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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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weite für politische Gedanken und Beschlüsse zuerst auf -- waren luftig, um
nicht zu sagen chimärisch. Es waren nur Spiegelbilder von den Wünschen der
Schützen. Wen die Versammlung zum König des Schießens erklärte, der
konnte das Ziel sich doch nicht aneignen, dessen Verwirklichung von ganz anderen
Kräften und Mächten außerhalb der Versammlung abhing. Dieser Umstand,
daß die Versammlung schließlich nnr einen moralischen Einfluß üben konnte,
dagegen einer organisirten Macht weder zu gebieten, noch dieselbe mittelbar in
Bewegung zu setzen vermochte, raubte allen Berathungen die sichere Berechnung
der ernstlichen Folgen, damit aber auch die Sicherheit der eigenen Schritte.
' Im Grunde stritt man nur über politische Wahrheiten, nicht über politische
Maßregeln. Daher so viele Unvereinbarkeiten in dem Werke, das man schlie߬
lich zusammenfügte, und das zur praktischen Anwendung erst den Meister be¬
durft hätte, der es umgestaltete.

Der preußische Landtag, vor dem Scheitern der Paulskirche gleichzeitig
mit derselben lagert, zeigte noch einige denkwürdige Momente des Ausflackerns
einer idealen, aber zum hoffnungslosen Niedergang verurtheilten Bewegung.
Dann verloren seine Berathungen bis zum Jahre 1858, ganz vereinzelte glück¬
liche Momente weniger Redner abgerechnet, alle Bedeutung.

Die scheinbar liberale Aera von 1858 brachte keine Besserung. Die liberale
Majorität verfiel gegenüber einem politisch gleichartigen, aber unfähigen Mini¬
sterium in die seltsame Verlegenheit, nicht zu wissen, was sie beginnen sollte,
und sich deshab mit dem Ministerium um Nichtigkeiten zu schlagen, bis die
Forderung der Militär-Reorganisation kam, aus welcher sich der Verfaffungs-
konflikt entspann. Leidenschaft und Talent wurden auch hier zuweilen in un¬
gewöhnlichem Maße aufgeboten, aber die Konfliktsepoche ist, auch rein parla¬
mentarisch betrachtet, eine traurige. Das Parlament konnte nicht nur aus
Mangel an Macht keine thatsächlichen Lorbeeren pflücken: indem es, lediglich
auf einem formellen Schein bestehend, den gröbsten politischen Fehler verlangte,
eine große politische Aktion ohne wirksames Heer, schlug es moralisch sich selbst;
während anch auf der anderen Seite das geistige Uebergewicht der Regierung
parlamentarisch nicht zur Geltung kam, wo man nicht von politischen Zwecken,
sondern nur von technischen Verbesserungen redete und reden durfte.

Das Parlament des norddeutschen Bundes durchschritt eine Epoche, wo
es sich in einem Theil der Fragen dem leitenden Staatsmanne fast wider¬
standslos fügte und von demselben dafür freie Bahn auf dem Felde der kon¬
kreten Gesetzgebung erhielt, die nach längst festgestellten Doktrinen ebenso aus¬
giebig als unvorsichtig benutzt wurde.

Das Reichsparlament, kaum in's Leben gerufen, sah alsbald den Kultur¬
kampf. Auch hier gab es leidenschaftliche Gegensätze und rhetorische Kunst.


weite für politische Gedanken und Beschlüsse zuerst auf — waren luftig, um
nicht zu sagen chimärisch. Es waren nur Spiegelbilder von den Wünschen der
Schützen. Wen die Versammlung zum König des Schießens erklärte, der
konnte das Ziel sich doch nicht aneignen, dessen Verwirklichung von ganz anderen
Kräften und Mächten außerhalb der Versammlung abhing. Dieser Umstand,
daß die Versammlung schließlich nnr einen moralischen Einfluß üben konnte,
dagegen einer organisirten Macht weder zu gebieten, noch dieselbe mittelbar in
Bewegung zu setzen vermochte, raubte allen Berathungen die sichere Berechnung
der ernstlichen Folgen, damit aber auch die Sicherheit der eigenen Schritte.
' Im Grunde stritt man nur über politische Wahrheiten, nicht über politische
Maßregeln. Daher so viele Unvereinbarkeiten in dem Werke, das man schlie߬
lich zusammenfügte, und das zur praktischen Anwendung erst den Meister be¬
durft hätte, der es umgestaltete.

Der preußische Landtag, vor dem Scheitern der Paulskirche gleichzeitig
mit derselben lagert, zeigte noch einige denkwürdige Momente des Ausflackerns
einer idealen, aber zum hoffnungslosen Niedergang verurtheilten Bewegung.
Dann verloren seine Berathungen bis zum Jahre 1858, ganz vereinzelte glück¬
liche Momente weniger Redner abgerechnet, alle Bedeutung.

