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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Kabinettes sei, und Jork's Konvention ans dem tiefsten Grunde des preußischen
Volksbewußtseins erwachsen?

Bald sollte auch dem Imperator der letzte Zweifel daran schwinden. Am
20. Januar Morgens war Natzmer wieder vom Czaren in Potsdam einge¬
troffen, hatte gemeldet, die Russen würden über die Weichsel gehen. Die
Nachrichten Knesebeck's aus Wien lauteten nicht ungünstig, und als nun vollends
die für sicher gehaltene Kunde kam, Augereau wolle sich der Person des Königs
bemächtigen, da beschloß der Hof, was längst geplant war, auszuführen. Am
22. Januar Morgens verließ Friedrich Wilhelm mit seinen Söhnen Potsdam,
am 25. zog er in dem jubelnden Breslau ein. Er war in Sicherheit und frei.

Seine treuen Preußen verstanden, was das bedeute: ihr König war ent¬
schlossen zum Bruche mit Frankreich. Frohlockend trugen sie die Kunde von
Ort zu Ort, von Haus zu Haus. Sie hatten die jammervollen Reste der
"großen Armee" gesehen, zerschmettert war die Macht des "Korsen", des namen¬
los verhaßten; sie hatten jubelnd die kühne That Aork's vernommen und
trauernd ihre Verwerfung durch den König, aber sie warteten seines Befehles,
sie stellten sich ruhig und geräuschlos als Reservisten und Rekruten, als er die
Verstärkung seiner Regimenter anordnete, mit Musik und Gesang zogen die
Schaaren aller Orten ein. Die stille Hoffnung flog von Herz zu Herz und ließ
sie höher schlagen, das alles könne doch nicht für Frankreich, es müsse gegen
Frankreich sein. Und nun kam die Kunde von Breslau, nun umdrängten die
Schlesier mit stürmischem Jubel den geliebten Herrscher, und auch der kühle
Rechner, Freiherr v. Hardenberg, ward ein verwandelter Mensch unter dieser
elektrischen Berührung.

Aber noch ahnte er nicht, was dies Volk zu leisten gewillt und fähig sei.
Ost-Preußen war in voller Bewegung. Keine andere Provinz hatte in den
letzten entsetzlichen Jahren so furchtbar gelitten, wie dies arme Land. Der
blutige Krieg von 1806/7 hatte ihren Viehstand, die Grundlage ihres
Reichthums, zerrüttet, die Bevölkerung um ein Fünftel vermindert, die Konti¬
nentalsperre ihre blühende Getreideausfuhr vernichtet. Eine völlige Mißernte
im Jahre 1811 kam hinzu, und was an Wohlstand noch übrig war, das fraßen
die ungeheuren Einquartierungen und Durchmärsche des nächsten Jahres.
Aller Orten traf der Blick auf verbrannte Höfe, verödete Felder, kummervolle
Gesichter. Und an all' dem Verderben war doch nur der Eine Schuld; ihn
und sein Volk traf ein furchtbarer Haß, um so unversöhnlicher, je langsamer
er um sich griff in diesen nüchternen, phlegmatischen Menschen, die gewöhnt
waren, ihre Gefühle zu beherrschen. Nirgends war der Eindruck des furcht¬
baren Gottesgerichtes in Rußland tiefer als hier, wo man den ganzen blen¬
denden Glanz und den ganzen frechen Uebermuth der Franzosen mit Trauer


Kabinettes sei, und Jork's Konvention ans dem tiefsten Grunde des preußischen
Volksbewußtseins erwachsen?

Bald sollte auch dem Imperator der letzte Zweifel daran schwinden. Am
20. Januar Morgens war Natzmer wieder vom Czaren in Potsdam einge¬
troffen, hatte gemeldet, die Russen würden über die Weichsel gehen. Die
Nachrichten Knesebeck's aus Wien lauteten nicht ungünstig, und als nun vollends
die für sicher gehaltene Kunde kam, Augereau wolle sich der Person des Königs
bemächtigen, da beschloß der Hof, was längst geplant war, auszuführen. Am
22. Januar Morgens verließ Friedrich Wilhelm mit seinen Söhnen Potsdam,
am 25. zog er in dem jubelnden Breslau ein. Er war in Sicherheit und frei.

Seine treuen Preußen verstanden, was das bedeute: ihr König war ent¬
schlossen zum Bruche mit Frankreich. Frohlockend trugen sie die Kunde von
Ort zu Ort, von Haus zu Haus. Sie hatten die jammervollen Reste der
„großen Armee" gesehen, zerschmettert war die Macht des „Korsen", des namen¬
los verhaßten; sie hatten jubelnd die kühne That Aork's vernommen und
trauernd ihre Verwerfung durch den König, aber sie warteten seines Befehles,
sie stellten sich ruhig und geräuschlos als Reservisten und Rekruten, als er die
Verstärkung seiner Regimenter anordnete, mit Musik und Gesang zogen die
Schaaren aller Orten ein. Die stille Hoffnung flog von Herz zu Herz und ließ
sie höher schlagen, das alles könne doch nicht für Frankreich, es müsse gegen
Frankreich sein. Und nun kam die Kunde von Breslau, nun umdrängten die
Schlesier mit stürmischem Jubel den geliebten Herrscher, und auch der kühle
Rechner, Freiherr v. Hardenberg, ward ein verwandelter Mensch unter dieser
elektrischen Berührung.

