Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Invalidenrente am nöthigsten hätten, der hohen Beitrüge wegen vom Beitritte
abgehalten werden. Die jungen Arbeiter aber würden, wenn man nicht Zwangs¬
mittel anwenden wollte oder könnte, trotz der kleinen Beiträge auch nicht bei¬
treten oder doch nur in sehr kleiner Zahl, weil denselben der Gedanke an das
hilflose Alter noch sehr fern liegt. Mau halte nur Umfrage, und man wird
hören, daß die Befriedigung der heutigen, alles Maß überschreitenden Ver¬
gnügungssucht gerade dem jüngeren Arbeiter, wenigstens in der großen Mehr¬
zahl, viel näher liegt.

Wie steht es aber mit dem zur Berechnung der Beiträge für eine ratio¬
nelle Invalidenkasse nöthigen Element, nämlich mit den Gesetzen des Invalid-
Werdens? Es ist noch nicht so lange her, daß man hierüber absolut nichts
wußte. Die ersten Ermittelungen dieser Gesetze wurden, freilich noch in sehr
ungenügender Weise, von Prof. Hülße in Dresden im Auftrage einer von
der Königlich Sächsischen Regierung 1849 niedergesetzten Kommission zur
Erörterung und Verbesserung der gewerblichen Verhältnisse angestellt. In
dieser damals gewiß bedeutungsvollen Arbeit gab Hülße zunächst geschicht¬
liche Nachrichten über eine große Zahl im Königreiche Sachsen bestehender
Invalidenkassen und ermittelte für diese, soweit ihm dies bei der großen
Mangelhaftigkeit des statistischen Materiales möglich war, wie viel Invaliden
auf 1000 aktive Mitglieder kamen. Da diese Kassen zum Theil bereits
mehrere Menschenalter bestanden hatten, so konnte man darauf rechnen, daß
das ermittelte Verhältniß zwischen Aktiven und Invaliden nahezu so war, wie
es im sogenannten Beharrungszustande sich bei jeder Kasse herausstellen werde,
falls sie nur lange genug, wenigstens ein Menschenalter hindurch, bestanden
hätte. Diese Zahlen zeigten große Verschiedenheiten, und zwar schwankten die
Verhältnisse zwischen 1000:126 bis 1000:20. Am reichsten war der Bergbau
vertreten, allein es gab hier Kassen, die weniger Invaliden zeigten, als -- eine
Prediger-Emeritenkasse. Diese große Verschiedenheit konnte natürlich nicht blos
durch die Gefährlichkeit des Berufes entstanden sein, vielmehr waren dabei
auch die Verwaltungsgrundsütze der einzelnen Kassen einflußreich gewesen. So
wurde man beim Gebrauch dieser Zahlen zur äußersten Vorsicht gemahnt.
Nahm man die Kassen zusammen, welche sich in Bezug auf Gefährlichkeit des
Berufes der Mitglieder nahe standen und auch das zuverlässigste Material ge¬
liefert hatten, so zeigte sich, daß wohl im Durchschnitt auf 1000 Aktive nahezu
60 Invaliden kommen dürften.

So dürftig und zum Theil noch unsicher diese Ermittelungen auch waren,
so waren es doch immerhin wirkliche Beobachtungen, die auf dieses bisher in
der tiefsten Finsterniß liegende Gebiet einen schwachen Lichtschimmer warfen.
Man erkannte wenigstens, daß die Art der Arbeit bei dem Gesetz des Invalid-


Invalidenrente am nöthigsten hätten, der hohen Beitrüge wegen vom Beitritte
abgehalten werden. Die jungen Arbeiter aber würden, wenn man nicht Zwangs¬
mittel anwenden wollte oder könnte, trotz der kleinen Beiträge auch nicht bei¬
treten oder doch nur in sehr kleiner Zahl, weil denselben der Gedanke an das
hilflose Alter noch sehr fern liegt. Mau halte nur Umfrage, und man wird
hören, daß die Befriedigung der heutigen, alles Maß überschreitenden Ver¬
gnügungssucht gerade dem jüngeren Arbeiter, wenigstens in der großen Mehr¬
zahl, viel näher liegt.

