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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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dem zart hingehauchten Mädchen gemeint ist, läßt er offen, damit der Beschauer,
dem der Vorgang des Bildes ziemlich klar ist, doch an seinem Titel etwas
herumgrübeln kann. Der Erlöser, dessen feiner, durchgeistigter Kopf an die
aesthetischen Schönredner der Münchener Salons erinnert, sitzt am Bette der
Kranken und hält ihre Hand zärtlich umfaßt. Er hat das belebende Wort
gesprochen und wartet nun, daß das Leben in die halb erstarrten Züge des
bleichen, zarten Angesichts zurückkehre. Die Situation wäre in ihrer Einfach¬
heit ergreifend, wenn der Maler nicht durch einen überflüssigen Scherz, ohne
den es nun einmal bei ihm nicht abgeht, den harmonisch feierlichen Gesammt-
eindruck verdorben hätte. Auf dem Arme des Mädchens sitzt nämlich eine
große Fliege, die so meisterlich, mit so fabelhafter Naturwahrheit gemalt ist,
daß sich hier das Wunder des Zeuxis und Parrhasius erneuern könnte. Nur
würde der Fliegenschnäpper, der nach dem Insekt haschen wollte, nicht vor dem
Arme des Mädchens zurückschrecken, aus dem Blut und Leben völlig gewichen sind.

Ein herbes Seitenstück zu diesem immerhin friedlichen Gemälde, auf dem
doch das Leben noch über den Tod den Sieg davontrügt, wenn der Maler
auch diesen Sieg noch nicht vollständig dargestellt hat, bildet der "Ahasver" vor
der Leiche eines Kindes. Der Sarg steht in einem dunklen Gewölbe, auf dem
Angesichts des Kindes liegt die süße Ruhe des Todes, aber in den verzerrten
Zügen des zur ewigen Ruhelosigkeit verdammten Juden prägt sich grimmiger
Neid auf das arme Wesen aus, das den seligen Schlummer schläft. Mit dieser
raffinirten Gegenüberstellung hat Gabriel Max das Höchste erreicht, was bisher
seiner krankhaft überreizten Phantasie entsprossen ist. Was später folgte, war
entweder rein kurios oder rein pathologisch oder so widerwärtig, daß es kaum
eine Beachtuug verdient. In die letzte Kategorie gehört ein "Tannhäuser", der
sehnsüchtig auf das Meer blickt, während eine bleichsüchtige, olivengrün gefärbte
Venus ihn vergebens durch ihre schlaffen Reize zu fesseln sucht, ein trauernder
Affe, den Max mit unübertrefflicher Selbstironie "Mignon" getauft hat u. f. w.

In das Gebiet der Kuriositäten gehört der schon erwähnte Christuskopf
mit dem doppelten Blicke, der seit 1876 wie ein Mirakel durch die Hauptstädte
Europa's geführt und je nach der religiösen Stimmung oder nach dem Glaubens-
bekenntniß der Bewohnerschaft in kapellenartigen Räumen auf Altären und mit
Kerzenbeleuchtung oder in den profanen Lokalen der Kunstvereine aufgestellt
wird. Auf ein mit großen Nägeln festgenageltes grobes Linnentuch, dessen
rohes Gewebe an die Byssoslaken erinnert, in welche die ägyptischen Mumien
eingewickelt wurden, ist das Antlitz des Erlösers gemalt, der Sage getreu,
welche von der heiligen Veronika erzählt wird, die mit ihrem Tuche den
Schweiß von dem blutigen Angesichts des Heilandes auf seinem letzten Wege
trocknete und den Abdruck seiner schmerzdurchfurchten Züge in dem Gewebe


dem zart hingehauchten Mädchen gemeint ist, läßt er offen, damit der Beschauer,
dem der Vorgang des Bildes ziemlich klar ist, doch an seinem Titel etwas
herumgrübeln kann. Der Erlöser, dessen feiner, durchgeistigter Kopf an die
aesthetischen Schönredner der Münchener Salons erinnert, sitzt am Bette der
Kranken und hält ihre Hand zärtlich umfaßt. Er hat das belebende Wort
gesprochen und wartet nun, daß das Leben in die halb erstarrten Züge des
bleichen, zarten Angesichts zurückkehre. Die Situation wäre in ihrer Einfach¬
heit ergreifend, wenn der Maler nicht durch einen überflüssigen Scherz, ohne
den es nun einmal bei ihm nicht abgeht, den harmonisch feierlichen Gesammt-
eindruck verdorben hätte. Auf dem Arme des Mädchens sitzt nämlich eine
große Fliege, die so meisterlich, mit so fabelhafter Naturwahrheit gemalt ist,
daß sich hier das Wunder des Zeuxis und Parrhasius erneuern könnte. Nur
würde der Fliegenschnäpper, der nach dem Insekt haschen wollte, nicht vor dem
Arme des Mädchens zurückschrecken, aus dem Blut und Leben völlig gewichen sind.

Ein herbes Seitenstück zu diesem immerhin friedlichen Gemälde, auf dem
doch das Leben noch über den Tod den Sieg davontrügt, wenn der Maler
auch diesen Sieg noch nicht vollständig dargestellt hat, bildet der „Ahasver" vor
der Leiche eines Kindes. Der Sarg steht in einem dunklen Gewölbe, auf dem
Angesichts des Kindes liegt die süße Ruhe des Todes, aber in den verzerrten
Zügen des zur ewigen Ruhelosigkeit verdammten Juden prägt sich grimmiger
Neid auf das arme Wesen aus, das den seligen Schlummer schläft. Mit dieser
raffinirten Gegenüberstellung hat Gabriel Max das Höchste erreicht, was bisher
seiner krankhaft überreizten Phantasie entsprossen ist. Was später folgte, war
entweder rein kurios oder rein pathologisch oder so widerwärtig, daß es kaum
eine Beachtuug verdient. In die letzte Kategorie gehört ein „Tannhäuser", der
sehnsüchtig auf das Meer blickt, während eine bleichsüchtige, olivengrün gefärbte
Venus ihn vergebens durch ihre schlaffen Reize zu fesseln sucht, ein trauernder
Affe, den Max mit unübertrefflicher Selbstironie „Mignon" getauft hat u. f. w.

In das Gebiet der Kuriositäten gehört der schon erwähnte Christuskopf
mit dem doppelten Blicke, der seit 1876 wie ein Mirakel durch die Hauptstädte
Europa's geführt und je nach der religiösen Stimmung oder nach dem Glaubens-
bekenntniß der Bewohnerschaft in kapellenartigen Räumen auf Altären und mit
Kerzenbeleuchtung oder in den profanen Lokalen der Kunstvereine aufgestellt
wird. Auf ein mit großen Nägeln festgenageltes grobes Linnentuch, dessen
rohes Gewebe an die Byssoslaken erinnert, in welche die ägyptischen Mumien
eingewickelt wurden, ist das Antlitz des Erlösers gemalt, der Sage getreu,
welche von der heiligen Veronika erzählt wird, die mit ihrem Tuche den
Schweiß von dem blutigen Angesichts des Heilandes auf seinem letzten Wege
trocknete und den Abdruck seiner schmerzdurchfurchten Züge in dem Gewebe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/31>, abgerufen am 19.10.2024.