Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Mannes, und er möge ihm doch etwas bessere Arzenei als die gewöhnliche
geben, damit er womöglich am Leben erhalten würde. Da sprach er zu mir:
"Ich wüßte keine andere bessere Arzenei als die in der großen Flasche da vor
Ihm, damit könnte er sich wohl noch etliche Wochen hinflicken." nunmehro
gestand ich ihni, daß ich der Patient selber sei und nur hätte hören wollen,
was er von meiner Krankheit hielte. Da fiel er mir um den Hals und rief:
"Wahrhaftig, Sie sein am Ende Ihres Lebens, aber noch ist einige Rettung
möglich. Hier, dieses ist das einzige Mittel. Da Sie noch jung sein, so müssen
Sie täglich drei bis viermal Menschenfett essen. Ich will Ihnen gleich ein
Glas voll zurecht machen. Gehen Sie einstweilen in die Stube." Ich ging
dann in die Stube, und dort überbrachte er mir ein Glas und sagte: "So,
das gebrauchen Sie gehörig, und dann sagen Sie mir, ob Sie Besserung
spüren." Darauf ging ich mit meinem Glasmacher nach Hause. Dieser Doktor
war auch ein Brucbschneider, von dem die Leute behaupteten, daß jeder Mensch,
den er knrire, genese, ausgenommen allemal der neunte, der müsse sterben.
Auch führe er nur zweierlei Arzenei mit sich.

Mein Menschenfett mußte ich vor dem Einnehmen jedesmal erwärmen.
Dabei blieb es mir immer an den Lippen hängen. Nachdem ich es mehrere
Tage hintereinander eingenommen hatte, wurde mir ekel; denn ich dachte an
die Menschen, von denen das Fett herkam. Ich ging also wieder zu dem
Doktor und klagte ihm meine Noth mit der Arzenei, und daß mir davor graute,
weil Menschenfett drin wäre. "Ja, ja," erwiederte er, "es ist auch Menschen¬
fett, Sie brauchen sich aber nicht davor zu ekeln, ich habe es selbst ausgekocht
und zwar aus einem jungen Frauenzimmer, und es ist ganz reinlich damit
umgegangen worden. Die Person hatte ihr Kind umgebracht, dafür wurde
ihr der Kopf abgeschlagen. Der Herzog von Gotha hat mir sie geschenkt, und
ich habe seinen Prinzen, der vom Pferde gestürzt war und sich die Brust ein¬
gedrückt hatte, mit dem nämlichen Fette kurirt. Dasselbige ist eben jetzo auch
vor Ihnen recht passend. Ich kann Ihnen übrigens die Haut von jenem
Frauenzimmer zeigen, auch das Skelett hängt oben in meiner Kammer." Ich
wollte mich doch gerne überzeugen, ob das alles wahr sei, und so bat ich ihn,
mir die Haut zu zeigen. Da brachte er mir dieselbe getragen, und ich erschrak
ordentlich darüber. Sie war fein gahr gemacht, auch waren die Brüste, Warzen,
Finger und Fußzehen daran noch ganz deutlich zu fehen. Das Skelett mochte
ich nun nicht mehr in Augenschein nehmen; denn ich war nun erst recht ekel¬
haft geworden und sagte ihm, daß ich jetzt gar nicht mehr im Stande wäre,
von jenem Menschenfett einzunehmen. Da antwortete er: "Nun, so lassen
Sie es bleiben, wenn Sie lieber sterben wollen." Ich bat ihn, sich zu be¬
sinnen, ob er mir nicht etwas Anderes geben könnte, das mir hülfe. Nach


Mannes, und er möge ihm doch etwas bessere Arzenei als die gewöhnliche
geben, damit er womöglich am Leben erhalten würde. Da sprach er zu mir:
„Ich wüßte keine andere bessere Arzenei als die in der großen Flasche da vor
Ihm, damit könnte er sich wohl noch etliche Wochen hinflicken." nunmehro
gestand ich ihni, daß ich der Patient selber sei und nur hätte hören wollen,
was er von meiner Krankheit hielte. Da fiel er mir um den Hals und rief:
„Wahrhaftig, Sie sein am Ende Ihres Lebens, aber noch ist einige Rettung
möglich. Hier, dieses ist das einzige Mittel. Da Sie noch jung sein, so müssen
Sie täglich drei bis viermal Menschenfett essen. Ich will Ihnen gleich ein
Glas voll zurecht machen. Gehen Sie einstweilen in die Stube." Ich ging
dann in die Stube, und dort überbrachte er mir ein Glas und sagte: „So,
das gebrauchen Sie gehörig, und dann sagen Sie mir, ob Sie Besserung
spüren." Darauf ging ich mit meinem Glasmacher nach Hause. Dieser Doktor
war auch ein Brucbschneider, von dem die Leute behaupteten, daß jeder Mensch,
den er knrire, genese, ausgenommen allemal der neunte, der müsse sterben.
Auch führe er nur zweierlei Arzenei mit sich.

