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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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entnahm: Fuchslunge sollte in Schwindsuchtsfällen, die Eingeweide des Wolfs
sollten bei Kolik, Elenthierklauen und Menschenblut bei der Fallsucht, Theile
vom Hirsche bei Vergiftungen gute Dienste leisten. Man schrieb den Mumien
Heilkräfte zu, man bereitete "magnetische" Salben, und man nahm bei seinen
Kuren -- vorzüglich bei chirurgischen -- Rücksicht auf einen vermeintlichen
Einfluß der Gestirne. Der Leipziger Arzt Michaelis heilte mit einem in seinem
Besitze befindlichen Stück Narwalzahn, das er für ein Stück vom Horne des
fabelhaften Einhorns hielt, alle erdenklichen Gebresten. Wie andere Wunder¬
doktoren der Zeit unserer Urgroßväter verfuhren, mag uns Gotthelf Greiner,
der Erfinder des Thüringer Porzellans, erzählen"), der von 1732 bis 1797
lebte. Derselbe berichtet, wie es scheint aus dem ersten oder zweiten Jahre
des siebenjährigen Krieges:

Ich war zu eifrig in der Arbeit (als Glasfabrikant) und strengte mich
Zu sehr an, hatte wohl auch in der Erhitzung einen kalten Trunk gethan. Ich
wurde zwar nicht bettlägerig, aber krank war ich doch. Meine Beine ge¬
schwollen, und Wasser drang mir in die Nase und die Augen, wenn ich mich
niederbückte. Auch bekam ich kurzen Athem. Da wurde meiner Frau recht
bange und mir auch. Alle glaubten, ich hätte die Wassersucht, und obgleich
ich kein Bier- und Weintrinker war, so glaubte ich es endlich selber. Mir war
Zu Muthe, als arbeitete ich am Rande meines Grabes. Kein Arzt der Gegend
konnte mir helfen. Da traf sich's, daß ein berühmter Doktor, Neß genannt,
auf die Steinheide kam. Dem schickte ich durch einen meiner Glasmacher ein
Gläslein voll von meinem Urin, ging aber voraus zu ihm, blos um zu hören,
was er dazu sagen würde, und ließ ich nicht wissen, daß ich selber der Kranke
War. Als mein Glasmacher ihm das Glas übergeben und wörtlich ausge¬
richtet hatte, was ich ihm aufgetragen, sprach'der Doktor: "Lieber Freund,
sag' Er diesem Manne, es wäre schade um seine Frau und Kinder. Er soll
sich vor seinem Ende noch ordentlich was zu Gute thun; denn länger als un¬
gefähr noch einen Monat wird er nicht mehr leben. Der arme Mensch hat
w zu großer Erhitzung einen kalten Trunk gethan, das Wasser steht ihm an
der Lunge, und die muß deßwegen verfaulen. Doch ich will ihm ein Glas
Arzenei geben, diese mag er brauchen; er wird aber wohl kein Medicament
mehr begehren."

Ich blieb noch bei ihm in seinem Laboratorium, nachdem mein Glas¬
macher fort war, und sagte zu ihm, ich wäre ein guter Bekannter dieses kranken



*) Vgl. dessen Autobiographie in der Schrift von Fleischmann: "Kulturhistorische
Bilder aus dem Meininger Oberlande" (Hildburghausen, Kesselring'sche Hofbuch¬
handlung, 1S7V), S. 38 ff. Auch sonst ein lesenswerthes kleines Buch.

entnahm: Fuchslunge sollte in Schwindsuchtsfällen, die Eingeweide des Wolfs
sollten bei Kolik, Elenthierklauen und Menschenblut bei der Fallsucht, Theile
vom Hirsche bei Vergiftungen gute Dienste leisten. Man schrieb den Mumien
Heilkräfte zu, man bereitete „magnetische" Salben, und man nahm bei seinen
Kuren — vorzüglich bei chirurgischen — Rücksicht auf einen vermeintlichen
Einfluß der Gestirne. Der Leipziger Arzt Michaelis heilte mit einem in seinem
Besitze befindlichen Stück Narwalzahn, das er für ein Stück vom Horne des
fabelhaften Einhorns hielt, alle erdenklichen Gebresten. Wie andere Wunder¬
doktoren der Zeit unserer Urgroßväter verfuhren, mag uns Gotthelf Greiner,
der Erfinder des Thüringer Porzellans, erzählen"), der von 1732 bis 1797
lebte. Derselbe berichtet, wie es scheint aus dem ersten oder zweiten Jahre
des siebenjährigen Krieges:

