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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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dortige Landwirthschaft neuerdings von deutschem Gelde Prosperire und nur
dadurch die Kriegslasten ertrage. Der einzig ernsthafte Opponent war Herr
Laster, ernst in der Sache, und mehr als ernst, leidenschaftlich, fast gehässig in
der Form.

Laster allein setzte der geschlossenen Gedankenreihe ebenfalls einen Ketten¬
schluß entgegen. Nur daß er die Glieder desselben zerstreute, als ob er im-
provisirt spräche, während doch vom 2. Mai, wo der Kanzler sprach, bis
zum 8., wo Herr Laster sprach, das Nachdenken nicht gefehlt haben konnte.
Es scheint, daß Herr Laster den Gang der Sache nicht eingehalten hat, weil er es
vorzog, die Steigerung seiner Vorwürfe gegen den Fürsten Bismarck zum Haupt¬
ziel seiner Rede zu machen. Wir unsererseits wollen Herrn Laster's Kettenschluß
in seine natürliche Folge bringen, um die Bedeutung seiner Argumente desto
deutlicher zu erkennen.

Herr Laster verwirft die Unifikation der Reichs- und Staatsfinanzen.
Er will im Reiche keine "Ueberschußwirthschaft". Er will sie nicht aus
Besorgniß für die finanzielle und damit für die politische Unabhängigkeit
der Einzelstaaten, und er will sie zweitens nicht aus Besorgniß für die Macht
des Parlamentes, welche nur gesichert ist, wenn das Parlament die Einnahme¬
quellen beliebig zu schließen Vorwände hat. Zum ersten Male zeigt sich hier
eine Solidarität zwischen dem reichstäglichen Parlamentarismus und dem Par¬
tikularismus der Einzelstaaten, eine Solidarität, die bisher Niemand für mög¬
lich gehalten. Der Scharfsinn der Herren Richter und Laster hat diese Soli¬
darität entdeckt und damit zugleich die nur beschränkte Geltung des Satzes
aufgewiesen, daß das zentrale Parlament der beste Hort der nationalen Ein¬
heit sei. Herr Laster will darum auch nicht die Ausbildung der indirekten
Steuern zur Befriedigung aller Staatsbedürfnisfe. Die eigentliche Triebfeder des
eben angeführten politischen Grundes verdeckt er, oder verstärkt er durch das
den Sozialdemokraten entlehnte Argument, daß das indirekte Steuersystem die
Abwälzung der Staatslast von den Reichen auf die Armen bedeute. Er bezeichnet
die Finanzreform des Fürsten Bismarck als die "Finanzpolitik der Besitzer
gegen die Nichtbesitzer". Da das direkte Staatssteuersystem in Preußen am
meisten ausgebildet ist, die natürliche Folge davon, daß Preußen die Lasten
der Vertheidigung Deutschland's lange Zeit allein tragen mußte, so liegt die
Aufhebung jenes Systems am meisten im Interesse Preußen's. Dadurch hält
sich Herr Laster für berechtigt, diese Aufhebung als eine partikularistische Ma߬
regel zu bezeichnen, vergessend, daß das nicht wohl partikularistisch heißen kann,
was die größere Hälfte der Deutschen betrifft, diejenige Hälfte, die nach innen
am engsten verbunden, am wirksamsten organisirt und deshalb der Hauptpfeiler
ist, der die Reichslast trägt. Herr Laster ereifert sich gegen die Entlastung


dortige Landwirthschaft neuerdings von deutschem Gelde Prosperire und nur
dadurch die Kriegslasten ertrage. Der einzig ernsthafte Opponent war Herr
Laster, ernst in der Sache, und mehr als ernst, leidenschaftlich, fast gehässig in
der Form.

Laster allein setzte der geschlossenen Gedankenreihe ebenfalls einen Ketten¬
schluß entgegen. Nur daß er die Glieder desselben zerstreute, als ob er im-
provisirt spräche, während doch vom 2. Mai, wo der Kanzler sprach, bis
zum 8., wo Herr Laster sprach, das Nachdenken nicht gefehlt haben konnte.
Es scheint, daß Herr Laster den Gang der Sache nicht eingehalten hat, weil er es
vorzog, die Steigerung seiner Vorwürfe gegen den Fürsten Bismarck zum Haupt¬
ziel seiner Rede zu machen. Wir unsererseits wollen Herrn Laster's Kettenschluß
in seine natürliche Folge bringen, um die Bedeutung seiner Argumente desto
deutlicher zu erkennen.

Herr Laster verwirft die Unifikation der Reichs- und Staatsfinanzen.
Er will im Reiche keine „Ueberschußwirthschaft". Er will sie nicht aus
Besorgniß für die finanzielle und damit für die politische Unabhängigkeit
der Einzelstaaten, und er will sie zweitens nicht aus Besorgniß für die Macht
des Parlamentes, welche nur gesichert ist, wenn das Parlament die Einnahme¬
quellen beliebig zu schließen Vorwände hat. Zum ersten Male zeigt sich hier
eine Solidarität zwischen dem reichstäglichen Parlamentarismus und dem Par¬
tikularismus der Einzelstaaten, eine Solidarität, die bisher Niemand für mög¬
lich gehalten. Der Scharfsinn der Herren Richter und Laster hat diese Soli¬
darität entdeckt und damit zugleich die nur beschränkte Geltung des Satzes
aufgewiesen, daß das zentrale Parlament der beste Hort der nationalen Ein¬
heit sei. Herr Laster will darum auch nicht die Ausbildung der indirekten
Steuern zur Befriedigung aller Staatsbedürfnisfe. Die eigentliche Triebfeder des
eben angeführten politischen Grundes verdeckt er, oder verstärkt er durch das
den Sozialdemokraten entlehnte Argument, daß das indirekte Steuersystem die
Abwälzung der Staatslast von den Reichen auf die Armen bedeute. Er bezeichnet
die Finanzreform des Fürsten Bismarck als die „Finanzpolitik der Besitzer
gegen die Nichtbesitzer". Da das direkte Staatssteuersystem in Preußen am
meisten ausgebildet ist, die natürliche Folge davon, daß Preußen die Lasten
der Vertheidigung Deutschland's lange Zeit allein tragen mußte, so liegt die
Aufhebung jenes Systems am meisten im Interesse Preußen's. Dadurch hält
sich Herr Laster für berechtigt, diese Aufhebung als eine partikularistische Ma߬
regel zu bezeichnen, vergessend, daß das nicht wohl partikularistisch heißen kann,
was die größere Hälfte der Deutschen betrifft, diejenige Hälfte, die nach innen
am engsten verbunden, am wirksamsten organisirt und deshalb der Hauptpfeiler
ist, der die Reichslast trägt. Herr Laster ereifert sich gegen die Entlastung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/326>, abgerufen am 27.09.2024.