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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Wendungen ausgegangen. Lessing's eigene Fabeln sind geistreich, aber ohne
Poesie. Bezeichnend bleibt der Versuch für die allgemeine Richtung jener
Periode, die Dichtung auf das knappste Maß einzuschränken.

Ein merkwürdiges Beispiel für diese Richtung ist ferner Kleist's Helden¬
gedicht "Cissides und Paasch", im Mai 1759 in den "Literaturbriefen" be¬
sprochen; es sieht fast wie eine Geschichtstabelle aus. Zugleich ist es Merk¬
würdig für Kleist. Die elegische Stimmung, die Sehnsucht nach Ruhe, ist ganz
verschwunden und hat einem kriegerischen Feuer Platz gemacht; die Begeisterung
für Friedrich überträgt sich auf die Generale Alexander's des Großen, und
gegen alles Herkommen werden die griechischen Republikaner als Wichte
dargestellt.

"Endlich wird nach unserm Namen ein Gestirn benannt ... Wo Perseus
und Orion leuchten, dort wird Alexander, unser Gott, mit uns vom Himmel
auf die Menschenkinder sehn." -- "Der Tod fiir's Vaterland ist ewiger Ver¬
ehrung werth . . . Wie gern sterb' ich ihn auch, wenn mein Verhängniß ruft!
Ich, der ich dieses sang im Lärm des Kriegs, als Räuber aller Welt mein
Vaterland in eine Wüstenei verwandelten; als Friedrich selbst die Fahn' mit
tapferer Hand ergriff."

Kleist's Drama "Seneca" ist eben so knapp gehalten wie der "Philotas";
das Interesse freilich, das es erregt, ist noch geringer.

Wo ein Dichter jener Zeit nicht nach Konzentration strebt , macht sich der
roheste Naturalismus breit. Weiße's "Beiträge zum deutschen Theater"
(1759) enthielten die beiden Trauerspiele "Eduard III." und "Richard III.", das
Lustspiel "Die Poeten nach der Mode" und die Operette "Der Dorfbarbier".
Greuel genug kamen in jenen Tragödien vor, die noch in Alexandrinern geschrieben
sind; aber weder Mitleid noch Furcht wird erregt. Weiße selbst scherzte in
seineu Briefen darüber, daß wenn die Helden in seinen Trauerspielen über
einen Entschluß oder eine Begebenheit räsonniren sollten, sie sich mit ihren
Gedanken ebenso brouillirten als er selbst. Sein Sohn erzählt: "Die
Empfindungen und Leidenschaften, die am wenigsten in seinem Charakter lagen,
und die ihn nur durch Anstrengung der Einbildungskraft in Bewegung setzten,
stellte er am lebhaftesten dar."

"Ein unglückliches Schicksal," schreibt Weiße in der Vorrede, "hat bisher
über der deutschen Schaubühne gewaltet. Einige dieser Lieblinge der Musen
sind in der Morgenröthe ihres Witzes verblüht; andere lassen, wir wissen nicht
aus was für unglücklichen Ursachen, die Jahre des Genies vorüberfliehen, bis
sie die Geschäfte des Lebens überhäufen."

"Sind es wirkliche Genies," sagt Lessing dagegen, "so verspreche ich
mir von der Verzögerung mehr Gutes als Schlimmes. Die Jahre der Jugend


Wendungen ausgegangen. Lessing's eigene Fabeln sind geistreich, aber ohne
Poesie. Bezeichnend bleibt der Versuch für die allgemeine Richtung jener
Periode, die Dichtung auf das knappste Maß einzuschränken.

Ein merkwürdiges Beispiel für diese Richtung ist ferner Kleist's Helden¬
gedicht „Cissides und Paasch", im Mai 1759 in den „Literaturbriefen" be¬
sprochen; es sieht fast wie eine Geschichtstabelle aus. Zugleich ist es Merk¬
würdig für Kleist. Die elegische Stimmung, die Sehnsucht nach Ruhe, ist ganz
verschwunden und hat einem kriegerischen Feuer Platz gemacht; die Begeisterung
für Friedrich überträgt sich auf die Generale Alexander's des Großen, und
gegen alles Herkommen werden die griechischen Republikaner als Wichte
dargestellt.

„Endlich wird nach unserm Namen ein Gestirn benannt ... Wo Perseus
und Orion leuchten, dort wird Alexander, unser Gott, mit uns vom Himmel
auf die Menschenkinder sehn." — „Der Tod fiir's Vaterland ist ewiger Ver¬
ehrung werth . . . Wie gern sterb' ich ihn auch, wenn mein Verhängniß ruft!
Ich, der ich dieses sang im Lärm des Kriegs, als Räuber aller Welt mein
Vaterland in eine Wüstenei verwandelten; als Friedrich selbst die Fahn' mit
tapferer Hand ergriff."

Kleist's Drama „Seneca" ist eben so knapp gehalten wie der „Philotas";
das Interesse freilich, das es erregt, ist noch geringer.

