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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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hiesigen Repräsentanten Frankreich's, ungeachtet mancherlei bedeutender Eigen¬
schaften, die ihn auszeichnen, in seiner vollen Schärfe anwenden. Herr Fournier
glaubte offenbar hier nicht nur auf eigene Hand französische Politik machen, sondern
mittelst derselben vornehmlich auch seinen eigenen persönlichen Interessen, die er
mit den hochfliegendsten Projekten in Verbindung gestellt haben soll, dienen
zu können. Indem er auf so exzentrischen Bahnen vorwärts zu kommen bemüht
war, konnte es nicht ausbleiben, daß er sich schließlich auf Abwege verirrte,
ähnlich wie die englische Politik vordem von ihren Zielen abgewichen und zum
Opfer der Fata Morgana trügerischer Phantasiegebilde geworden war. Bereits
Ende Februar, nachdem Sir Austin Layard von hier nach London abgereist war,
wurde die Eventualität einer von dem französischen Botschafter anzutretenden
mehrmonatlichen Urlaubsreise nach Paris besprochen, und nachdem der vorerwähnte
Major Dreyssi am 12. März Konstantinopel verlassen hatte, folgte ihm sein
diplomatischer Chef am 21. April nach. Daß es sich dabei nicht wesentlich
um Geschäfte handeln konnte, die in Frankreich feine Gegenwart erheischt
hätten, wurde aus der Langsamkeit ersichtlich, mit der Herr Fournier sich auf
sein Reiseziel zubewegte. Er nahm seinen Weg über Smyrna und hielt sich
dort mehrere Tage auf. Erst Mitte vorigen Monats traf er in Marseille ein.
Wie jetzt verlautet, dürfte er seine Rückreise nach Konstantinopel nicht vor dem
25. Mai antreten und eben noch rechtzeitig hier eintreffen, um der Eröffnung
der in der griechisch-türkischen Grenzrektifikationsfrage zu führenden Unter¬
handlungen beiwohnen zu können.

Unser Ueberblick über die jüngsten Bestrebungen der russischen, britischen
und französischen Orient-Politik läßt erkennen, daß alle drei nicht das
erreicht haben, was sie sich anfänglich als Ziel vorgesteckt. So versuchen sie
sich jetzt auf neuen Wegen, in Betreff deren man gespannt sein darf, welcher
Theil den anderen am ehesten den Vorsprung abgewinnen wird. Frankreich
hatte die vergleichsweise bedeutendsten Chancen in den Händen, seinen Einfluß
für längere Dauer zum herrschenden zu machen. Wie die Dinge aber gegen¬
wärtig liegen, will es scheinen, als ob dem augenblicklich zurückerwarteten
britischen Botschafter sich überwiegende Aussichten auf eine erfolgreiche Wirk¬
samkeit eröffneten.




hiesigen Repräsentanten Frankreich's, ungeachtet mancherlei bedeutender Eigen¬
schaften, die ihn auszeichnen, in seiner vollen Schärfe anwenden. Herr Fournier
glaubte offenbar hier nicht nur auf eigene Hand französische Politik machen, sondern
mittelst derselben vornehmlich auch seinen eigenen persönlichen Interessen, die er
mit den hochfliegendsten Projekten in Verbindung gestellt haben soll, dienen
zu können. Indem er auf so exzentrischen Bahnen vorwärts zu kommen bemüht
war, konnte es nicht ausbleiben, daß er sich schließlich auf Abwege verirrte,
ähnlich wie die englische Politik vordem von ihren Zielen abgewichen und zum
Opfer der Fata Morgana trügerischer Phantasiegebilde geworden war. Bereits
Ende Februar, nachdem Sir Austin Layard von hier nach London abgereist war,
wurde die Eventualität einer von dem französischen Botschafter anzutretenden
mehrmonatlichen Urlaubsreise nach Paris besprochen, und nachdem der vorerwähnte
Major Dreyssi am 12. März Konstantinopel verlassen hatte, folgte ihm sein
diplomatischer Chef am 21. April nach. Daß es sich dabei nicht wesentlich
um Geschäfte handeln konnte, die in Frankreich feine Gegenwart erheischt
hätten, wurde aus der Langsamkeit ersichtlich, mit der Herr Fournier sich auf
sein Reiseziel zubewegte. Er nahm seinen Weg über Smyrna und hielt sich
dort mehrere Tage auf. Erst Mitte vorigen Monats traf er in Marseille ein.
Wie jetzt verlautet, dürfte er seine Rückreise nach Konstantinopel nicht vor dem
25. Mai antreten und eben noch rechtzeitig hier eintreffen, um der Eröffnung
der in der griechisch-türkischen Grenzrektifikationsfrage zu führenden Unter¬
handlungen beiwohnen zu können.