Ich war zu eifrig in der Arbeit (als Glasfabrikant) und strengte mich
Zu sehr an, hatte wohl auch in der Erhitzung einen kalten Trunk gethan. Ich
wurde zwar nicht bettlägerig, aber krank war ich doch. Meine Beine ge¬
schwollen, und Wasser drang mir in die Nase und die Augen, wenn ich mich
niederbückte. Auch bekam ich kurzen Athem. Da wurde meiner Frau recht
bange und mir auch. Alle glaubten, ich hätte die Wassersucht, und obgleich
ich kein Bier- und Weintrinker war, so glaubte ich es endlich selber. Mir war
Zu Muthe, als arbeitete ich am Rande meines Grabes. Kein Arzt der Gegend
konnte mir helfen. Da traf sich's, daß ein berühmter Doktor, Neß genannt,
auf die Steinheide kam. Dem schickte ich durch einen meiner Glasmacher ein
Gläslein voll von meinem Urin, ging aber voraus zu ihm, blos um zu hören,
was er dazu sagen würde, und ließ ich nicht wissen, daß ich selber der Kranke
War. Als mein Glasmacher ihm das Glas übergeben und wörtlich ausge¬
richtet hatte, was ich ihm aufgetragen, sprach'der Doktor: „Lieber Freund,
sag' Er diesem Manne, es wäre schade um seine Frau und Kinder. Er soll
sich vor seinem Ende noch ordentlich was zu Gute thun; denn länger als un¬
gefähr noch einen Monat wird er nicht mehr leben. Der arme Mensch hat
w zu großer Erhitzung einen kalten Trunk gethan, das Wasser steht ihm an
der Lunge, und die muß deßwegen verfaulen. Doch ich will ihm ein Glas
Arzenei geben, diese mag er brauchen; er wird aber wohl kein Medicament
mehr begehren."

Ich blieb noch bei ihm in seinem Laboratorium, nachdem mein Glas¬
macher fort war, und sagte zu ihm, ich wäre ein guter Bekannter dieses kranken



*) Vgl. dessen Autobiographie in der Schrift von Fleischmann: „Kulturhistorische
Bilder aus dem Meininger Oberlande" (Hildburghausen, Kesselring'sche Hofbuch¬
handlung, 1S7V), S. 38 ff. Auch sonst ein lesenswerthes kleines Buch.
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[0277] entnahm: Fuchslunge sollte in Schwindsuchtsfällen, die Eingeweide des Wolfs sollten bei Kolik, Elenthierklauen und Menschenblut bei der Fallsucht, Theile vom Hirsche bei Vergiftungen gute Dienste leisten. Man schrieb den Mumien Heilkräfte zu, man bereitete „magnetische" Salben, und man nahm bei seinen Kuren — vorzüglich bei chirurgischen — Rücksicht auf einen vermeintlichen Einfluß der Gestirne. Der Leipziger Arzt Michaelis heilte mit einem in seinem Besitze befindlichen Stück Narwalzahn, das er für ein Stück vom Horne des fabelhaften Einhorns hielt, alle erdenklichen Gebresten. Wie andere Wunder¬ doktoren der Zeit unserer Urgroßväter verfuhren, mag uns Gotthelf Greiner, der Erfinder des Thüringer Porzellans, erzählen"), der von 1732 bis 1797 lebte. Derselbe berichtet, wie es scheint aus dem ersten oder zweiten Jahre des siebenjährigen Krieges: Ich war zu eifrig in der Arbeit (als Glasfabrikant) und strengte mich Zu sehr an, hatte wohl auch in der Erhitzung einen kalten Trunk gethan. Ich wurde zwar nicht bettlägerig, aber krank war ich doch. Meine Beine ge¬ schwollen, und Wasser drang mir in die Nase und die Augen, wenn ich mich niederbückte. Auch bekam ich kurzen Athem. Da wurde meiner Frau recht bange und mir auch. Alle glaubten, ich hätte die Wassersucht, und obgleich ich kein Bier- und Weintrinker war, so glaubte ich es endlich selber. Mir war Zu Muthe, als arbeitete ich am Rande meines Grabes. Kein Arzt der Gegend konnte mir helfen. Da traf sich's, daß ein berühmter Doktor, Neß genannt, auf die Steinheide kam. Dem schickte ich durch einen meiner Glasmacher ein Gläslein voll von meinem Urin, ging aber voraus zu ihm, blos um zu hören, was er dazu sagen würde, und ließ ich nicht wissen, daß ich selber der Kranke War. Als mein Glasmacher ihm das Glas übergeben und wörtlich ausge¬ richtet hatte, was ich ihm aufgetragen, sprach'der Doktor: „Lieber Freund, sag' Er diesem Manne, es wäre schade um seine Frau und Kinder. Er soll sich vor seinem Ende noch ordentlich was zu Gute thun; denn länger als un¬ gefähr noch einen Monat wird er nicht mehr leben. Der arme Mensch hat w zu großer Erhitzung einen kalten Trunk gethan, das Wasser steht ihm an der Lunge, und die muß deßwegen verfaulen. Doch ich will ihm ein Glas Arzenei geben, diese mag er brauchen; er wird aber wohl kein Medicament mehr begehren." Ich blieb noch bei ihm in seinem Laboratorium, nachdem mein Glas¬ macher fort war, und sagte zu ihm, ich wäre ein guter Bekannter dieses kranken *) Vgl. dessen Autobiographie in der Schrift von Fleischmann: „Kulturhistorische Bilder aus dem Meininger Oberlande" (Hildburghausen, Kesselring'sche Hofbuch¬ handlung, 1S7V), S. 38 ff. Auch sonst ein lesenswerthes kleines Buch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/277>, abgerufen am 27.09.2024.