Die scheinbar liberale Aera von 1858 brachte keine Besserung. Die liberale
Majorität verfiel gegenüber einem politisch gleichartigen, aber unfähigen Mini¬
sterium in die seltsame Verlegenheit, nicht zu wissen, was sie beginnen sollte,
und sich deshab mit dem Ministerium um Nichtigkeiten zu schlagen, bis die
Forderung der Militär-Reorganisation kam, aus welcher sich der Verfaffungs-
konflikt entspann. Leidenschaft und Talent wurden auch hier zuweilen in un¬
gewöhnlichem Maße aufgeboten, aber die Konfliktsepoche ist, auch rein parla¬
mentarisch betrachtet, eine traurige. Das Parlament konnte nicht nur aus
Mangel an Macht keine thatsächlichen Lorbeeren pflücken: indem es, lediglich
auf einem formellen Schein bestehend, den gröbsten politischen Fehler verlangte,
eine große politische Aktion ohne wirksames Heer, schlug es moralisch sich selbst;
während anch auf der anderen Seite das geistige Uebergewicht der Regierung
parlamentarisch nicht zur Geltung kam, wo man nicht von politischen Zwecken,
sondern nur von technischen Verbesserungen redete und reden durfte.

Das Parlament des norddeutschen Bundes durchschritt eine Epoche, wo
es sich in einem Theil der Fragen dem leitenden Staatsmanne fast wider¬
standslos fügte und von demselben dafür freie Bahn auf dem Felde der kon¬
kreten Gesetzgebung erhielt, die nach längst festgestellten Doktrinen ebenso aus¬
giebig als unvorsichtig benutzt wurde.

Das Reichsparlament, kaum in's Leben gerufen, sah alsbald den Kultur¬
kampf. Auch hier gab es leidenschaftliche Gegensätze und rhetorische Kunst.


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[0286] weite für politische Gedanken und Beschlüsse zuerst auf — waren luftig, um nicht zu sagen chimärisch. Es waren nur Spiegelbilder von den Wünschen der Schützen. Wen die Versammlung zum König des Schießens erklärte, der konnte das Ziel sich doch nicht aneignen, dessen Verwirklichung von ganz anderen Kräften und Mächten außerhalb der Versammlung abhing. Dieser Umstand, daß die Versammlung schließlich nnr einen moralischen Einfluß üben konnte, dagegen einer organisirten Macht weder zu gebieten, noch dieselbe mittelbar in Bewegung zu setzen vermochte, raubte allen Berathungen die sichere Berechnung der ernstlichen Folgen, damit aber auch die Sicherheit der eigenen Schritte. ' Im Grunde stritt man nur über politische Wahrheiten, nicht über politische Maßregeln. Daher so viele Unvereinbarkeiten in dem Werke, das man schlie߬ lich zusammenfügte, und das zur praktischen Anwendung erst den Meister be¬ durft hätte, der es umgestaltete. Der preußische Landtag, vor dem Scheitern der Paulskirche gleichzeitig mit derselben lagert, zeigte noch einige denkwürdige Momente des Ausflackerns einer idealen, aber zum hoffnungslosen Niedergang verurtheilten Bewegung. Dann verloren seine Berathungen bis zum Jahre 1858, ganz vereinzelte glück¬ liche Momente weniger Redner abgerechnet, alle Bedeutung. Die scheinbar liberale Aera von 1858 brachte keine Besserung. Die liberale Majorität verfiel gegenüber einem politisch gleichartigen, aber unfähigen Mini¬ sterium in die seltsame Verlegenheit, nicht zu wissen, was sie beginnen sollte, und sich deshab mit dem Ministerium um Nichtigkeiten zu schlagen, bis die Forderung der Militär-Reorganisation kam, aus welcher sich der Verfaffungs- konflikt entspann. Leidenschaft und Talent wurden auch hier zuweilen in un¬ gewöhnlichem Maße aufgeboten, aber die Konfliktsepoche ist, auch rein parla¬ mentarisch betrachtet, eine traurige. Das Parlament konnte nicht nur aus Mangel an Macht keine thatsächlichen Lorbeeren pflücken: indem es, lediglich auf einem formellen Schein bestehend, den gröbsten politischen Fehler verlangte, eine große politische Aktion ohne wirksames Heer, schlug es moralisch sich selbst; während anch auf der anderen Seite das geistige Uebergewicht der Regierung parlamentarisch nicht zur Geltung kam, wo man nicht von politischen Zwecken, sondern nur von technischen Verbesserungen redete und reden durfte. Das Parlament des norddeutschen Bundes durchschritt eine Epoche, wo es sich in einem Theil der Fragen dem leitenden Staatsmanne fast wider¬ standslos fügte und von demselben dafür freie Bahn auf dem Felde der kon¬ kreten Gesetzgebung erhielt, die nach längst festgestellten Doktrinen ebenso aus¬ giebig als unvorsichtig benutzt wurde. Das Reichsparlament, kaum in's Leben gerufen, sah alsbald den Kultur¬ kampf. Auch hier gab es leidenschaftliche Gegensätze und rhetorische Kunst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/286>, abgerufen am 19.10.2024.