Unser Ueberblick über die jüngsten Bestrebungen der russischen, britischen
und französischen Orient-Politik läßt erkennen, daß alle drei nicht das
erreicht haben, was sie sich anfänglich als Ziel vorgesteckt. So versuchen sie
sich jetzt auf neuen Wegen, in Betreff deren man gespannt sein darf, welcher
Theil den anderen am ehesten den Vorsprung abgewinnen wird. Frankreich
hatte die vergleichsweise bedeutendsten Chancen in den Händen, seinen Einfluß
für längere Dauer zum herrschenden zu machen. Wie die Dinge aber gegen¬
wärtig liegen, will es scheinen, als ob dem augenblicklich zurückerwarteten
britischen Botschafter sich überwiegende Aussichten auf eine erfolgreiche Wirk¬
samkeit eröffneten.




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[0298] hiesigen Repräsentanten Frankreich's, ungeachtet mancherlei bedeutender Eigen¬ schaften, die ihn auszeichnen, in seiner vollen Schärfe anwenden. Herr Fournier glaubte offenbar hier nicht nur auf eigene Hand französische Politik machen, sondern mittelst derselben vornehmlich auch seinen eigenen persönlichen Interessen, die er mit den hochfliegendsten Projekten in Verbindung gestellt haben soll, dienen zu können. Indem er auf so exzentrischen Bahnen vorwärts zu kommen bemüht war, konnte es nicht ausbleiben, daß er sich schließlich auf Abwege verirrte, ähnlich wie die englische Politik vordem von ihren Zielen abgewichen und zum Opfer der Fata Morgana trügerischer Phantasiegebilde geworden war. Bereits Ende Februar, nachdem Sir Austin Layard von hier nach London abgereist war, wurde die Eventualität einer von dem französischen Botschafter anzutretenden mehrmonatlichen Urlaubsreise nach Paris besprochen, und nachdem der vorerwähnte Major Dreyssi am 12. März Konstantinopel verlassen hatte, folgte ihm sein diplomatischer Chef am 21. April nach. Daß es sich dabei nicht wesentlich um Geschäfte handeln konnte, die in Frankreich feine Gegenwart erheischt hätten, wurde aus der Langsamkeit ersichtlich, mit der Herr Fournier sich auf sein Reiseziel zubewegte. Er nahm seinen Weg über Smyrna und hielt sich dort mehrere Tage auf. Erst Mitte vorigen Monats traf er in Marseille ein. Wie jetzt verlautet, dürfte er seine Rückreise nach Konstantinopel nicht vor dem 25. Mai antreten und eben noch rechtzeitig hier eintreffen, um der Eröffnung der in der griechisch-türkischen Grenzrektifikationsfrage zu führenden Unter¬ handlungen beiwohnen zu können. Unser Ueberblick über die jüngsten Bestrebungen der russischen, britischen und französischen Orient-Politik läßt erkennen, daß alle drei nicht das erreicht haben, was sie sich anfänglich als Ziel vorgesteckt. So versuchen sie sich jetzt auf neuen Wegen, in Betreff deren man gespannt sein darf, welcher Theil den anderen am ehesten den Vorsprung abgewinnen wird. Frankreich hatte die vergleichsweise bedeutendsten Chancen in den Händen, seinen Einfluß für längere Dauer zum herrschenden zu machen. Wie die Dinge aber gegen¬ wärtig liegen, will es scheinen, als ob dem augenblicklich zurückerwarteten britischen Botschafter sich überwiegende Aussichten auf eine erfolgreiche Wirk¬ samkeit eröffneten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/298>, abgerufen am 27.09.2024.