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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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brach ein Bewunderungsgeschrei aus, ein Beifallssturm, der in Wuth aus¬
artete/"

"Betrachten wir uns die hervorragendsten und populärsten dieser Chefs.
Es sind die ausgetrockneten oder die grünen Früchte der Literatur und Advo¬
katur. Jeden Morgen stellen sie sich selbst zum Verkaufe aus, wobei sie die
Zeitungen als Ladentische benutzen. Das überreizte Publikum kauft sie nur,
weil sie sauer oder scharf schmecken. Ihre Köpfe enthalten keine politische Idee,
von praktischer Erfahrung ist nicht die Rede. Der Bildungsballast von Des-
moulins und Loustalot besteht aus Schulzeit-Reminiszenzen, aus Erinnerungen
an das Rechts - Lyceum, aus Gemeinplätzen, die sie bei Raynal und Kon¬
sorten aufgelesen haben. Desmoulins, ein Rechtsanwalt ohne Klienten, der
Chambre garnie wohnte, schreibt: ,Zu meinen Grundsätzen hat sich das Ver¬
gnügen gesellt, mich in Positur zu stellen, die, welche das Schicksal höher gehoben
als mich, auf mein Niveau herabzuziehen, die, welche mich geringgeschätzt haben,
meine Macht fühlen zu lassen. Meine Devise ist die der Biedermänner: nie¬
mand über mir/ Was Brissot und Marat betrifft, so sind sie hochtrabende Prin¬
zipienreiter, welche Frankreich und das Ausland blos durch die Luken ihrer
Dachstuben und die Brillen ihrer Hirngespinnste beobachtet haben. Derlei ge¬
dankenlose oder irregeführte Geister können nicht verfehlen, den ,Gesellschafts-
vertrag/ für ein Evangelium zu halten; denn derselbe reduzirt die Staats¬
wissenschaft auf die ängstlich genaue Anwendung eines Elementargrundsatzes
^ ein Umstand, der die Herren jedes weiteren Studiums überhebt -- und
überliefert die Gesellschaft der Willkür des Volkes, d. h. den Händen dieser
Herren."

Man wird hier, wie bemerkt, überall mehr oder minder deutlich an Züge
der wirthschaftlichen Demagogen unserer Tage erinnert. Der letzte Satz unseres
Zitates aber würde, ein wenig gemildert, von Anfang bis zu Ende auf die
große Mehrzahl unserer Freihändler passen, wenn man an die Stelle des
Evangeliums vom Gesellschaftsverträge das Evangelium vom laissss tairs setzte.
Nicht sowohl auf Grund der Erfahrung, nicht fo sehr auf Kenntniß der realen
Verhältnisse bauten sie ihre Theorie, als auf den Glauben, Alles müsse und
werde gehen, wenn man es von Seiten des Staates nur eben gehen lasse.
Das war aber, wie wir zu unserm Schaden gewahr wurden, Aberglaube.




brach ein Bewunderungsgeschrei aus, ein Beifallssturm, der in Wuth aus¬
artete/"

„Betrachten wir uns die hervorragendsten und populärsten dieser Chefs.
Es sind die ausgetrockneten oder die grünen Früchte der Literatur und Advo¬
katur. Jeden Morgen stellen sie sich selbst zum Verkaufe aus, wobei sie die
Zeitungen als Ladentische benutzen. Das überreizte Publikum kauft sie nur,
weil sie sauer oder scharf schmecken. Ihre Köpfe enthalten keine politische Idee,
von praktischer Erfahrung ist nicht die Rede. Der Bildungsballast von Des-
moulins und Loustalot besteht aus Schulzeit-Reminiszenzen, aus Erinnerungen
an das Rechts - Lyceum, aus Gemeinplätzen, die sie bei Raynal und Kon¬
sorten aufgelesen haben. Desmoulins, ein Rechtsanwalt ohne Klienten, der
Chambre garnie wohnte, schreibt: ,Zu meinen Grundsätzen hat sich das Ver¬
gnügen gesellt, mich in Positur zu stellen, die, welche das Schicksal höher gehoben
als mich, auf mein Niveau herabzuziehen, die, welche mich geringgeschätzt haben,
meine Macht fühlen zu lassen. Meine Devise ist die der Biedermänner: nie¬
mand über mir/ Was Brissot und Marat betrifft, so sind sie hochtrabende Prin¬
zipienreiter, welche Frankreich und das Ausland blos durch die Luken ihrer
Dachstuben und die Brillen ihrer Hirngespinnste beobachtet haben. Derlei ge¬
dankenlose oder irregeführte Geister können nicht verfehlen, den ,Gesellschafts-
vertrag/ für ein Evangelium zu halten; denn derselbe reduzirt die Staats¬
wissenschaft auf die ängstlich genaue Anwendung eines Elementargrundsatzes
^ ein Umstand, der die Herren jedes weiteren Studiums überhebt — und
überliefert die Gesellschaft der Willkür des Volkes, d. h. den Händen dieser
Herren."

Man wird hier, wie bemerkt, überall mehr oder minder deutlich an Züge
der wirthschaftlichen Demagogen unserer Tage erinnert. Der letzte Satz unseres
Zitates aber würde, ein wenig gemildert, von Anfang bis zu Ende auf die
große Mehrzahl unserer Freihändler passen, wenn man an die Stelle des
Evangeliums vom Gesellschaftsverträge das Evangelium vom laissss tairs setzte.
Nicht sowohl auf Grund der Erfahrung, nicht fo sehr auf Kenntniß der realen
Verhältnisse bauten sie ihre Theorie, als auf den Glauben, Alles müsse und
werde gehen, wenn man es von Seiten des Staates nur eben gehen lasse.
Das war aber, wie wir zu unserm Schaden gewahr wurden, Aberglaube.




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[0333] brach ein Bewunderungsgeschrei aus, ein Beifallssturm, der in Wuth aus¬ artete/" „Betrachten wir uns die hervorragendsten und populärsten dieser Chefs. Es sind die ausgetrockneten oder die grünen Früchte der Literatur und Advo¬ katur. Jeden Morgen stellen sie sich selbst zum Verkaufe aus, wobei sie die Zeitungen als Ladentische benutzen. Das überreizte Publikum kauft sie nur, weil sie sauer oder scharf schmecken. Ihre Köpfe enthalten keine politische Idee, von praktischer Erfahrung ist nicht die Rede. Der Bildungsballast von Des- moulins und Loustalot besteht aus Schulzeit-Reminiszenzen, aus Erinnerungen an das Rechts - Lyceum, aus Gemeinplätzen, die sie bei Raynal und Kon¬ sorten aufgelesen haben. Desmoulins, ein Rechtsanwalt ohne Klienten, der Chambre garnie wohnte, schreibt: ,Zu meinen Grundsätzen hat sich das Ver¬ gnügen gesellt, mich in Positur zu stellen, die, welche das Schicksal höher gehoben als mich, auf mein Niveau herabzuziehen, die, welche mich geringgeschätzt haben, meine Macht fühlen zu lassen. Meine Devise ist die der Biedermänner: nie¬ mand über mir/ Was Brissot und Marat betrifft, so sind sie hochtrabende Prin¬ zipienreiter, welche Frankreich und das Ausland blos durch die Luken ihrer Dachstuben und die Brillen ihrer Hirngespinnste beobachtet haben. Derlei ge¬ dankenlose oder irregeführte Geister können nicht verfehlen, den ,Gesellschafts- vertrag/ für ein Evangelium zu halten; denn derselbe reduzirt die Staats¬ wissenschaft auf die ängstlich genaue Anwendung eines Elementargrundsatzes ^ ein Umstand, der die Herren jedes weiteren Studiums überhebt — und überliefert die Gesellschaft der Willkür des Volkes, d. h. den Händen dieser Herren." Man wird hier, wie bemerkt, überall mehr oder minder deutlich an Züge der wirthschaftlichen Demagogen unserer Tage erinnert. Der letzte Satz unseres Zitates aber würde, ein wenig gemildert, von Anfang bis zu Ende auf die große Mehrzahl unserer Freihändler passen, wenn man an die Stelle des Evangeliums vom Gesellschaftsverträge das Evangelium vom laissss tairs setzte. Nicht sowohl auf Grund der Erfahrung, nicht fo sehr auf Kenntniß der realen Verhältnisse bauten sie ihre Theorie, als auf den Glauben, Alles müsse und werde gehen, wenn man es von Seiten des Staates nur eben gehen lasse. Das war aber, wie wir zu unserm Schaden gewahr wurden, Aberglaube.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/333>, abgerufen am 27.12.2024.