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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Marktschreierei oder Charlatcmsgriffe hinzugesetzt, weil derjenige, so diese nicht
verstünde, nimmermehr den Namen eines geübten Medici verdienen könne. Und
zwar hat Patinus nicht übel geurtheilet. Denn daß ich derer Herumläufer
und Marktschreier nicht einmal gedenke, welche auf öffentlichen Straßen und
Gassen auf ihre Gerüste treten, damit sie den Pöbel betrügen und ihm Ziegel¬
staub vor goldne Pulver verkaufen mögen, so frage ich, wie viel wohl auch
rechte Medici seien, welche nicht allenthalben ein großes Sehet ihr, meine
Herren ausschreien und von ihren Seel- und Lebenskräfte bringenden Herz¬
stärkungen, Groß- und Kleinwelt-Geisterischen Säften, Indianischen Wunder-
ölen, hochheiligen Paracelsistischen Panaceen, unschätzbaren Goldtränken, sera-
Phinischen Latwergen, siebenundsiebzigerlei Pulvern, Gottes Wundergüte prei¬
sender Otternschmalze und weiß nicht wie viel hundert andere dergleichen mit
viel fürchterlicheren arabischen und abracadabrischen Benennungen ausstaffirter
Hülfsmitteln großes Wesen machen."

Und in der zweiten Rede heißt es:

"Ich eile demnach zu den Aerzten, bei denen vornehmlich die Charlata-
nerie so gewöhnlich und einheimisch ist, daß es sehr schwer fällt, einen rechten
ehrlichen Medicum von einem Marktschreier und Betrüger zu unterscheiden.
Denn es ist bekannt, daß viele der vornehmsten und berühmtesten selbst bekennen,
es sei diese Kunst sehr ungewiß, schlüpfrig und mangelhaft, da nicht nur die
rechten Ursachen der Krankheiten größtentheils unbekannt bleiben, sondern oft
auch ihre bewährtesten Mittel die gehoffte Wirkung versagen. Daher man
beinahe auf diese deuten könnte, was ehemals Cato von den Wahrsagern ge¬
urtheilet hat: er wundere sich nämlich, daß einer den anderen ohne Lachen
könne ansehen. Die bekannte Formel bleibt doch ihr gewöhnlichstes Rezept:


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Denn ob sie gleich in allen Dingen unerfahren sind, so pflegen sie nichtsdesto¬
weniger ihre Pillen, Siruppe, Tropfen und andere köstliche Sachen als große
Geheimnisse und allgemeine Hülfsmittel jedermann dermaßen einzuloben, daß
man meinen sollte, sie wären vermögend, die Todten selbst aufzuwecken. In¬
dessen bringen sie aber doch ihrer ungezähnten Freiheit nach viel Menschen
recht liederlich um das Leben und sind darinnen glücklich, daß die angeschla¬
genen Kuren von der Sonne erleuchtet und bekannt gemacht, die unglücklichen
Zufälle aber mit Erde bedeckt werden."*) -- "Weil sie auch wohl wissen, was



*) Man vergleiche hiermit, was Cervantes seinen Licenciado Bidriera sagen läßt:
"Der Richter kann das Recht verdrehen, der Advokat eine schlechte Sache vertheidigen, der
Kaufmann uns um unser Geld betrügen, keiner von ihnen aber darf uns ungestraft das

Marktschreierei oder Charlatcmsgriffe hinzugesetzt, weil derjenige, so diese nicht
verstünde, nimmermehr den Namen eines geübten Medici verdienen könne. Und
zwar hat Patinus nicht übel geurtheilet. Denn daß ich derer Herumläufer
und Marktschreier nicht einmal gedenke, welche auf öffentlichen Straßen und
Gassen auf ihre Gerüste treten, damit sie den Pöbel betrügen und ihm Ziegel¬
staub vor goldne Pulver verkaufen mögen, so frage ich, wie viel wohl auch
rechte Medici seien, welche nicht allenthalben ein großes Sehet ihr, meine
Herren ausschreien und von ihren Seel- und Lebenskräfte bringenden Herz¬
stärkungen, Groß- und Kleinwelt-Geisterischen Säften, Indianischen Wunder-
ölen, hochheiligen Paracelsistischen Panaceen, unschätzbaren Goldtränken, sera-
Phinischen Latwergen, siebenundsiebzigerlei Pulvern, Gottes Wundergüte prei¬
sender Otternschmalze und weiß nicht wie viel hundert andere dergleichen mit
viel fürchterlicheren arabischen und abracadabrischen Benennungen ausstaffirter
Hülfsmitteln großes Wesen machen."