Wie steht es aber mit dem zur Berechnung der Beiträge für eine ratio¬
nelle Invalidenkasse nöthigen Element, nämlich mit den Gesetzen des Invalid-
Werdens? Es ist noch nicht so lange her, daß man hierüber absolut nichts
wußte. Die ersten Ermittelungen dieser Gesetze wurden, freilich noch in sehr
ungenügender Weise, von Prof. Hülße in Dresden im Auftrage einer von
der Königlich Sächsischen Regierung 1849 niedergesetzten Kommission zur
Erörterung und Verbesserung der gewerblichen Verhältnisse angestellt. In
dieser damals gewiß bedeutungsvollen Arbeit gab Hülße zunächst geschicht¬
liche Nachrichten über eine große Zahl im Königreiche Sachsen bestehender
Invalidenkassen und ermittelte für diese, soweit ihm dies bei der großen
Mangelhaftigkeit des statistischen Materiales möglich war, wie viel Invaliden
auf 1000 aktive Mitglieder kamen. Da diese Kassen zum Theil bereits
mehrere Menschenalter bestanden hatten, so konnte man darauf rechnen, daß
das ermittelte Verhältniß zwischen Aktiven und Invaliden nahezu so war, wie
es im sogenannten Beharrungszustande sich bei jeder Kasse herausstellen werde,
falls sie nur lange genug, wenigstens ein Menschenalter hindurch, bestanden
hätte. Diese Zahlen zeigten große Verschiedenheiten, und zwar schwankten die
Verhältnisse zwischen 1000:126 bis 1000:20. Am reichsten war der Bergbau
vertreten, allein es gab hier Kassen, die weniger Invaliden zeigten, als — eine
Prediger-Emeritenkasse. Diese große Verschiedenheit konnte natürlich nicht blos
durch die Gefährlichkeit des Berufes entstanden sein, vielmehr waren dabei
auch die Verwaltungsgrundsütze der einzelnen Kassen einflußreich gewesen. So
wurde man beim Gebrauch dieser Zahlen zur äußersten Vorsicht gemahnt.
Nahm man die Kassen zusammen, welche sich in Bezug auf Gefährlichkeit des
Berufes der Mitglieder nahe standen und auch das zuverlässigste Material ge¬
liefert hatten, so zeigte sich, daß wohl im Durchschnitt auf 1000 Aktive nahezu
60 Invaliden kommen dürften.