Mein Menschenfett mußte ich vor dem Einnehmen jedesmal erwärmen.
Dabei blieb es mir immer an den Lippen hängen. Nachdem ich es mehrere
Tage hintereinander eingenommen hatte, wurde mir ekel; denn ich dachte an
die Menschen, von denen das Fett herkam. Ich ging also wieder zu dem
Doktor und klagte ihm meine Noth mit der Arzenei, und daß mir davor graute,
weil Menschenfett drin wäre. „Ja, ja," erwiederte er, „es ist auch Menschen¬
fett, Sie brauchen sich aber nicht davor zu ekeln, ich habe es selbst ausgekocht
und zwar aus einem jungen Frauenzimmer, und es ist ganz reinlich damit
umgegangen worden. Die Person hatte ihr Kind umgebracht, dafür wurde
ihr der Kopf abgeschlagen. Der Herzog von Gotha hat mir sie geschenkt, und
ich habe seinen Prinzen, der vom Pferde gestürzt war und sich die Brust ein¬
gedrückt hatte, mit dem nämlichen Fette kurirt. Dasselbige ist eben jetzo auch
vor Ihnen recht passend. Ich kann Ihnen übrigens die Haut von jenem
Frauenzimmer zeigen, auch das Skelett hängt oben in meiner Kammer." Ich
wollte mich doch gerne überzeugen, ob das alles wahr sei, und so bat ich ihn,
mir die Haut zu zeigen. Da brachte er mir dieselbe getragen, und ich erschrak
ordentlich darüber. Sie war fein gahr gemacht, auch waren die Brüste, Warzen,
Finger und Fußzehen daran noch ganz deutlich zu fehen. Das Skelett mochte
ich nun nicht mehr in Augenschein nehmen; denn ich war nun erst recht ekel¬
haft geworden und sagte ihm, daß ich jetzt gar nicht mehr im Stande wäre,
von jenem Menschenfett einzunehmen. Da antwortete er: „Nun, so lassen
Sie es bleiben, wenn Sie lieber sterben wollen." Ich bat ihn, sich zu be¬
sinnen, ob er mir nicht etwas Anderes geben könnte, das mir hülfe. Nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142233"/>
          <p xml:id="ID_798" prev="#ID_797"> Mannes, und er möge ihm doch etwas bessere Arzenei als die gewöhnliche<lb/>
geben, damit er womöglich am Leben erhalten würde. Da sprach er zu mir:<lb/>
&#x201E;Ich wüßte keine andere bessere Arzenei als die in der großen Flasche da vor<lb/>
Ihm, damit könnte er sich wohl noch etliche Wochen hinflicken." nunmehro<lb/>
gestand ich ihni, daß ich der Patient selber sei und nur hätte hören wollen,<lb/>
was er von meiner Krankheit hielte. Da fiel er mir um den Hals und rief:<lb/>
&#x201E;Wahrhaftig, Sie sein am Ende Ihres Lebens, aber noch ist einige Rettung<lb/>
möglich. Hier, dieses ist das einzige Mittel. Da Sie noch jung sein, so müssen<lb/>
Sie täglich drei bis viermal Menschenfett essen. Ich will Ihnen gleich ein<lb/>
Glas voll zurecht machen. Gehen Sie einstweilen in die Stube." Ich ging<lb/>
dann in die Stube, und dort überbrachte er mir ein Glas und sagte: &#x201E;So,<lb/>
das gebrauchen Sie gehörig, und dann sagen Sie mir, ob Sie Besserung<lb/>
spüren." Darauf ging ich mit meinem Glasmacher nach Hause. Dieser Doktor<lb/>
war auch ein Brucbschneider, von dem die Leute behaupteten, daß jeder Mensch,<lb/>
den er knrire, genese, ausgenommen allemal der neunte, der müsse sterben.<lb/>
Auch führe er nur zweierlei Arzenei mit sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_799" next="#ID_800"> Mein Menschenfett mußte ich vor dem Einnehmen jedesmal erwärmen.<lb/>
Dabei blieb es mir immer an den Lippen hängen. Nachdem ich es mehrere<lb/>
Tage hintereinander eingenommen hatte, wurde mir ekel; denn ich dachte an<lb/>
die Menschen, von denen das Fett herkam. Ich ging also wieder zu dem<lb/>
Doktor und klagte ihm meine Noth mit der Arzenei, und daß mir davor graute,<lb/>
weil Menschenfett drin wäre. &#x201E;Ja, ja," erwiederte er, &#x201E;es ist auch Menschen¬<lb/>
fett, Sie brauchen sich aber nicht davor zu ekeln, ich habe es selbst ausgekocht<lb/>
und zwar aus einem jungen Frauenzimmer, und es ist ganz reinlich damit<lb/>
umgegangen worden. Die Person hatte ihr Kind umgebracht, dafür wurde<lb/>
ihr der Kopf abgeschlagen. Der Herzog von Gotha hat mir sie geschenkt, und<lb/>
ich habe seinen Prinzen, der vom Pferde gestürzt war und sich die Brust ein¬<lb/>