Aber noch ahnte er nicht, was dies Volk zu leisten gewillt und fähig sei.
Ost-Preußen war in voller Bewegung. Keine andere Provinz hatte in den
letzten entsetzlichen Jahren so furchtbar gelitten, wie dies arme Land. Der
blutige Krieg von 1806/7 hatte ihren Viehstand, die Grundlage ihres
Reichthums, zerrüttet, die Bevölkerung um ein Fünftel vermindert, die Konti¬
nentalsperre ihre blühende Getreideausfuhr vernichtet. Eine völlige Mißernte
im Jahre 1811 kam hinzu, und was an Wohlstand noch übrig war, das fraßen
die ungeheuren Einquartierungen und Durchmärsche des nächsten Jahres.
Aller Orten traf der Blick auf verbrannte Höfe, verödete Felder, kummervolle
Gesichter. Und an all' dem Verderben war doch nur der Eine Schuld; ihn
und sein Volk traf ein furchtbarer Haß, um so unversöhnlicher, je langsamer
er um sich griff in diesen nüchternen, phlegmatischen Menschen, die gewöhnt
waren, ihre Gefühle zu beherrschen. Nirgends war der Eindruck des furcht¬
baren Gottesgerichtes in Rußland tiefer als hier, wo man den ganzen blen¬
denden Glanz und den ganzen frechen Uebermuth der Franzosen mit Trauer


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[0224] Kabinettes sei, und Jork's Konvention ans dem tiefsten Grunde des preußischen Volksbewußtseins erwachsen? Bald sollte auch dem Imperator der letzte Zweifel daran schwinden. Am 20. Januar Morgens war Natzmer wieder vom Czaren in Potsdam einge¬ troffen, hatte gemeldet, die Russen würden über die Weichsel gehen. Die Nachrichten Knesebeck's aus Wien lauteten nicht ungünstig, und als nun vollends die für sicher gehaltene Kunde kam, Augereau wolle sich der Person des Königs bemächtigen, da beschloß der Hof, was längst geplant war, auszuführen. Am 22. Januar Morgens verließ Friedrich Wilhelm mit seinen Söhnen Potsdam, am 25. zog er in dem jubelnden Breslau ein. Er war in Sicherheit und frei. Seine treuen Preußen verstanden, was das bedeute: ihr König war ent¬ schlossen zum Bruche mit Frankreich. Frohlockend trugen sie die Kunde von Ort zu Ort, von Haus zu Haus. Sie hatten die jammervollen Reste der „großen Armee" gesehen, zerschmettert war die Macht des „Korsen", des namen¬ los verhaßten; sie hatten jubelnd die kühne That Aork's vernommen und trauernd ihre Verwerfung durch den König, aber sie warteten seines Befehles, sie stellten sich ruhig und geräuschlos als Reservisten und Rekruten, als er die Verstärkung seiner Regimenter anordnete, mit Musik und Gesang zogen die Schaaren aller Orten ein. Die stille Hoffnung flog von Herz zu Herz und ließ sie höher schlagen, das alles könne doch nicht für Frankreich, es müsse gegen Frankreich sein. Und nun kam die Kunde von Breslau, nun umdrängten die Schlesier mit stürmischem Jubel den geliebten Herrscher, und auch der kühle Rechner, Freiherr v. Hardenberg, ward ein verwandelter Mensch unter dieser elektrischen Berührung. Aber noch ahnte er nicht, was dies Volk zu leisten gewillt und fähig sei. Ost-Preußen war in voller Bewegung. Keine andere Provinz hatte in den letzten entsetzlichen Jahren so furchtbar gelitten, wie dies arme Land. Der blutige Krieg von 1806/7 hatte ihren Viehstand, die Grundlage ihres Reichthums, zerrüttet, die Bevölkerung um ein Fünftel vermindert, die Konti¬ nentalsperre ihre blühende Getreideausfuhr vernichtet. Eine völlige Mißernte im Jahre 1811 kam hinzu, und was an Wohlstand noch übrig war, das fraßen die ungeheuren Einquartierungen und Durchmärsche des nächsten Jahres. Aller Orten traf der Blick auf verbrannte Höfe, verödete Felder, kummervolle Gesichter. Und an all' dem Verderben war doch nur der Eine Schuld; ihn und sein Volk traf ein furchtbarer Haß, um so unversöhnlicher, je langsamer er um sich griff in diesen nüchternen, phlegmatischen Menschen, die gewöhnt waren, ihre Gefühle zu beherrschen. Nirgends war der Eindruck des furcht¬ baren Gottesgerichtes in Rußland tiefer als hier, wo man den ganzen blen¬ denden Glanz und den ganzen frechen Uebermuth der Franzosen mit Trauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/224>, abgerufen am 28.12.2024.