34 Werke vermischten Inhalts, z. B. „Grundsätze des Besteuerungsrechts derer
Reichsstände", „Eines alten Mannes muntere Stunden während seines Festungs¬
arrests", „Politische und philosophische Gedanken beim Hühnerfüttern", „Reise¬
beschreibung in's Land der Altgebräuchler" u. s. w.

Von dem, was man sich gewöhnlich unter einem Pietisten vorstellt, hatte der
alte Moser gar nichts. Ein rüstiger alter Herr, breitschultrig und wohlbeleibt,
mit hochrothem Gesicht und festem, klarem Auge, in allen Geschäften des prak¬
tischen Lebens bewandert und von einer Rührigkeit, die keinen Augenblick Muße
erträgt; der in seinem siebzigsten Jahr ohne Beihilfe der Hände einen Tisch
zwischen die Zähne nimmt und auf demselben der Gesellschaft Kaffee präsentirt;
ein streitfertiger alter Herr, der in einer Periode allgemeiner Hundedemuth
keinen Anstand nimmt, gegen Groß und Klein laut und vernehmlich zu reden.

Am 12. August 1759 war die unglückliche Schlacht bei Kunersdorf; die
ganze Armee schien vernichtet. „Non wallisur sse," schreibt Friedrich an
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In dieser Situation denkt ihn sich Adolf Menzel in einer seiner
Zeichnungen: er steht am Rande eines Abgrundes, halb zu Tode gehetzt, er¬
wartet aber mit gezücktem Schwerte, festen Blickes die anstürmenden Feinde.

Am 25. August schreibt Winckelmann aus Rom: „Ich nehme mehr Antheil
an dem Unglück meines Vaterlands, als Sie glauben. Einen großen Mann,
ja den größten Mann unglücklich zu sehn, muß den mehrsten Menschen Mitleid
Bregen, geschweige denen, die ihm als geborne Unterthanen gleichsam eigen sind.


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[0381] bat. Moser war Mann genug, dies Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Darauf erfolgte eine Resolution des Reichshofraths, ihn sofort freizulassen, und endlich 25. Sept. 1764 die Freilassung. Wunderbarer Weise hatte die schwere Haft seiner Gesundheit nicht geschadet; auch sein rastloser Thätigkeitstrieb hatte sich Befriedigung zu verschaffen gewußt. Man hatte ihm alles Schreibmaterial entzogen, aber er kratzte mit einer Licht¬ scheue in die weiße Wand ein, und mit derselben Lichtscheere in den Rücken des Papieres seiner Bibel und seines Gesangbuchs. Und was kratzte er auf diese Weise zusammen! Ueber 1000 geistliche Lieder, später in 114 Bogen gedruckt! 34 Werke vermischten Inhalts, z. B. „Grundsätze des Besteuerungsrechts derer Reichsstände", „Eines alten Mannes muntere Stunden während seines Festungs¬ arrests", „Politische und philosophische Gedanken beim Hühnerfüttern", „Reise¬ beschreibung in's Land der Altgebräuchler" u. s. w. Von dem, was man sich gewöhnlich unter einem Pietisten vorstellt, hatte der alte Moser gar nichts. Ein rüstiger alter Herr, breitschultrig und wohlbeleibt, mit hochrothem Gesicht und festem, klarem Auge, in allen Geschäften des prak¬ tischen Lebens bewandert und von einer Rührigkeit, die keinen Augenblick Muße erträgt; der in seinem siebzigsten Jahr ohne Beihilfe der Hände einen Tisch zwischen die Zähne nimmt und auf demselben der Gesellschaft Kaffee präsentirt; ein streitfertiger alter Herr, der in einer Periode allgemeiner Hundedemuth keinen Anstand nimmt, gegen Groß und Klein laut und vernehmlich zu reden. Am 12. August 1759 war die unglückliche Schlacht bei Kunersdorf; die ganze Armee schien vernichtet. „Non wallisur sse," schreibt Friedrich an seinen Minister Finkenstein, „as vivrs «Moors, ^s. us suis xlns irMtrs as VUZS Usus. I^S8 fünff as l'^tkairs 8front xirs8 <zns 1'Mg.irs insras; ^js n'al I^us dö rsssoarizks, se, Z, us zzoiiit msntir, Sö crois tont xsrcku." Und an seinen Bruder Prinz Heinrich: „Iisxi-s8fut6^-vou3, ckans estts frustis eriss, tont 6v «zuo soutkro M0Q esxrit, se vous ^UAsrss kg,ol1srasnt qr>.s Is tori.rrQSQt as8 6tous8 ri'su axxroetis x»as." Doch schon vier Tage darauf: ,,I^s niorasut ^ut xaraiWait cis8S8xörs: es u'sse xa8 pus 1s äM^si- us 8vit snsors trsg.^^A. zzz^ig oorllpts^ c^us taut <zus ^'aurai Iss z^sux suvsrt8, ^js 8outisnärai ^'stat eoraws o'k8t wor äsvoir!" In dieser Situation denkt ihn sich Adolf Menzel in einer seiner Zeichnungen: er steht am Rande eines Abgrundes, halb zu Tode gehetzt, er¬ wartet aber mit gezücktem Schwerte, festen Blickes die anstürmenden Feinde. Am 25. August schreibt Winckelmann aus Rom: „Ich nehme mehr Antheil an dem Unglück meines Vaterlands, als Sie glauben. Einen großen Mann, ja den größten Mann unglücklich zu sehn, muß den mehrsten Menschen Mitleid Bregen, geschweige denen, die ihm als geborne Unterthanen gleichsam eigen sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/381>, abgerufen am 27.09.2024.