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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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an der Herausgabe des großen Ortwein'schen Sammelwerkes "Die deutsche
Renaissance" (Leipzig, Seemann) betheiligt. Scheffers wurde nach Leipzig vor
allem für das Fach der Ornamentik berufen, und mit unermüdlichem Eifer
hat er auf diesem Felde, auf welchem er einer der besten Kenner und metho¬
dischsten Lehrer ist, in den vier Jahren seines Leipziger Aufenthaltes gewirkt.
Nicht blos der Kunstakademie, auch der städtischen Gewerbeschule, dem Volks¬
bildungsverein und einem von ihm eigens eingerichteten Privatkursus für
Damen oder, wie er selbst es etwas spröde bezeichnet, "erwachsene Mädchen"
-- es sind "Mädchen" von über dreißig Jahren darunter! -- ist seine ausgiebige
Lehrkraft zu gute gekommen.

Professor M. zur Straßen hat einen Entwickelungsgang durchgemacht, der
einem modernen Vasari den Stoff zu einer musterhaften Künstlerbiographie
liefern könnte. Als Sohn eines armen Goldschmieds in Münster geboren,
mußte er sich unter allerhand Widerwärtigkeiten seine Künstlerlaufbahn förmlich
erkämpfen. Er lernte zuerst bei dem Bildhauer Jmhof in Köln, trat 1854 in
Rauch's Atelier ein und nahm 1857--1862 zweimal einen längeren Aufenthalt
in Italien. 1863 nach Berlin zurückgekehrt, richtete er dort ein eignes Atelier
ein und hatte bald zahlreiche Auftrüge. Im Jahre 1870 wurde er als Pro¬
fessor an die Kunstschule nach Nürnberg berufen, 1875 in gleicher Eigenschaft
nach Leipzig. Unter den plastischen Arbeiten zur Straßen's ist die hervor¬
ragendste unstreitig die anmuthige Gruppe seiner Caritas, die er 1862 in Rom
vollendete, und deren Original sich im Besitze des Bankiers Oppenheim in Köln
befindet. Ueber die Konzeption derselben erzählt die Fama eine Anekdote, so
schön und rührend, daß man sie sofort in eine Künstlerbiographie des Quattro¬
cento versetzen könnte.*) Während aber zur Straßen früher wesentlich in den
Bahnen der Antike sich bewegt hatte und lediglich als Bildhauer thätig gewesen
war, vertiefte er sich in Nürnberg mit Eifer in die altdeutsche Kunst und vor
allem das altdeutsche Kunstgewerbe, und erlangte auf diesem Gebiete bald eine
praktische Vielseitigkeit, die ihn zu den mannichfaltigen Aufgaben, welche in
Leipzig seiner warteten, besonders befähigen mußte, und die er, unterstützt durch
seine gleichzeitige Stellung als Inspektor des Leipziger Kunstgewerbemuseums,
noch fort und fort zu erweitern bemüht ist.

Der Maler G. Schildknecht endlich, aus Fttrth gebürtig, hat seine ersten
Studien auf der Nürnberger Kunstgewerbeschule unter Kreling gemacht, übte
sich darauf in Düsseldorf unter Röling namentlich im Porträtfache und lebte
dann abwechselnd in Wien und München seiner weiteren Ausbildung. Porträts
von ihm und Darstellungen aus dem "historischen Genre" (nach Shakespeare)



*) Bgl. das Leipziger Tageblatt vom 31. Oktober 187S.

an der Herausgabe des großen Ortwein'schen Sammelwerkes „Die deutsche
Renaissance" (Leipzig, Seemann) betheiligt. Scheffers wurde nach Leipzig vor
allem für das Fach der Ornamentik berufen, und mit unermüdlichem Eifer
hat er auf diesem Felde, auf welchem er einer der besten Kenner und metho¬
dischsten Lehrer ist, in den vier Jahren seines Leipziger Aufenthaltes gewirkt.
Nicht blos der Kunstakademie, auch der städtischen Gewerbeschule, dem Volks¬
bildungsverein und einem von ihm eigens eingerichteten Privatkursus für
Damen oder, wie er selbst es etwas spröde bezeichnet, „erwachsene Mädchen"
— es sind „Mädchen" von über dreißig Jahren darunter! — ist seine ausgiebige
Lehrkraft zu gute gekommen.

Professor M. zur Straßen hat einen Entwickelungsgang durchgemacht, der
einem modernen Vasari den Stoff zu einer musterhaften Künstlerbiographie
liefern könnte. Als Sohn eines armen Goldschmieds in Münster geboren,
mußte er sich unter allerhand Widerwärtigkeiten seine Künstlerlaufbahn förmlich
erkämpfen. Er lernte zuerst bei dem Bildhauer Jmhof in Köln, trat 1854 in
Rauch's Atelier ein und nahm 1857—1862 zweimal einen längeren Aufenthalt
in Italien. 1863 nach Berlin zurückgekehrt, richtete er dort ein eignes Atelier
ein und hatte bald zahlreiche Auftrüge. Im Jahre 1870 wurde er als Pro¬
fessor an die Kunstschule nach Nürnberg berufen, 1875 in gleicher Eigenschaft
nach Leipzig. Unter den plastischen Arbeiten zur Straßen's ist die hervor¬
ragendste unstreitig die anmuthige Gruppe seiner Caritas, die er 1862 in Rom
vollendete, und deren Original sich im Besitze des Bankiers Oppenheim in Köln
befindet. Ueber die Konzeption derselben erzählt die Fama eine Anekdote, so
schön und rührend, daß man sie sofort in eine Künstlerbiographie des Quattro¬
cento versetzen könnte.*) Während aber zur Straßen früher wesentlich in den
Bahnen der Antike sich bewegt hatte und lediglich als Bildhauer thätig gewesen
war, vertiefte er sich in Nürnberg mit Eifer in die altdeutsche Kunst und vor
allem das altdeutsche Kunstgewerbe, und erlangte auf diesem Gebiete bald eine
praktische Vielseitigkeit, die ihn zu den mannichfaltigen Aufgaben, welche in
Leipzig seiner warteten, besonders befähigen mußte, und die er, unterstützt durch
seine gleichzeitige Stellung als Inspektor des Leipziger Kunstgewerbemuseums,
noch fort und fort zu erweitern bemüht ist.

Der Maler G. Schildknecht endlich, aus Fttrth gebürtig, hat seine ersten
Studien auf der Nürnberger Kunstgewerbeschule unter Kreling gemacht, übte
sich darauf in Düsseldorf unter Röling namentlich im Porträtfache und lebte
dann abwechselnd in Wien und München seiner weiteren Ausbildung. Porträts
von ihm und Darstellungen aus dem „historischen Genre" (nach Shakespeare)



*) Bgl. das Leipziger Tageblatt vom 31. Oktober 187S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/340>, abgerufen am 29.12.2024.