Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.tung, da arbeiten Scharnhorst und seine Genossen an der Umbildung und Ver¬ Und doch, wie konnte man eben im September 1812 glauben, daß die Als Hcirdenberg dies Schreiben aus Wien empfing, wußte er schon um tung, da arbeiten Scharnhorst und seine Genossen an der Umbildung und Ver¬ Und doch, wie konnte man eben im September 1812 glauben, daß die Als Hcirdenberg dies Schreiben aus Wien empfing, wußte er schon um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142168"/> <p xml:id="ID_596" prev="#ID_595"> tung, da arbeiten Scharnhorst und seine Genossen an der Umbildung und Ver¬<lb/> mehrung des Heeres, da hält Fichte seine stolzen und tiefen Reden an die<lb/> deutsche Nation, da sammelt sich an der neugegründeten Universität Berlin ein<lb/> Kreis unsterblicher Geisteshelden. Und als der Feldzug gegen das Czarenreich<lb/> eröffnet wird, da geht auch das Gefühl durch die Massen: das sei die Wende<lb/> im Schicksal des Gewaltigen, so frevelhafter Uebermuth fordere die göttliche<lb/> Vergeltung heraus.</p><lb/> <p xml:id="ID_597"> Und doch, wie konnte man eben im September 1812 glauben, daß die<lb/> Katastrophe so nahe sei? Nur rasches, ungestörtes Vorrücken der Franzosen,<lb/> unaufhörliches Weichen der Russen wurde gemeldet. Da war es wohl erklär¬<lb/> lich, wenn der Staatskanzler v. Hcirdenberg, der 1810 die Leitung des tief<lb/> gebeugten preußischen Staates übernommen, überzeugt, daß der völlige Sieg<lb/> Frankreich's kaum abzuwenden sei und auch eine etwaige Niederlage die furcht¬<lb/> baren Lasten Preußen's nur steigern könne, in einem eigenhändigen Schreiben,<lb/> durch welches die volle Trostlosigkeit der Lage hindurchklang, am 3. September<lb/> dem Grafen Metternich eine Verständigung über möglichst übereinstimmendes<lb/> Vorgehen beider Mächte anbot. Nun erhielt aber Metternich kurz nachher die<lb/> Nachrichten vom Siege bei Borodino (7. Sept.), vom Einzuge Napoleon's im<lb/> heiligen Moskau (14. Sept.); wie konnte er, der niemals an die Ausdauer<lb/> des Czaren geglaubt, jetzt etwas anderes aus allem sehen, als die Bestätigung<lb/> seines Pessimismus! Umsomehr war er geneigt, Hcirdenberg zuzustimmen;<lb/> aber er ging einen Schritt weiter; er entwickelte ihm den Plan einer gemein¬<lb/> schaftlichen Vermittelung des allgemeinen Friedens, dessen schleuniger Abschluß<lb/> allein die beiden zwischen Frankreich und Rußland eingekeilten Mächte Preußen<lb/> und Oesterreich vor gänzlichem Verderben zu retten vermöge (5. Oktober).</p><lb/> <p xml:id="ID_598" next="#ID_599"> Als Hcirdenberg dies Schreiben aus Wien empfing, wußte er schon um<lb/> den Brand von Moskau. Der erste Hoffnungsschimmer stieg ihm auf; das<lb/> konnte der Anfang des Endes sein, wenn anders Kaiser Alexander fest blieb,<lb/> den Frieden nicht schloß, den Napoleon in Moskau zu finden gewähnt. Und<lb/> der Czar, von Stein's gewaltiger Energie getragen, blieb fest; „nach dieser<lb/> Wunde," hatte er gesagt, „sind alle anderen nur Schrammen", und als Napo¬<lb/> leon's Generaladjutant Lauriston in Tarutino dem Fürsten Kutusow Smo-<lb/> lenskoj den Frieden bot, da hatte ihm dieser echte Altrusse entgegnet: „Mit-<lb/> und Nachwelt würden mich verfluchen, wollte ich die Hand zu einem Vertrage<lb/> bieten." Jetzt, als die heilige Czarenstadt ein Raub der Flammen geworden,<lb/> jetzt erwachte in voller Stärke der religiöse Patriotismus des russischen Volkes.<lb/> Und jetzt — es war Anfang Oktober — erhielt man auch in Berlin die posi¬<lb/> tive Versicherung des Czaren: er sei zur Fortsetzung des Krieges fest entschlossen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0213]
tung, da arbeiten Scharnhorst und seine Genossen an der Umbildung und Ver¬
mehrung des Heeres, da hält Fichte seine stolzen und tiefen Reden an die
deutsche Nation, da sammelt sich an der neugegründeten Universität Berlin ein
Kreis unsterblicher Geisteshelden. Und als der Feldzug gegen das Czarenreich
eröffnet wird, da geht auch das Gefühl durch die Massen: das sei die Wende
im Schicksal des Gewaltigen, so frevelhafter Uebermuth fordere die göttliche
Vergeltung heraus.
