Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.uisation unseres seelischen Lebens ist durch die sittliche Eigenthümlichkeit be¬ Aber allerdings, zu diesem Resultate könnte man eben nur gelangen, wenn uisation unseres seelischen Lebens ist durch die sittliche Eigenthümlichkeit be¬ Aber allerdings, zu diesem Resultate könnte man eben nur gelangen, wenn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142134"/> <p xml:id="ID_508" prev="#ID_507"> uisation unseres seelischen Lebens ist durch die sittliche Eigenthümlichkeit be¬<lb/> dingt, wie sie unsere Eltern in sich gestaltet haben. Und wieviel Faktoren<lb/> haben auf diese gewirkt, bis ihr individueller Charakter seine definitive Richtung<lb/> empfing! Und nun die Atmosphäre, die wir einathmen, der Einfluß, den<lb/> unsere häusliche Umgebung auf uns ausübt — wir sind ihrer Macht unter¬<lb/> worfen, noch bevor wir die Kraft besitzen, dagegen zu reagiren. Und wenn<lb/> wir uns vergegenwärtigen, wie in diesen Einflüssen sich das Ergebniß des<lb/> ganzen Verlaufs der Geschichte der Menschheit darstellt, so wird sich die Frage<lb/> gewiß begreifen lassen, ob einem so gewaltigen Faktor die einzelne Persönlichkeit<lb/> Widerstand zu leisten vermöge. Man könnte dem Gedanken Raum geben, daß die<lb/> menschliche Freiheit, in den Anfängen der geschichtlichen Entwickelung eine kräf¬<lb/> tige Potenz, im Laufe derselben sich doch mehr und mehr verringert habe, um<lb/> schließlich völlig zu verschwinden; und die Erfahrung würde, leichthin befragt,<lb/> vielleicht keine verneinende Antwort geben. Denn wieviele Persönlichkeiten zeigt<lb/> sie uns, die in der That nichts anderes zu sein scheinen als der Kreuzungs¬<lb/> punkt mannichfaltiger Einflüsse, welche bald ans der inneren Beschaffenheit des<lb/> Psychischen Mechanismus, bald von außen her auf das Ich eindringen, so daß,<lb/> wer sie zu übersehen vermöchte, auch das Thun und Lassen der einzelnen Per¬<lb/> sönlichkeiten mathematisch genau zu bestimmen im Stande wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_509" next="#ID_510"> Aber allerdings, zu diesem Resultate könnte man eben nur gelangen, wenn<lb/> man die Erfahrung leichthin befragte, wenn man nur auf die Summe mittel¬<lb/> mäßiger Existenzen den Blick lenkte. Wer aber die Persönlichkeiten großer<lb/> Männer in's Auge faßt, wird zu anderen Schlüssen genöthigt werden. Denn<lb/> hier sehen wir den Einzelnen maßgebend werden für das Ganze, sehen ihn<lb/> seine Zeitgenossen auf Bahnen führen, die sie bis dahin nicht betreten hatten,<lb/> ja die sie als verderblich gemieden. Solche Persönlichkeiten geben ihrer Zeit<lb/> das Gepräge und bleiben auf lange für das Gebiet bestimmend, das sie zu<lb/> ihrem Arbeitsfelde gewählt haben. Und von hier aus füllt auch ein Licht auf<lb/> die Individuen, die, weniger glänzend ausgestattet, in kleinerem Kreise wirksam<lb/> sind. Auch hier sind doch die Persönlichkeiten nicht selten, die unter den un¬<lb/> günstigsten Umständen, im Kampf gegen drückende Verhältnisse, körperliche Ge¬<lb/> brechlichkeit, trübe Stimmungen, leidenschaftliche Erregtheit Sieger bleiben.<lb/> Und auch da, wo wir die Thätigkeit individueller Freiheit nicht wahrzunehmen<lb/> Pflegten, werden wir plötzlich durch Aeußerungen derselben überrascht, so daß<lb/> wir an ihrem Dasein nicht zweifeln können. Gewiß, wir können die Menschen in<lb/> zwei Gruppen sondern, in Persönlichkeiten, die vorwiegend spontan, aktiv, be¬<lb/> stimmend sind, und in andere, denen vorwiegend Rezeptivität, Passivität, Bestimm¬<lb/> barkeit eigen ist; aber dieser Unterschied ist ein relativer, kein absoluter. Wie die<lb/> Individuen, die durch Initiative sich auszeichnen, doch wie in einem Brennpunkte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
