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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Friedrich-Wilhelmstädtische Theater noch nicht einmal von dem künstlerisch wie
finanziell gleich empfindlichen Mißgeschick erholt, welches ihm die Vorführung
einer absolut stimmlosen französischen Operettensüngerin vierten oder fünften
Ranges verursacht hatte.

Das Woltersdorff- und das Kroll'sche Theater haben in der ver¬
flossenen Saison ihre Pforten geschlossen. In dem ersteren hatte die Kunst
seit geraumer Zeit ein jammervolles Dasein gefristet. Zum Glück litt das
Publikum wenig darunter, da es sich von diesem Kunstinstitute, dessen Betrieb
mehr eine Art Sport seines Besitzers war, konsequent fern hielt. Opern waren
ebensowenig im Stande, die Räume zu füllen, wie Possen und Operetten, und
so wurde das Theater schließlich nach dem Tode seines Besitzers seiner Be¬
stimmung entzogen. Bis jetzt hat noch niemand gewagt, die Gruft wieder zu
öffnen. Das Kroll'sche Theater fiel der Unfähigkeit seines Leiters zum Opfer,
der lauge Zeit in einem Possentheater den Kapellmeisterstab geschwungen hatte
und nun auch einmal Lust verspürte, das Direktionsszepter zu führen. Eine
grenzenlose Mißwirthschaft führte das Theater, in welchem schließlich italienische
Operngesellschaften ihr Wesen trieben, schnell seinem Ruin entgegen. Die un¬
vermeidliche Katastrophe wurde am Ende nur durch ein Gastspiel der Adelina
Patti und des famosen Signor Nieolini aufgehalten, welches unter so uner¬
hörten Bedingungen abgeschlossen wurde, daß nur ein verzweifelter
Spieler auf dieselben eingehen konnte, nachdem die Verwaltung des Hoftheaters
sie vernünftiger Weise abgelehnt hatte. Der Ruin des Kroll'schen Theaters
erfolgte bald nach Schluß des Patti-Gastspieles, und eines Tages erfuhr man,
daß der direktionslustige Pächter das unbehagliche Klima Berlin's mit einem
Asyl jenseits des Ozeans vertauscht hatte. Mit Beginn der Sommersaison hat
wieder der rührige Besitzer des Kroll'schen Etablissements die Leitung desselben
in die Hand genommen, im Vereine mit dem Direktor des Wallnertheaters,
der den gerade unbeschäftigten Theil seines großen Personales dort auftreten läßt.

Das Wallnertheater selbst lebt seit einigen Jahren nicht mehr aus¬
schließlich seinem Beruf und der Absicht seines Gründers, die Berliner Lokal¬
posse zu pflegen. Die derben Lustspiele und Schwänke eines G. v. Moser,
Rosen, L'Arronge, die durch Kontrakte an diese Bühne gebunden sind, haben
dort eine Heimstätte und zugleich eine Interpretation gefunden, welche als
mustergiltig in ihrer Art bezeichnet werden kann. Ein lebendiges frisches Zu¬
sammenspiel, ein halbes Dutzend ausgezeichneter Schauspieler im Vordergrunde,
darunter der Direktor selbst, und eine vortreffliche Regie vereinigen sich, um
edem halbwegs leidlichen Stücke zu einem freundlichen Erfolge zu verhelfen.
Der Haupttreffer der letzten Saison war der "Doktor Klaus" von L'Arronge,
der jetzt wohl die Runde über sämmtliche Bühnen Deutschland's gemacht hat


Friedrich-Wilhelmstädtische Theater noch nicht einmal von dem künstlerisch wie
finanziell gleich empfindlichen Mißgeschick erholt, welches ihm die Vorführung
einer absolut stimmlosen französischen Operettensüngerin vierten oder fünften
Ranges verursacht hatte.

Das Woltersdorff- und das Kroll'sche Theater haben in der ver¬
flossenen Saison ihre Pforten geschlossen. In dem ersteren hatte die Kunst
seit geraumer Zeit ein jammervolles Dasein gefristet. Zum Glück litt das
Publikum wenig darunter, da es sich von diesem Kunstinstitute, dessen Betrieb
mehr eine Art Sport seines Besitzers war, konsequent fern hielt. Opern waren
ebensowenig im Stande, die Räume zu füllen, wie Possen und Operetten, und
so wurde das Theater schließlich nach dem Tode seines Besitzers seiner Be¬
stimmung entzogen. Bis jetzt hat noch niemand gewagt, die Gruft wieder zu
öffnen. Das Kroll'sche Theater fiel der Unfähigkeit seines Leiters zum Opfer,
der lauge Zeit in einem Possentheater den Kapellmeisterstab geschwungen hatte
und nun auch einmal Lust verspürte, das Direktionsszepter zu führen. Eine
grenzenlose Mißwirthschaft führte das Theater, in welchem schließlich italienische
Operngesellschaften ihr Wesen trieben, schnell seinem Ruin entgegen. Die un¬
vermeidliche Katastrophe wurde am Ende nur durch ein Gastspiel der Adelina
Patti und des famosen Signor Nieolini aufgehalten, welches unter so uner¬
hörten Bedingungen abgeschlossen wurde, daß nur ein verzweifelter
Spieler auf dieselben eingehen konnte, nachdem die Verwaltung des Hoftheaters
sie vernünftiger Weise abgelehnt hatte. Der Ruin des Kroll'schen Theaters
erfolgte bald nach Schluß des Patti-Gastspieles, und eines Tages erfuhr man,
daß der direktionslustige Pächter das unbehagliche Klima Berlin's mit einem
Asyl jenseits des Ozeans vertauscht hatte. Mit Beginn der Sommersaison hat
wieder der rührige Besitzer des Kroll'schen Etablissements die Leitung desselben
in die Hand genommen, im Vereine mit dem Direktor des Wallnertheaters,
der den gerade unbeschäftigten Theil seines großen Personales dort auftreten läßt.

Das Wallnertheater selbst lebt seit einigen Jahren nicht mehr aus¬
schließlich seinem Beruf und der Absicht seines Gründers, die Berliner Lokal¬
posse zu pflegen. Die derben Lustspiele und Schwänke eines G. v. Moser,
Rosen, L'Arronge, die durch Kontrakte an diese Bühne gebunden sind, haben
dort eine Heimstätte und zugleich eine Interpretation gefunden, welche als
mustergiltig in ihrer Art bezeichnet werden kann. Ein lebendiges frisches Zu¬
sammenspiel, ein halbes Dutzend ausgezeichneter Schauspieler im Vordergrunde,
darunter der Direktor selbst, und eine vortreffliche Regie vereinigen sich, um
edem halbwegs leidlichen Stücke zu einem freundlichen Erfolge zu verhelfen.
Der Haupttreffer der letzten Saison war der „Doktor Klaus" von L'Arronge,
der jetzt wohl die Runde über sämmtliche Bühnen Deutschland's gemacht hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/160>, abgerufen am 27.09.2024.