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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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zog sich in jener Zeit der Kern der Stadt näher um die Burg. Das soge¬
nannte Kydathenaion, der Sitz der Aristokratie, lag höchst wahrscheinlich in
der Mulde, die sich Mischen dem Südabhange der Burg und der jenseitigen
Pnyx-Höhe hinzieht. Hier waren zugleich die Staatsgebäude, das Prytaneion,
der Sitz der Könige, hier an den Abhängen der Pnyx der Ort der Gerichte,
der Volksversammlungen. Nur die Blutgerichte wurden schon von Alters her
auf dem Areopag gehalten, denn kein mit Blutschuld Beladeuer durfte den
Gemeindeplatz betreten.

Mit Solon beginnt die zweite Periode, der Abschnitt, wo die Stadt histo¬
rische Bedeutung gewinnt. Von jetzt an konzentrirt sich das öffentliche Leben
auf einem andern Punkte. Der Markt, bisher in der Pnyx, wird von Peisi-
stratos nach dem Kerameikos (dem "Töpfergau") an der Westseite der Burg
verlegt und bleibt von nun an, auch nach den Perserkriegen und während der
ganzen Blüthezeit Athen's, der Mittelpunkt des Verkehrs. Die Umrisse der
Stadt in dieser Periode sind deutlich gegeben durch die themistokleischen Mauern.
Ueber die Abhänge des Philopappos- und Nymphenhügels hinweg bis zum
Dipylon, dem Hauptthore der Stadt, in Westen sich erstreckend, lassen sich ihre
Spuren nach Osten die Ufer des Ilissos entlang an den Abhängen des Lyka-
bettos hin weiter bis zum acharnäischen Thore im Norden verfolgen, um sich
von da in fast geradlinigem Zuge dem Dipylon wieder anzuschließen. Noch
heute erkennt man an den Abhängen des Nymphenhügels deutlich die Reste
der langen Mauern, welche zu Themistokles' Zeiten die Stadtbefestignng mit
dem Hafen verbanden. Vier Hauptthore, den Himmelsgegenden entsprechend,
vermittelten den Verkehr. Das Dipylon, nach seinem doppelten Thor-Eingange
so benannt, war sowohl der Anlage wie seiner Bedeutung nach bei weitem
das Wichtigste, unzweifelhaft darauf berechnet, dem Fremden schon Angesichts
der Stadt ihre hervorragende Stellung zum Bewußtsein zu bringen. Hier am
Dipylon mündete die Hauptstraße, der sogenannten Dromos, zu Perikles' Zeiten
eine Prachtstraße im wahren Sinne des Wortes. Rechts und links von Kolon¬
naden eingefaßt, zeigte sie seitwärts, von den Meistern hellenischer Kunst aus¬
geführt, die Statuen der bedeutendsten Männer Athen's, während weiter dahinter
zur Linken der Blick auf eine Reihe glänzender, in dem edlen Kunstgeschmacke
der klassischen Zeit erbauter Heiligthümer fiel. Ueber den Dromos hinweg
gelangte man an die Nordseite des Kerameikos. Hier liefen alle Hauptstraßen
der Stadt wie in einem Zentrum zusammen. Von hier aus wurden die Ent¬
fernungen gezählt, hierher nach und nach die wichtigsten Staatsgebäude verlegt.
Metroon, Buleuterion und Tholos, die ältesten unter ihnen, nahmen die Süd¬
front ein. Zu beiden Seiten erhoben sich die kanonischen Prachtbauten, mit
den Siegesdenkmälern jener Zeit geschmückt: an der Westseite die Königshalle,


zog sich in jener Zeit der Kern der Stadt näher um die Burg. Das soge¬
nannte Kydathenaion, der Sitz der Aristokratie, lag höchst wahrscheinlich in
der Mulde, die sich Mischen dem Südabhange der Burg und der jenseitigen
Pnyx-Höhe hinzieht. Hier waren zugleich die Staatsgebäude, das Prytaneion,
der Sitz der Könige, hier an den Abhängen der Pnyx der Ort der Gerichte,
der Volksversammlungen. Nur die Blutgerichte wurden schon von Alters her
auf dem Areopag gehalten, denn kein mit Blutschuld Beladeuer durfte den
Gemeindeplatz betreten.

Mit Solon beginnt die zweite Periode, der Abschnitt, wo die Stadt histo¬
rische Bedeutung gewinnt. Von jetzt an konzentrirt sich das öffentliche Leben
auf einem andern Punkte. Der Markt, bisher in der Pnyx, wird von Peisi-
stratos nach dem Kerameikos (dem „Töpfergau") an der Westseite der Burg
verlegt und bleibt von nun an, auch nach den Perserkriegen und während der
ganzen Blüthezeit Athen's, der Mittelpunkt des Verkehrs. Die Umrisse der
Stadt in dieser Periode sind deutlich gegeben durch die themistokleischen Mauern.
Ueber die Abhänge des Philopappos- und Nymphenhügels hinweg bis zum
Dipylon, dem Hauptthore der Stadt, in Westen sich erstreckend, lassen sich ihre
Spuren nach Osten die Ufer des Ilissos entlang an den Abhängen des Lyka-
bettos hin weiter bis zum acharnäischen Thore im Norden verfolgen, um sich
von da in fast geradlinigem Zuge dem Dipylon wieder anzuschließen. Noch
heute erkennt man an den Abhängen des Nymphenhügels deutlich die Reste
der langen Mauern, welche zu Themistokles' Zeiten die Stadtbefestignng mit
dem Hafen verbanden. Vier Hauptthore, den Himmelsgegenden entsprechend,
vermittelten den Verkehr. Das Dipylon, nach seinem doppelten Thor-Eingange
so benannt, war sowohl der Anlage wie seiner Bedeutung nach bei weitem
das Wichtigste, unzweifelhaft darauf berechnet, dem Fremden schon Angesichts
der Stadt ihre hervorragende Stellung zum Bewußtsein zu bringen. Hier am
Dipylon mündete die Hauptstraße, der sogenannten Dromos, zu Perikles' Zeiten
eine Prachtstraße im wahren Sinne des Wortes. Rechts und links von Kolon¬
naden eingefaßt, zeigte sie seitwärts, von den Meistern hellenischer Kunst aus¬
geführt, die Statuen der bedeutendsten Männer Athen's, während weiter dahinter
zur Linken der Blick auf eine Reihe glänzender, in dem edlen Kunstgeschmacke
der klassischen Zeit erbauter Heiligthümer fiel. Ueber den Dromos hinweg
gelangte man an die Nordseite des Kerameikos. Hier liefen alle Hauptstraßen
der Stadt wie in einem Zentrum zusammen. Von hier aus wurden die Ent¬
fernungen gezählt, hierher nach und nach die wichtigsten Staatsgebäude verlegt.
Metroon, Buleuterion und Tholos, die ältesten unter ihnen, nahmen die Süd¬
front ein. Zu beiden Seiten erhoben sich die kanonischen Prachtbauten, mit
den Siegesdenkmälern jener Zeit geschmückt: an der Westseite die Königshalle,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/130>, abgerufen am 20.10.2024.