Wo ein Dichter jener Zeit nicht nach Konzentration strebt , macht sich der
roheste Naturalismus breit. Weiße's „Beiträge zum deutschen Theater"
(1759) enthielten die beiden Trauerspiele „Eduard III." und „Richard III.", das
Lustspiel „Die Poeten nach der Mode" und die Operette „Der Dorfbarbier".
Greuel genug kamen in jenen Tragödien vor, die noch in Alexandrinern geschrieben
sind; aber weder Mitleid noch Furcht wird erregt. Weiße selbst scherzte in
seineu Briefen darüber, daß wenn die Helden in seinen Trauerspielen über
einen Entschluß oder eine Begebenheit räsonniren sollten, sie sich mit ihren
Gedanken ebenso brouillirten als er selbst. Sein Sohn erzählt: „Die
Empfindungen und Leidenschaften, die am wenigsten in seinem Charakter lagen,
und die ihn nur durch Anstrengung der Einbildungskraft in Bewegung setzten,
stellte er am lebhaftesten dar."

„Ein unglückliches Schicksal," schreibt Weiße in der Vorrede, „hat bisher
über der deutschen Schaubühne gewaltet. Einige dieser Lieblinge der Musen
sind in der Morgenröthe ihres Witzes verblüht; andere lassen, wir wissen nicht
aus was für unglücklichen Ursachen, die Jahre des Genies vorüberfliehen, bis
sie die Geschäfte des Lebens überhäufen."

„Sind es wirkliche Genies," sagt Lessing dagegen, „so verspreche ich
mir von der Verzögerung mehr Gutes als Schlimmes. Die Jahre der Jugend


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[0304] Wendungen ausgegangen. Lessing's eigene Fabeln sind geistreich, aber ohne Poesie. Bezeichnend bleibt der Versuch für die allgemeine Richtung jener Periode, die Dichtung auf das knappste Maß einzuschränken. Ein merkwürdiges Beispiel für diese Richtung ist ferner Kleist's Helden¬ gedicht „Cissides und Paasch", im Mai 1759 in den „Literaturbriefen" be¬ sprochen; es sieht fast wie eine Geschichtstabelle aus. Zugleich ist es Merk¬ würdig für Kleist. Die elegische Stimmung, die Sehnsucht nach Ruhe, ist ganz verschwunden und hat einem kriegerischen Feuer Platz gemacht; die Begeisterung für Friedrich überträgt sich auf die Generale Alexander's des Großen, und gegen alles Herkommen werden die griechischen Republikaner als Wichte dargestellt. „Endlich wird nach unserm Namen ein Gestirn benannt ... Wo Perseus und Orion leuchten, dort wird Alexander, unser Gott, mit uns vom Himmel auf die Menschenkinder sehn." — „Der Tod fiir's Vaterland ist ewiger Ver¬ ehrung werth . . . Wie gern sterb' ich ihn auch, wenn mein Verhängniß ruft! Ich, der ich dieses sang im Lärm des Kriegs, als Räuber aller Welt mein Vaterland in eine Wüstenei verwandelten; als Friedrich selbst die Fahn' mit tapferer Hand ergriff." Kleist's Drama „Seneca" ist eben so knapp gehalten wie der „Philotas"; das Interesse freilich, das es erregt, ist noch geringer. Wo ein Dichter jener Zeit nicht nach Konzentration strebt , macht sich der roheste Naturalismus breit. Weiße's „Beiträge zum deutschen Theater" (1759) enthielten die beiden Trauerspiele „Eduard III." und „Richard III.", das Lustspiel „Die Poeten nach der Mode" und die Operette „Der Dorfbarbier". Greuel genug kamen in jenen Tragödien vor, die noch in Alexandrinern geschrieben sind; aber weder Mitleid noch Furcht wird erregt. Weiße selbst scherzte in seineu Briefen darüber, daß wenn die Helden in seinen Trauerspielen über einen Entschluß oder eine Begebenheit räsonniren sollten, sie sich mit ihren Gedanken ebenso brouillirten als er selbst. Sein Sohn erzählt: „Die Empfindungen und Leidenschaften, die am wenigsten in seinem Charakter lagen, und die ihn nur durch Anstrengung der Einbildungskraft in Bewegung setzten, stellte er am lebhaftesten dar." „Ein unglückliches Schicksal," schreibt Weiße in der Vorrede, „hat bisher über der deutschen Schaubühne gewaltet. Einige dieser Lieblinge der Musen sind in der Morgenröthe ihres Witzes verblüht; andere lassen, wir wissen nicht aus was für unglücklichen Ursachen, die Jahre des Genies vorüberfliehen, bis sie die Geschäfte des Lebens überhäufen." „Sind es wirkliche Genies," sagt Lessing dagegen, „so verspreche ich mir von der Verzögerung mehr Gutes als Schlimmes. Die Jahre der Jugend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/304>, abgerufen am 27.09.2024.