uisation unseres seelischen Lebens ist durch die sittliche Eigenthümlichkeit be¬
dingt, wie sie unsere Eltern in sich gestaltet haben. Und wieviel Faktoren
haben auf diese gewirkt, bis ihr individueller Charakter seine definitive Richtung
empfing! Und nun die Atmosphäre, die wir einathmen, der Einfluß, den
unsere häusliche Umgebung auf uns ausübt — wir sind ihrer Macht unter¬
worfen, noch bevor wir die Kraft besitzen, dagegen zu reagiren. Und wenn
wir uns vergegenwärtigen, wie in diesen Einflüssen sich das Ergebniß des
ganzen Verlaufs der Geschichte der Menschheit darstellt, so wird sich die Frage
gewiß begreifen lassen, ob einem so gewaltigen Faktor die einzelne Persönlichkeit
Widerstand zu leisten vermöge. Man könnte dem Gedanken Raum geben, daß die
menschliche Freiheit, in den Anfängen der geschichtlichen Entwickelung eine kräf¬
tige Potenz, im Laufe derselben sich doch mehr und mehr verringert habe, um
schließlich völlig zu verschwinden; und die Erfahrung würde, leichthin befragt,
vielleicht keine verneinende Antwort geben. Denn wieviele Persönlichkeiten zeigt
sie uns, die in der That nichts anderes zu sein scheinen als der Kreuzungs¬
punkt mannichfaltiger Einflüsse, welche bald ans der inneren Beschaffenheit des
Psychischen Mechanismus, bald von außen her auf das Ich eindringen, so daß,
wer sie zu übersehen vermöchte, auch das Thun und Lassen der einzelnen Per¬
sönlichkeiten mathematisch genau zu bestimmen im Stande wäre.
Aber allerdings, zu diesem Resultate könnte man eben nur gelangen, wenn
man die Erfahrung leichthin befragte, wenn man nur auf die Summe mittel¬
mäßiger Existenzen den Blick lenkte. Wer aber die Persönlichkeiten großer
Männer in's Auge faßt, wird zu anderen Schlüssen genöthigt werden. Denn
hier sehen wir den Einzelnen maßgebend werden für das Ganze, sehen ihn
seine Zeitgenossen auf Bahnen führen, die sie bis dahin nicht betreten hatten,
ja die sie als verderblich gemieden. Solche Persönlichkeiten geben ihrer Zeit
das Gepräge und bleiben auf lange für das Gebiet bestimmend, das sie zu
ihrem Arbeitsfelde gewählt haben. Und von hier aus füllt auch ein Licht auf
die Individuen, die, weniger glänzend ausgestattet, in kleinerem Kreise wirksam
sind. Auch hier sind doch die Persönlichkeiten nicht selten, die unter den un¬
günstigsten Umständen, im Kampf gegen drückende Verhältnisse, körperliche Ge¬
brechlichkeit, trübe Stimmungen, leidenschaftliche Erregtheit Sieger bleiben.
Und auch da, wo wir die Thätigkeit individueller Freiheit nicht wahrzunehmen
Pflegten, werden wir plötzlich durch Aeußerungen derselben überrascht, so daß
wir an ihrem Dasein nicht zweifeln können. Gewiß, wir können die Menschen in
zwei Gruppen sondern, in Persönlichkeiten, die vorwiegend spontan, aktiv, be¬
stimmend sind, und in andere, denen vorwiegend Rezeptivität, Passivität, Bestimm¬
barkeit eigen ist; aber dieser Unterschied ist ein relativer, kein absoluter. Wie die
Individuen, die durch Initiative sich auszeichnen, doch wie in einem Brennpunkte
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