gedrückt hatte, mit dem nämlichen Fette kurirt. Dasselbige ist eben jetzo auch<lb/>
vor Ihnen recht passend. Ich kann Ihnen übrigens die Haut von jenem<lb/>
Frauenzimmer zeigen, auch das Skelett hängt oben in meiner Kammer." Ich<lb/>
wollte mich doch gerne überzeugen, ob das alles wahr sei, und so bat ich ihn,<lb/>
mir die Haut zu zeigen. Da brachte er mir dieselbe getragen, und ich erschrak<lb/>
ordentlich darüber. Sie war fein gahr gemacht, auch waren die Brüste, Warzen,<lb/>
Finger und Fußzehen daran noch ganz deutlich zu fehen. Das Skelett mochte<lb/>
ich nun nicht mehr in Augenschein nehmen; denn ich war nun erst recht ekel¬<lb/>
haft geworden und sagte ihm, daß ich jetzt gar nicht mehr im Stande wäre,<lb/>
von jenem Menschenfett einzunehmen. Da antwortete er: &#x201E;Nun, so lassen<lb/>
Sie es bleiben, wenn Sie lieber sterben wollen." Ich bat ihn, sich zu be¬<lb/>
sinnen, ob er mir nicht etwas Anderes geben könnte, das mir hülfe. Nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Mannes, und er möge ihm doch etwas bessere Arzenei als die gewöhnliche geben, damit er womöglich am Leben erhalten würde. Da sprach er zu mir: „Ich wüßte keine andere bessere Arzenei als die in der großen Flasche da vor Ihm, damit könnte er sich wohl noch etliche Wochen hinflicken." nunmehro gestand ich ihni, daß ich der Patient selber sei und nur hätte hören wollen, was er von meiner Krankheit hielte. Da fiel er mir um den Hals und rief: „Wahrhaftig, Sie sein am Ende Ihres Lebens, aber noch ist einige Rettung möglich. Hier, dieses ist das einzige Mittel. Da Sie noch jung sein, so müssen Sie täglich drei bis viermal Menschenfett essen. Ich will Ihnen gleich ein Glas voll zurecht machen. Gehen Sie einstweilen in die Stube." Ich ging dann in die Stube, und dort überbrachte er mir ein Glas und sagte: „So, das gebrauchen Sie gehörig, und dann sagen Sie mir, ob Sie Besserung spüren." Darauf ging ich mit meinem Glasmacher nach Hause. Dieser Doktor war auch ein Brucbschneider, von dem die Leute behaupteten, daß jeder Mensch, den er knrire, genese, ausgenommen allemal der neunte, der müsse sterben. Auch führe er nur zweierlei Arzenei mit sich. Mein Menschenfett mußte ich vor dem Einnehmen jedesmal erwärmen. Dabei blieb es mir immer an den Lippen hängen. Nachdem ich es mehrere Tage hintereinander eingenommen hatte, wurde mir ekel; denn ich dachte an die Menschen, von denen das Fett herkam. Ich ging also wieder zu dem Doktor und klagte ihm meine Noth mit der Arzenei, und daß mir davor graute, weil Menschenfett drin wäre. „Ja, ja," erwiederte er, „es ist auch Menschen¬ fett, Sie brauchen sich aber nicht davor zu ekeln, ich habe es selbst ausgekocht und zwar aus einem jungen Frauenzimmer, und es ist ganz reinlich damit umgegangen worden. Die Person hatte ihr Kind umgebracht, dafür wurde ihr der Kopf abgeschlagen. Der Herzog von Gotha hat mir sie geschenkt, und ich habe seinen Prinzen, der vom Pferde gestürzt war und sich die Brust ein¬ gedrückt hatte, mit dem nämlichen Fette kurirt. Dasselbige ist eben jetzo auch vor Ihnen recht passend. Ich kann Ihnen übrigens die Haut von jenem Frauenzimmer zeigen, auch das Skelett hängt oben in meiner Kammer." Ich wollte mich doch gerne überzeugen, ob das alles wahr sei, und so bat ich ihn, mir die Haut zu zeigen. Da brachte er mir dieselbe getragen, und ich erschrak ordentlich darüber. Sie war fein gahr gemacht, auch waren die Brüste, Warzen, Finger und Fußzehen daran noch ganz deutlich zu fehen. Das Skelett mochte ich nun nicht mehr in Augenschein nehmen; denn ich war nun erst recht ekel¬ haft geworden und sagte ihm, daß ich jetzt gar nicht mehr im Stande wäre, von jenem Menschenfett einzunehmen. Da antwortete er: „Nun, so lassen Sie es bleiben, wenn Sie lieber sterben wollen." Ich bat ihn, sich zu be¬ sinnen, ob er mir nicht etwas Anderes geben könnte, das mir hülfe. Nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/278>, abgerufen am 27.09.2024.