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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bug, mit welchem die Hamburger Besitzer das Bild zu umgeben für gut fanden,
ihre Hand boten, ist für alle Zeiten mit schwarzen Lettern in ihre Chronik
eingetragen.

Durch einen dunklen Vorhang war von dem großen Ausstellungssaal ein
Gemach abgegrenzt. Schlug man die Portisre zurück, so trat man in ein
schwarz verhangenes Zimmer, in welches von außen kein einziger Lichtstrahl
hineinfiel. Aus dem Hintergrunde trat dem Eintretenden eine weiße, grell be¬
leuchtete Gestalt entgegen: ein todtenbleiches Angesicht starrte ihn mit glanzlosen
Augen an, den Augen, "die eine liebende Hand nicht schloß". Die Hände der
geisterhaften Erscheinung kreuzten sich krampfhaft über der Brust und drückten
das aufgelöste, in wirren Strähnen herabhängende, schwarzbraune Haar gegen
den Hals, als wollten sie das blutige Mal verbergen, den rothen von Henkers¬
hand gezeichneten Streifen, der durch das weiße Linnengewand hindurchschimmerte.
Die Gestalt drückte sich gegen eine dunkle Felswand, als wollte sie sich vor
den Blicken des Faust verbergen; die Füße waren eng aneinander geschlossen,
wie es in der Dichtung heißt: "Sie scheint mit geschlossenen Füßen zu gehen."
Von einer um den Hals geschlungenen Schnur hing eine Kapsel herab, deren
Deckel aufgesprungen und aus der ein güldner Fingerreif, Faust's Liebespfand,
auf das Felsgestein herabgeklirrt war. Auf dem Boden spielten einige Raben,
die Vorboten des Hochgerichts, mit dem glitzernden Kleinod. Mit diesem völlig
modern novellistischen Zug war der Maler jedoch noch nicht zufrieden. Wer
das Bild ohne die effektvolle Jnszenirung gesehen hatte, der wußte, daß noch
an der Felswand des Hintergrundes der Schatten einer Hand zu sehen war.
Der Schatten einer Hand! Wer denkt dabei nicht an einen der Sensations¬
romane von Dumas dem Vater oder von Eugen Sue? Welch' ein Spielraum
war da der Phantasie des Beschauers gelassen? War es die Hand des Faust,
der seinem Begleiter das grauenhafte Phantom weist, oder war es gar die Hand
des teuflischen Versuchers, der sein Opfer auf eine neue Phantasmagorie auf¬
merksam macht?

An der linken Seite des Bildes war eine regelrechte Koulisfe aufgerichtet,
hinter der zwei große Lampen angebracht waren, die ihr Licht in einen metalle¬
nen Hohlspiegel warfen und von dort auf das Bild reflektiren ließen. Diese
unwürdige Komödie mußte natürlich jedem ernsthaften Kunstfreunde den Genuß
an den trefflich gemalten Einzelheiten verleiden. Wer sich nicht auf Wien
besann, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die Figur ausnahmsweise
vortrefflich gezeichnet war, und daß die koloristische Stimmung des Bildes auch
ohne künstliche Beleuchtung von wahrhaft poetischer Wirkung war. Aber über
das Moderne einerseits und über das komisch Spukhafte andererseits kam man
doch nicht hinaus. Ich mußte wieder an die Worte Heine's über Scheffer's


bug, mit welchem die Hamburger Besitzer das Bild zu umgeben für gut fanden,
ihre Hand boten, ist für alle Zeiten mit schwarzen Lettern in ihre Chronik
eingetragen.

Durch einen dunklen Vorhang war von dem großen Ausstellungssaal ein
Gemach abgegrenzt. Schlug man die Portisre zurück, so trat man in ein
schwarz verhangenes Zimmer, in welches von außen kein einziger Lichtstrahl
hineinfiel. Aus dem Hintergrunde trat dem Eintretenden eine weiße, grell be¬
leuchtete Gestalt entgegen: ein todtenbleiches Angesicht starrte ihn mit glanzlosen
Augen an, den Augen, „die eine liebende Hand nicht schloß". Die Hände der
geisterhaften Erscheinung kreuzten sich krampfhaft über der Brust und drückten
das aufgelöste, in wirren Strähnen herabhängende, schwarzbraune Haar gegen
den Hals, als wollten sie das blutige Mal verbergen, den rothen von Henkers¬
hand gezeichneten Streifen, der durch das weiße Linnengewand hindurchschimmerte.
Die Gestalt drückte sich gegen eine dunkle Felswand, als wollte sie sich vor
den Blicken des Faust verbergen; die Füße waren eng aneinander geschlossen,
wie es in der Dichtung heißt: „Sie scheint mit geschlossenen Füßen zu gehen."
Von einer um den Hals geschlungenen Schnur hing eine Kapsel herab, deren
Deckel aufgesprungen und aus der ein güldner Fingerreif, Faust's Liebespfand,
auf das Felsgestein herabgeklirrt war. Auf dem Boden spielten einige Raben,
die Vorboten des Hochgerichts, mit dem glitzernden Kleinod. Mit diesem völlig
modern novellistischen Zug war der Maler jedoch noch nicht zufrieden. Wer
das Bild ohne die effektvolle Jnszenirung gesehen hatte, der wußte, daß noch
an der Felswand des Hintergrundes der Schatten einer Hand zu sehen war.
Der Schatten einer Hand! Wer denkt dabei nicht an einen der Sensations¬
romane von Dumas dem Vater oder von Eugen Sue? Welch' ein Spielraum
war da der Phantasie des Beschauers gelassen? War es die Hand des Faust,
der seinem Begleiter das grauenhafte Phantom weist, oder war es gar die Hand
des teuflischen Versuchers, der sein Opfer auf eine neue Phantasmagorie auf¬
merksam macht?

An der linken Seite des Bildes war eine regelrechte Koulisfe aufgerichtet,
hinter der zwei große Lampen angebracht waren, die ihr Licht in einen metalle¬
nen Hohlspiegel warfen und von dort auf das Bild reflektiren ließen. Diese
unwürdige Komödie mußte natürlich jedem ernsthaften Kunstfreunde den Genuß
an den trefflich gemalten Einzelheiten verleiden. Wer sich nicht auf Wien
besann, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die Figur ausnahmsweise
vortrefflich gezeichnet war, und daß die koloristische Stimmung des Bildes auch
ohne künstliche Beleuchtung von wahrhaft poetischer Wirkung war. Aber über
das Moderne einerseits und über das komisch Spukhafte andererseits kam man
doch nicht hinaus. Ich mußte wieder an die Worte Heine's über Scheffer's


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/28>, abgerufen am 27.09.2024.