Und doch, wie konnte man eben im September 1812 glauben, daß die
Katastrophe so nahe sei? Nur rasches, ungestörtes Vorrücken der Franzosen,
unaufhörliches Weichen der Russen wurde gemeldet. Da war es wohl erklär¬
lich, wenn der Staatskanzler v. Hcirdenberg, der 1810 die Leitung des tief
gebeugten preußischen Staates übernommen, überzeugt, daß der völlige Sieg
Frankreich's kaum abzuwenden sei und auch eine etwaige Niederlage die furcht¬
baren Lasten Preußen's nur steigern könne, in einem eigenhändigen Schreiben,
durch welches die volle Trostlosigkeit der Lage hindurchklang, am 3. September
dem Grafen Metternich eine Verständigung über möglichst übereinstimmendes
Vorgehen beider Mächte anbot. Nun erhielt aber Metternich kurz nachher die
Nachrichten vom Siege bei Borodino (7. Sept.), vom Einzuge Napoleon's im
heiligen Moskau (14. Sept.); wie konnte er, der niemals an die Ausdauer
des Czaren geglaubt, jetzt etwas anderes aus allem sehen, als die Bestätigung
seines Pessimismus! Umsomehr war er geneigt, Hcirdenberg zuzustimmen;
aber er ging einen Schritt weiter; er entwickelte ihm den Plan einer gemein¬
schaftlichen Vermittelung des allgemeinen Friedens, dessen schleuniger Abschluß
allein die beiden zwischen Frankreich und Rußland eingekeilten Mächte Preußen
und Oesterreich vor gänzlichem Verderben zu retten vermöge (5. Oktober).
Als Hcirdenberg dies Schreiben aus Wien empfing, wußte er schon um
den Brand von Moskau. Der erste Hoffnungsschimmer stieg ihm auf; das
konnte der Anfang des Endes sein, wenn anders Kaiser Alexander fest blieb,
den Frieden nicht schloß, den Napoleon in Moskau zu finden gewähnt. Und
der Czar, von Stein's gewaltiger Energie getragen, blieb fest; „nach dieser
Wunde," hatte er gesagt, „sind alle anderen nur Schrammen", und als Napo¬
leon's Generaladjutant Lauriston in Tarutino dem Fürsten Kutusow Smo-
lenskoj den Frieden bot, da hatte ihm dieser echte Altrusse entgegnet: „Mit-
und Nachwelt würden mich verfluchen, wollte ich die Hand zu einem Vertrage
bieten." Jetzt, als die heilige Czarenstadt ein Raub der Flammen geworden,
jetzt erwachte in voller Stärke der religiöse Patriotismus des russischen Volkes.
Und jetzt — es war Anfang Oktober — erhielt man auch in Berlin die posi¬
tive Versicherung des Czaren: er sei zur Fortsetzung des Krieges fest entschlossen,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |