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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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und der nur vou neuem beweist, wie wenig doch in Deutschland dazu gehört,
um Bühnenerfolge zu erringen. Das Stück ist nicht um ein Haar besser als
die Trivialitäten und Philisterkomödien eines Benedix und einer Birch-Pfeiffer.
Von dem Hauch des modernen Lebens empfindet man in dieser Alltagskomödie
keine Spur. Nur die geschickte Kombination von Motiven und Situationen,
die von anderen Autoren als wirksam erprobt worden sind -- wir erinnern
nnr an Emil Angler's "Asnärs as Nonsisur?oirisr" --, hat dem "Doktor
Klaus" zu einem Erfolge verholfen, durch den das Stück ganz mit Unrecht-zu
einer literarischen That aufgebauscht worden ist. Dem Autor fehlt jedwede irgend¬
wie greifbare literarische Physiognomie, jeder vornehmere literarische Zug, der selbst
noch die unbedeutendsten Produkte eines G. v. Moser adelt. Sein Machwerk
ist roh, die Gesellschaft, die er schildert, ist nicht diejenige, in der wir zu ver¬
kehren wünschten, aber was verschlägt das? Possenhafte Momente sind mit
sentimentalen Episoden geschickt zu einem pikanten Brei zusammengemischt, der
von dem darbenden Publikum mit Heißhunger verspeist worden ist. Nachdem
der "Doktor Klaus" seine Schuldigkeit gethan hatte, folgte auch für das
Wallnertheater eine Kette von Katastrophen, die erst in den letzten Tagen durch
den günstigen Erfolg einer keck und lustig hingeworfenen Lokalposfe von
E. Jcicvbson, "die Lachtaube", unterbrochen wurde.

Den heikelsten Punkt unseres Themas haben wir uns bis zuletzt ver¬
spart -- die Besprechung des Antheils, welchen das Hoftheater in der
letzten Zeit an der Hebung und Pflege der dramatischen Kunst in Berlin ge¬
nommen hat. Jeder gesinnungstüchtige Theaterkritiker in Berlin hält es für
seine Pflicht, wenigstens an dem königlichen Schauspielhause kein gutes Haar
zu lassen, und wer es in der Presse wagt, ein freundliches Wort für dieses
beklagenswerthe Kunstinstitut einzulegen, der wird als verächtlicher "Offiziosus"
gebrandmarkt, wenn man ihm nicht noch schlimmere Motive unterlegt. In
Wahrheit ist jedoch die Berliner Presse, insbesondere die Theaterkritik, unab¬
hängiger, wenigstens materiell unabhängiger, als allgemein geglaubt wird. Nur
zwei Tageszeitungen behandeln aus persönlichen Gründen das Hoftheater mit
zartester Schonung, die eine, weil sie das Organ der Intendantur ist, die
andere, weil ihr Theaterreferent in irgend einer Form an dem komplizirten
Verwaltuugs- oder Berathungsorganismus des Hoftheaters betheiligt ist. Daß
die Berliner Theaterkritik im Großen und Ganzen materiellen Einflüssen, vulxo
Bestechungen zugänglich sei und danach ihre Urtheile einrichte, ist -- wie wir
bei dieser Gelegenheit ein für allemal bemerken wollen -- ein Märchen, das
zwar von Schauspielern und von gewissen Schichten des Publikums gern ge¬
glaubt und kolportirt wird, thatsächlich aber jeder Grundlage entbehrt. Ab
und zu taucht wohl ein räudiges Schaf auf, aber ohne die ganze Heerde zu


und der nur vou neuem beweist, wie wenig doch in Deutschland dazu gehört,
um Bühnenerfolge zu erringen. Das Stück ist nicht um ein Haar besser als
die Trivialitäten und Philisterkomödien eines Benedix und einer Birch-Pfeiffer.
Von dem Hauch des modernen Lebens empfindet man in dieser Alltagskomödie
keine Spur. Nur die geschickte Kombination von Motiven und Situationen,
die von anderen Autoren als wirksam erprobt worden sind — wir erinnern
nnr an Emil Angler's „Asnärs as Nonsisur?oirisr" —, hat dem „Doktor
Klaus" zu einem Erfolge verholfen, durch den das Stück ganz mit Unrecht-zu
einer literarischen That aufgebauscht worden ist. Dem Autor fehlt jedwede irgend¬
wie greifbare literarische Physiognomie, jeder vornehmere literarische Zug, der selbst
noch die unbedeutendsten Produkte eines G. v. Moser adelt. Sein Machwerk
ist roh, die Gesellschaft, die er schildert, ist nicht diejenige, in der wir zu ver¬
kehren wünschten, aber was verschlägt das? Possenhafte Momente sind mit
sentimentalen Episoden geschickt zu einem pikanten Brei zusammengemischt, der
von dem darbenden Publikum mit Heißhunger verspeist worden ist. Nachdem
der „Doktor Klaus" seine Schuldigkeit gethan hatte, folgte auch für das
Wallnertheater eine Kette von Katastrophen, die erst in den letzten Tagen durch
den günstigen Erfolg einer keck und lustig hingeworfenen Lokalposfe von
E. Jcicvbson, „die Lachtaube", unterbrochen wurde.

Den heikelsten Punkt unseres Themas haben wir uns bis zuletzt ver¬
spart — die Besprechung des Antheils, welchen das Hoftheater in der
letzten Zeit an der Hebung und Pflege der dramatischen Kunst in Berlin ge¬
nommen hat. Jeder gesinnungstüchtige Theaterkritiker in Berlin hält es für
seine Pflicht, wenigstens an dem königlichen Schauspielhause kein gutes Haar
zu lassen, und wer es in der Presse wagt, ein freundliches Wort für dieses
beklagenswerthe Kunstinstitut einzulegen, der wird als verächtlicher „Offiziosus"
gebrandmarkt, wenn man ihm nicht noch schlimmere Motive unterlegt. In
Wahrheit ist jedoch die Berliner Presse, insbesondere die Theaterkritik, unab¬
hängiger, wenigstens materiell unabhängiger, als allgemein geglaubt wird. Nur
zwei Tageszeitungen behandeln aus persönlichen Gründen das Hoftheater mit
zartester Schonung, die eine, weil sie das Organ der Intendantur ist, die
andere, weil ihr Theaterreferent in irgend einer Form an dem komplizirten
Verwaltuugs- oder Berathungsorganismus des Hoftheaters betheiligt ist. Daß
die Berliner Theaterkritik im Großen und Ganzen materiellen Einflüssen, vulxo
Bestechungen zugänglich sei und danach ihre Urtheile einrichte, ist — wie wir
bei dieser Gelegenheit ein für allemal bemerken wollen — ein Märchen, das
zwar von Schauspielern und von gewissen Schichten des Publikums gern ge¬
glaubt und kolportirt wird, thatsächlich aber jeder Grundlage entbehrt. Ab
und zu taucht wohl ein räudiges Schaf auf, aber ohne die ganze Heerde zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/161>, abgerufen am 27.09.2024.