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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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durch ihren Einfluß auf die Kollegen die Majorität zu leiten gewohnt sind
und sich diesem Geschäfte das ganze Jahr hindurch theils in der Presse, theils
im Parlamente widmen, sollten sich doch klar machen, daß bei Vorlagen, die
dem Bttrean und der Theorie entspringen, Mängel nur daun sich vermeiden
lassen, wenn einigermaßen Erfahrung und praktische Lebensweisheit dabei
helfen. Dann aber wäre ihnen das ^loblssss vo1iK<z an's Herz zu legen;
denn wer auf jene Weise Jahre lang im Besitze der Macht in der Gesetzgebung
gewesen ist, muß auch an den denken, der als Amboß dient, wenn der Hammer
der Gesetzgebung fällt.

Man vergleiche unsere Liste und die Reden der Herren damit, welche die
freihändlerische Schaar anführen und ihr als Vorfechter dienen.

Eine andere Erinnerung, welche die Betrachtung der Lebensstellung sehr
vieler von unseren Freihändlern und die Auffassungsweise, sowie theilweise auch
das Gebahren der ganzen Partei wachruft, trifft nicht ganz, wohl aber in
einigen Hauptpunkten, mit deren Wesen zusammen. Wir meinen eine Anzahl
von Stellen in Taine's "Entstehung des modernen Frankreich", wo die neuen
Volksführer geschildert werden, die nach Ausbruch der Revolution auftauchten.
Man denke sich die Kraßheit einer tief aufgeregten Zeit und den gemeinen
Eigennutz der Demagogen von 1790 hinweg, und man frage sich, ob ihr Bild
nicht in mehr als einem Zuge heutzutage unter unseren Freihändlern sein
Seitenstück findet. Die sich zur Macht heraufdrängenden waren vorzüglich
Prokuratoren, Redner in Volksversammlungen, Broschüren- und Zeitungs¬
schreiber, in erster Linie aber Advokaten. Es läßt sich sagen, daß diesem
Stande der Erfolg der Revolution zuzuschreiben ist. Schon während der Ur-
wähler von 1789 beobachtete man, wie diese Hitzköpfe und Ränkeschmiede
einander das Wort aus dem Munde nahmen und gar nicht erwarten konnten,
sich zu produziren. "In den sechzig Bezirksversammlungen paradiren die
Advokaten mit den hochtrabenden Dogmen des Revolutionskatechismus (ganz
wie die freihändlerischen Advokaten und Literaten die Jahre daher mit ihren
halbwahren Phrasen). Einer von ihnen verläßt den Leisten seiner Prozeßakten
und wirft sich zum Reichsgesetzgeber auf. Er überschüttet seine Zuhörer mit
seiner Beredtsamkeit, und sein Wortschwall ist um so unversiegbarer und wird
mit desto mehr Beifall belohnt, je eifriger er den Leuten beweist, daß sie von
Natur mit allen Fähigkeiten und gesetzlich mit allen Rechten ausgestattet sind.
,So oft dieser Mensch den Mund aufthat/ bemerkt ein kaltblütiger Zeuge,
,waren wir sicher, mit einem Strom von Zitaten und Sprichwörtern über¬
schwemmt-zu werden, die sich oft nnr an Laternen oder an die Krambude
einer Hökerin knüpften. Seine Stentorstimme erschütterte das Haus, und wenn
er zwei Stunden lang gesprochen hatte, bis seine Lunge nicht weiter konnte,


durch ihren Einfluß auf die Kollegen die Majorität zu leiten gewohnt sind
und sich diesem Geschäfte das ganze Jahr hindurch theils in der Presse, theils
im Parlamente widmen, sollten sich doch klar machen, daß bei Vorlagen, die
dem Bttrean und der Theorie entspringen, Mängel nur daun sich vermeiden
lassen, wenn einigermaßen Erfahrung und praktische Lebensweisheit dabei
helfen. Dann aber wäre ihnen das ^loblssss vo1iK<z an's Herz zu legen;
denn wer auf jene Weise Jahre lang im Besitze der Macht in der Gesetzgebung
gewesen ist, muß auch an den denken, der als Amboß dient, wenn der Hammer
der Gesetzgebung fällt.

Man vergleiche unsere Liste und die Reden der Herren damit, welche die
freihändlerische Schaar anführen und ihr als Vorfechter dienen.

Eine andere Erinnerung, welche die Betrachtung der Lebensstellung sehr
vieler von unseren Freihändlern und die Auffassungsweise, sowie theilweise auch
das Gebahren der ganzen Partei wachruft, trifft nicht ganz, wohl aber in
einigen Hauptpunkten, mit deren Wesen zusammen. Wir meinen eine Anzahl
von Stellen in Taine's „Entstehung des modernen Frankreich", wo die neuen
Volksführer geschildert werden, die nach Ausbruch der Revolution auftauchten.
Man denke sich die Kraßheit einer tief aufgeregten Zeit und den gemeinen
Eigennutz der Demagogen von 1790 hinweg, und man frage sich, ob ihr Bild
nicht in mehr als einem Zuge heutzutage unter unseren Freihändlern sein
Seitenstück findet. Die sich zur Macht heraufdrängenden waren vorzüglich
Prokuratoren, Redner in Volksversammlungen, Broschüren- und Zeitungs¬
schreiber, in erster Linie aber Advokaten. Es läßt sich sagen, daß diesem
Stande der Erfolg der Revolution zuzuschreiben ist. Schon während der Ur-
wähler von 1789 beobachtete man, wie diese Hitzköpfe und Ränkeschmiede
einander das Wort aus dem Munde nahmen und gar nicht erwarten konnten,
sich zu produziren. „In den sechzig Bezirksversammlungen paradiren die
Advokaten mit den hochtrabenden Dogmen des Revolutionskatechismus (ganz
wie die freihändlerischen Advokaten und Literaten die Jahre daher mit ihren
halbwahren Phrasen). Einer von ihnen verläßt den Leisten seiner Prozeßakten
und wirft sich zum Reichsgesetzgeber auf. Er überschüttet seine Zuhörer mit
seiner Beredtsamkeit, und sein Wortschwall ist um so unversiegbarer und wird
mit desto mehr Beifall belohnt, je eifriger er den Leuten beweist, daß sie von
Natur mit allen Fähigkeiten und gesetzlich mit allen Rechten ausgestattet sind.
,So oft dieser Mensch den Mund aufthat/ bemerkt ein kaltblütiger Zeuge,
,waren wir sicher, mit einem Strom von Zitaten und Sprichwörtern über¬
schwemmt-zu werden, die sich oft nnr an Laternen oder an die Krambude
einer Hökerin knüpften. Seine Stentorstimme erschütterte das Haus, und wenn
er zwei Stunden lang gesprochen hatte, bis seine Lunge nicht weiter konnte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/332>, abgerufen am 27.09.2024.