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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Photolithographie hergestellt sind fliegende Blätter des sechzehnten Jahrhun¬
derts, Titelblätter von einer Bibelübersetzung Luther's, von Fischart's Gar-
gantua und Pantagruel u. s. w. Daneben nehmen sich freilich die Nachbil¬
dungen alter Holzschnitte durch moderne Xylographen, die für den Charakter
des alten Holzschnittes nicht das geringste Verständniß gehabt haben, abson¬
derlich genug aus. Auch die Porträts unserer klassischen Dichter -- besonders
Goethe nach May, Leasing nach Tischbein, Charlotte von Schiller --, unter
den modernen Rückert und Freiligrath, sind durch die Behandlung der Xylo¬
graphen charakterlos geworden. Das ist Dutzendware, die man sich in illu-
strirten Famüienjvurnalen gefallen läßt, aber nicht in einem Buche, das mit
solchem Pomp auftritt und zum größten Theil ja auch feine künstlerische An¬
sprüche befriedigt.

Wenn nur der Text nicht wäre! Ohne ihn würde man das instruktive
Bilderbuch jedesmal mit Vergnügen zur Hand nehmen und mit Befriedigung
durchblättern. Aber dieser Text! Fast auf jeder Seite eine Unbeholfenheit,
eine Geschmacklosigkeit, ein schiefes Urtheil! Wenn man der Vorrede trauen
darf, sucht Koenig freilich jede Selbständigkeit von sich abzulehnen. Er will
nur wiedergegeben habe", was er bei Lachmann und Gelzer gelernt, was die
"Forschungen unserer hervorragenden Germanisten und Literarhistoriker" ihm
geboten. Und in der That hat er, besonders für die Behandlung der älteren
Epoche, von den Forschungen der Germanisten den ausgiebigsten Gebrauch ge¬
macht, einen so ausgiebigen, daß er, statt uns ein lebendiges, farbenreiches
Bild von einer jeden Epoche im Rahmen der Kulturgeschichte zu entwerfen,,
vielmehr nur trockenen Notizenkram gesammelt hat, der sich an dürftige und
meist schwunglose Auszüge aus den alten Schriftdenkmälern anlehnt. Wie
lebendig, wie fein poetisch nachempfindend hat dagegen Otto Roquette die alten
Heldensagen nacherzählt!

Ich habe Rezensionen der Koenig'schen Literaturgeschichte gelesen, welche,
von Germanisten geschrieben, gerade auf die Mängel in der Behandlung der
ältesten Zeit hinwiesen. Um dann aber einigen Balsam auf die dem Autor
geschlagenen Wunden zu träufeln, wurde die Darstellung der modernen Zeit,
namentlich der klassischen Epoche, herausgestrichen. Ich kann mich dieser
Ansicht uicht anschließen. Gerade in der Behandlung der ersten Epoche, an
welcher die Germanisten wegen ihres unwissenschaftlichen Charakters Anstoß
nahmen -- ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich hier dahingestellt --, waltet
noch eine gewisse kühle Objektivität vor, die uns den Genuß der Lektüre zwar
nicht erhöht, aber doch auch nicht verdirbt. Sobald sich der Verfasser dagegen
der modernen Zeit nähert und anfängt, Tendenzen zu wittern, die den seinigen
zuwiderlaufen, fällt er einer schrankenlosen Subjektivität anheiln, welche jeden


Photolithographie hergestellt sind fliegende Blätter des sechzehnten Jahrhun¬
derts, Titelblätter von einer Bibelübersetzung Luther's, von Fischart's Gar-
gantua und Pantagruel u. s. w. Daneben nehmen sich freilich die Nachbil¬
dungen alter Holzschnitte durch moderne Xylographen, die für den Charakter
des alten Holzschnittes nicht das geringste Verständniß gehabt haben, abson¬
derlich genug aus. Auch die Porträts unserer klassischen Dichter — besonders
Goethe nach May, Leasing nach Tischbein, Charlotte von Schiller —, unter
den modernen Rückert und Freiligrath, sind durch die Behandlung der Xylo¬
graphen charakterlos geworden. Das ist Dutzendware, die man sich in illu-
strirten Famüienjvurnalen gefallen läßt, aber nicht in einem Buche, das mit
solchem Pomp auftritt und zum größten Theil ja auch feine künstlerische An¬
sprüche befriedigt.

Wenn nur der Text nicht wäre! Ohne ihn würde man das instruktive
Bilderbuch jedesmal mit Vergnügen zur Hand nehmen und mit Befriedigung
durchblättern. Aber dieser Text! Fast auf jeder Seite eine Unbeholfenheit,
eine Geschmacklosigkeit, ein schiefes Urtheil! Wenn man der Vorrede trauen
darf, sucht Koenig freilich jede Selbständigkeit von sich abzulehnen. Er will
nur wiedergegeben habe«, was er bei Lachmann und Gelzer gelernt, was die
„Forschungen unserer hervorragenden Germanisten und Literarhistoriker" ihm
geboten. Und in der That hat er, besonders für die Behandlung der älteren
Epoche, von den Forschungen der Germanisten den ausgiebigsten Gebrauch ge¬
macht, einen so ausgiebigen, daß er, statt uns ein lebendiges, farbenreiches
Bild von einer jeden Epoche im Rahmen der Kulturgeschichte zu entwerfen,,
vielmehr nur trockenen Notizenkram gesammelt hat, der sich an dürftige und
meist schwunglose Auszüge aus den alten Schriftdenkmälern anlehnt. Wie
lebendig, wie fein poetisch nachempfindend hat dagegen Otto Roquette die alten
Heldensagen nacherzählt!

Ich habe Rezensionen der Koenig'schen Literaturgeschichte gelesen, welche,
von Germanisten geschrieben, gerade auf die Mängel in der Behandlung der
ältesten Zeit hinwiesen. Um dann aber einigen Balsam auf die dem Autor
geschlagenen Wunden zu träufeln, wurde die Darstellung der modernen Zeit,
namentlich der klassischen Epoche, herausgestrichen. Ich kann mich dieser
Ansicht uicht anschließen. Gerade in der Behandlung der ersten Epoche, an
welcher die Germanisten wegen ihres unwissenschaftlichen Charakters Anstoß
nahmen — ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich hier dahingestellt —, waltet
noch eine gewisse kühle Objektivität vor, die uns den Genuß der Lektüre zwar
nicht erhöht, aber doch auch nicht verdirbt. Sobald sich der Verfasser dagegen
der modernen Zeit nähert und anfängt, Tendenzen zu wittern, die den seinigen
zuwiderlaufen, fällt er einer schrankenlosen Subjektivität anheiln, welche jeden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/240>, abgerufen am 20.10.2024.