Und in der zweiten Rede heißt es:

„Ich eile demnach zu den Aerzten, bei denen vornehmlich die Charlata-
nerie so gewöhnlich und einheimisch ist, daß es sehr schwer fällt, einen rechten
ehrlichen Medicum von einem Marktschreier und Betrüger zu unterscheiden.
Denn es ist bekannt, daß viele der vornehmsten und berühmtesten selbst bekennen,
es sei diese Kunst sehr ungewiß, schlüpfrig und mangelhaft, da nicht nur die
rechten Ursachen der Krankheiten größtentheils unbekannt bleiben, sondern oft
auch ihre bewährtesten Mittel die gehoffte Wirkung versagen. Daher man
beinahe auf diese deuten könnte, was ehemals Cato von den Wahrsagern ge¬
urtheilet hat: er wundere sich nämlich, daß einer den anderen ohne Lachen
könne ansehen. Die bekannte Formel bleibt doch ihr gewöhnlichstes Rezept:


81 vis Ls,us,ri as raorbo vssoio pus,1i,
^eoixias Kerdam, seil gu»in oft nsseio ynaleinz
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Denn ob sie gleich in allen Dingen unerfahren sind, so pflegen sie nichtsdesto¬
weniger ihre Pillen, Siruppe, Tropfen und andere köstliche Sachen als große
Geheimnisse und allgemeine Hülfsmittel jedermann dermaßen einzuloben, daß
man meinen sollte, sie wären vermögend, die Todten selbst aufzuwecken. In¬
dessen bringen sie aber doch ihrer ungezähnten Freiheit nach viel Menschen
recht liederlich um das Leben und sind darinnen glücklich, daß die angeschla¬
genen Kuren von der Sonne erleuchtet und bekannt gemacht, die unglücklichen
Zufälle aber mit Erde bedeckt werden."*) — „Weil sie auch wohl wissen, was



*) Man vergleiche hiermit, was Cervantes seinen Licenciado Bidriera sagen läßt:
»Der Richter kann das Recht verdrehen, der Advokat eine schlechte Sache vertheidigen, der
Kaufmann uns um unser Geld betrügen, keiner von ihnen aber darf uns ungestraft das
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[0275] Marktschreierei oder Charlatcmsgriffe hinzugesetzt, weil derjenige, so diese nicht verstünde, nimmermehr den Namen eines geübten Medici verdienen könne. Und zwar hat Patinus nicht übel geurtheilet. Denn daß ich derer Herumläufer und Marktschreier nicht einmal gedenke, welche auf öffentlichen Straßen und Gassen auf ihre Gerüste treten, damit sie den Pöbel betrügen und ihm Ziegel¬ staub vor goldne Pulver verkaufen mögen, so frage ich, wie viel wohl auch rechte Medici seien, welche nicht allenthalben ein großes Sehet ihr, meine Herren ausschreien und von ihren Seel- und Lebenskräfte bringenden Herz¬ stärkungen, Groß- und Kleinwelt-Geisterischen Säften, Indianischen Wunder- ölen, hochheiligen Paracelsistischen Panaceen, unschätzbaren Goldtränken, sera- Phinischen Latwergen, siebenundsiebzigerlei Pulvern, Gottes Wundergüte prei¬ sender Otternschmalze und weiß nicht wie viel hundert andere dergleichen mit viel fürchterlicheren arabischen und abracadabrischen Benennungen ausstaffirter Hülfsmitteln großes Wesen machen." Und in der zweiten Rede heißt es: „Ich eile demnach zu den Aerzten, bei denen vornehmlich die Charlata- nerie so gewöhnlich und einheimisch ist, daß es sehr schwer fällt, einen rechten ehrlichen Medicum von einem Marktschreier und Betrüger zu unterscheiden. Denn es ist bekannt, daß viele der vornehmsten und berühmtesten selbst bekennen, es sei diese Kunst sehr ungewiß, schlüpfrig und mangelhaft, da nicht nur die rechten Ursachen der Krankheiten größtentheils unbekannt bleiben, sondern oft auch ihre bewährtesten Mittel die gehoffte Wirkung versagen. Daher man beinahe auf diese deuten könnte, was ehemals Cato von den Wahrsagern ge¬ urtheilet hat: er wundere sich nämlich, daß einer den anderen ohne Lachen könne ansehen. Die bekannte Formel bleibt doch ihr gewöhnlichstes Rezept: 81 vis Ls,us,ri as raorbo vssoio pus,1i, ^eoixias Kerdam, seil gu»in oft nsseio ynaleinz ?vus,s vesoio <zuo, hö,us,t>ers nesoio qug,v<Z,o. Denn ob sie gleich in allen Dingen unerfahren sind, so pflegen sie nichtsdesto¬ weniger ihre Pillen, Siruppe, Tropfen und andere köstliche Sachen als große Geheimnisse und allgemeine Hülfsmittel jedermann dermaßen einzuloben, daß man meinen sollte, sie wären vermögend, die Todten selbst aufzuwecken. In¬ dessen bringen sie aber doch ihrer ungezähnten Freiheit nach viel Menschen recht liederlich um das Leben und sind darinnen glücklich, daß die angeschla¬ genen Kuren von der Sonne erleuchtet und bekannt gemacht, die unglücklichen Zufälle aber mit Erde bedeckt werden."*) — „Weil sie auch wohl wissen, was *) Man vergleiche hiermit, was Cervantes seinen Licenciado Bidriera sagen läßt: »Der Richter kann das Recht verdrehen, der Advokat eine schlechte Sache vertheidigen, der Kaufmann uns um unser Geld betrügen, keiner von ihnen aber darf uns ungestraft das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/275>, abgerufen am 29.12.2024.