So dürftig und zum Theil noch unsicher diese Ermittelungen auch waren,
so waren es doch immerhin wirkliche Beobachtungen, die auf dieses bisher in
der tiefsten Finsterniß liegende Gebiet einen schwachen Lichtschimmer warfen.
Man erkannte wenigstens, daß die Art der Arbeit bei dem Gesetz des Invalid-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142270"/>
          <p xml:id="ID_931" prev="#ID_930"> Invalidenrente am nöthigsten hätten, der hohen Beitrüge wegen vom Beitritte<lb/>
abgehalten werden. Die jungen Arbeiter aber würden, wenn man nicht Zwangs¬<lb/>
mittel anwenden wollte oder könnte, trotz der kleinen Beiträge auch nicht bei¬<lb/>
treten oder doch nur in sehr kleiner Zahl, weil denselben der Gedanke an das<lb/>
hilflose Alter noch sehr fern liegt. Mau halte nur Umfrage, und man wird<lb/>
hören, daß die Befriedigung der heutigen, alles Maß überschreitenden Ver¬<lb/>
gnügungssucht gerade dem jüngeren Arbeiter, wenigstens in der großen Mehr¬<lb/>
zahl, viel näher liegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_932"> Wie steht es aber mit dem zur Berechnung der Beiträge für eine ratio¬<lb/>
nelle Invalidenkasse nöthigen Element, nämlich mit den Gesetzen des Invalid-<lb/>
Werdens? Es ist noch nicht so lange her, daß man hierüber absolut nichts<lb/>
wußte. Die ersten Ermittelungen dieser Gesetze wurden, freilich noch in sehr<lb/>
ungenügender Weise, von Prof. Hülße in Dresden im Auftrage einer von<lb/>
der Königlich Sächsischen Regierung 1849 niedergesetzten Kommission zur<lb/>
Erörterung und Verbesserung der gewerblichen Verhältnisse angestellt. In<lb/>
dieser damals gewiß bedeutungsvollen Arbeit gab Hülße zunächst geschicht¬<lb/>
liche Nachrichten über eine große Zahl im Königreiche Sachsen bestehender<lb/>
Invalidenkassen und ermittelte für diese, soweit ihm dies bei der großen<lb/>
Mangelhaftigkeit des statistischen Materiales möglich war, wie viel Invaliden<lb/>
auf 1000 aktive Mitglieder kamen. Da diese Kassen zum Theil bereits<lb/>
mehrere Menschenalter bestanden hatten, so konnte man darauf rechnen, daß<lb/>
das ermittelte Verhältniß zwischen Aktiven und Invaliden nahezu so war, wie<lb/>
es im sogenannten Beharrungszustande sich bei jeder Kasse herausstellen werde,<lb/>
falls sie nur lange genug, wenigstens ein Menschenalter hindurch, bestanden<lb/>
hätte. Diese Zahlen zeigten große Verschiedenheiten, und zwar schwankten die<lb/>
Verhältnisse zwischen 1000:126 bis 1000:20. Am reichsten war der Bergbau<lb/>
vertreten, allein es gab hier Kassen, die weniger Invaliden zeigten, als &#x2014; eine<lb/>
Prediger-Emeritenkasse. Diese große Verschiedenheit konnte natürlich nicht blos<lb/>
durch die Gefährlichkeit des Berufes entstanden sein, vielmehr waren dabei<lb/>
auch die Verwaltungsgrundsütze der einzelnen Kassen einflußreich gewesen. So<lb/>
wurde man beim Gebrauch dieser Zahlen zur äußersten Vorsicht gemahnt.<lb/>
Nahm man die Kassen zusammen, welche sich in Bezug auf Gefährlichkeit des<lb/>
Berufes der Mitglieder nahe standen und auch das zuverlässigste Material ge¬<lb/>
liefert hatten, so zeigte sich, daß wohl im Durchschnitt auf 1000 Aktive nahezu<lb/>
60 Invaliden kommen dürften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933" next="#ID_934"> So dürftig und zum Theil noch unsicher diese Ermittelungen auch waren,<lb/>
so waren es doch immerhin wirkliche Beobachtungen, die auf dieses bisher in<lb/>
der tiefsten Finsterniß liegende Gebiet einen schwachen Lichtschimmer warfen.<lb/>
Man erkannte wenigstens, daß die Art der Arbeit bei dem Gesetz des Invalid-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] Invalidenrente am nöthigsten hätten, der hohen Beitrüge wegen vom Beitritte abgehalten werden. Die jungen Arbeiter aber würden, wenn man nicht Zwangs¬ mittel anwenden wollte oder könnte, trotz der kleinen Beiträge auch nicht bei¬ treten oder doch nur in sehr kleiner Zahl, weil denselben der Gedanke an das hilflose Alter noch sehr fern liegt. Mau halte nur Umfrage, und man wird hören, daß die Befriedigung der heutigen, alles Maß überschreitenden Ver¬ gnügungssucht gerade dem jüngeren Arbeiter, wenigstens in der großen Mehr¬ zahl, viel näher liegt. Wie steht es aber mit dem zur Berechnung der Beiträge für eine ratio¬ nelle Invalidenkasse nöthigen Element, nämlich mit den Gesetzen des Invalid- Werdens? Es ist noch nicht so lange her, daß man hierüber absolut nichts wußte. Die ersten Ermittelungen dieser Gesetze wurden, freilich noch in sehr ungenügender Weise, von Prof. Hülße in Dresden im Auftrage einer von der Königlich Sächsischen Regierung 1849 niedergesetzten Kommission zur Erörterung und Verbesserung der gewerblichen Verhältnisse angestellt. In dieser damals gewiß bedeutungsvollen Arbeit gab Hülße zunächst geschicht¬ liche Nachrichten über eine große Zahl im Königreiche Sachsen bestehender Invalidenkassen und ermittelte für diese, soweit ihm dies bei der großen Mangelhaftigkeit des statistischen Materiales möglich war, wie viel Invaliden auf 1000 aktive Mitglieder kamen. Da diese Kassen zum Theil bereits mehrere Menschenalter bestanden hatten, so konnte man darauf rechnen, daß das ermittelte Verhältniß zwischen Aktiven und Invaliden nahezu so war, wie es im sogenannten Beharrungszustande sich bei jeder Kasse herausstellen werde, falls sie nur lange genug, wenigstens ein Menschenalter hindurch, bestanden hätte. Diese Zahlen zeigten große Verschiedenheiten, und zwar schwankten die Verhältnisse zwischen 1000:126 bis 1000:20. Am reichsten war der Bergbau vertreten, allein es gab hier Kassen, die weniger Invaliden zeigten, als — eine Prediger-Emeritenkasse. Diese große Verschiedenheit konnte natürlich nicht blos durch die Gefährlichkeit des Berufes entstanden sein, vielmehr waren dabei auch die Verwaltungsgrundsütze der einzelnen Kassen einflußreich gewesen. So wurde man beim Gebrauch dieser Zahlen zur äußersten Vorsicht gemahnt. Nahm man die Kassen zusammen, welche sich in Bezug auf Gefährlichkeit des Berufes der Mitglieder nahe standen und auch das zuverlässigste Material ge¬ liefert hatten, so zeigte sich, daß wohl im Durchschnitt auf 1000 Aktive nahezu 60 Invaliden kommen dürften. So dürftig und zum Theil noch unsicher diese Ermittelungen auch waren, so waren es doch immerhin wirkliche Beobachtungen, die auf dieses bisher in der tiefsten Finsterniß liegende Gebiet einen schwachen Lichtschimmer warfen. Man erkannte wenigstens, daß die Art der Arbeit bei dem Gesetz des Invalid-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/315>, abgerufen am 27.09.2024.