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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Originaltexte, nach Inhalt und Form vielfach berichtigt, hie und da auch er¬
weitert worden, ebenso die mitgetheilten Uebersetzungsproben häufig durch
neuere, bessere ersetzt worden. Die ganze Darstellung ist einfach, verständlich
und liest sich im Ganzen recht gut. Zu tadeln wäre höchstens, daß in den
Inhaltsangaben von Dichterwerken vielfach Verse aus deutschen Uebertragungen,
ohne sie durch Anführungszeichen als solche zu kennzeichnen, ohne weiteres in
die prosaische Darstellung verwoben find. Wir sehen den weiteren Lieferungen
dieser Neubearbeitung mit Interesse entgegen und empfehlen dieselbe allen, denen
es um eine wirklich solide populäre Darstellung des Stoffes zu thun ist.


Die Entstehung des modernen Frankreich. Von H. Taine. Autorisirte
deutsche Bearbeitung von L. Kätscher. Zweiter Band. Das revolutionäre Frankreich.
Erste Abtheilung. Leipzig, E. I. Günther. 1878.

Dieser neue Band des hochinteressanter Werkes unterscheidet sich in litera¬
rischer Hinsicht wesentlich von dem ersten, der, wie wir s. Z. ausführlich in
d. Bl. gezeigt und mit Proben belegt haben, vorzüglich aus einer Reihe male¬
rischer Schilderungen der Sitten und Einrichtungen Frankreich's in den letzten
Jahrzehnten vor seiner ersten Revolution bestand und namentlich das maje¬
stätische und doch im Grunde wegen seiner Leere lächerliche Hofleben mit
seiner Frivolität, seiner greuelvollen Verschwendung, seinen glänzenden Parasiten
und seinem Schwarm knixender, tänzelnder, für geschäftiges Nichtsthun reich
besoldeter Höflinge gegenüber dem fort und fort wechselnden Elend des von
Steuern und hundert anderen Lasten schier erdrückten Volkes mit höchster An¬
schaulichkeit darstellte. Das "revolutionäre Frankreich" ist dagegen, soweit es
hier behandelt wird, d. h. etwa bis zum Herbst des Jahres 1792, weniger
künstlerisch, als in wissenschaftlichem, analytischen Tone gehalten. Meist reihen
sich nackte Thatsachen, mittelst psychologischer und philosophischer Bemerkungen
verknüpft, an einander. Zwar mangelt es nicht an jenen glänzenden, wenn
auch gewöhnlich etwas zu lang ausgesponnenen Metaphern (vgl. z. B. S. 419 ff.),
die dem Stil unseres Autors ein so eigenthümliches Gepräge verleihen, im
Allgemeinen aber haben wir es mit gutgruppirten Beispielen und Belegen zu
thun, die großentheils überzeugend für die Behauptungen und Folgerungen
des Verfassers sprechen. Großentheils; denn andererseits begegnen wir auch
Widersprüchen zwischen früher Gesagtem und später Behauptetem, Manches
klingt paradox, in Anderem scheint der Darsteller in den Fehler des Generali-
sirens zu verfallen. Eins aber steht fest: daß er sich allenthalben unparteiisch
zu sein bestrebt, und daß er ein außerordentlich reiches Quellenmaterial benutzt.

Mit seiner Unparteilichkeit aber wird er vor der bisherigen französischen
Geschichtschreibung bezüglich der Revolution geradezu zum Ketzer. Die Um-


Originaltexte, nach Inhalt und Form vielfach berichtigt, hie und da auch er¬
weitert worden, ebenso die mitgetheilten Uebersetzungsproben häufig durch
neuere, bessere ersetzt worden. Die ganze Darstellung ist einfach, verständlich
und liest sich im Ganzen recht gut. Zu tadeln wäre höchstens, daß in den
Inhaltsangaben von Dichterwerken vielfach Verse aus deutschen Uebertragungen,
ohne sie durch Anführungszeichen als solche zu kennzeichnen, ohne weiteres in
die prosaische Darstellung verwoben find. Wir sehen den weiteren Lieferungen
dieser Neubearbeitung mit Interesse entgegen und empfehlen dieselbe allen, denen
es um eine wirklich solide populäre Darstellung des Stoffes zu thun ist.


Die Entstehung des modernen Frankreich. Von H. Taine. Autorisirte
deutsche Bearbeitung von L. Kätscher. Zweiter Band. Das revolutionäre Frankreich.
Erste Abtheilung. Leipzig, E. I. Günther. 1878.

Dieser neue Band des hochinteressanter Werkes unterscheidet sich in litera¬
rischer Hinsicht wesentlich von dem ersten, der, wie wir s. Z. ausführlich in
d. Bl. gezeigt und mit Proben belegt haben, vorzüglich aus einer Reihe male¬
rischer Schilderungen der Sitten und Einrichtungen Frankreich's in den letzten
Jahrzehnten vor seiner ersten Revolution bestand und namentlich das maje¬
stätische und doch im Grunde wegen seiner Leere lächerliche Hofleben mit
seiner Frivolität, seiner greuelvollen Verschwendung, seinen glänzenden Parasiten
und seinem Schwarm knixender, tänzelnder, für geschäftiges Nichtsthun reich
besoldeter Höflinge gegenüber dem fort und fort wechselnden Elend des von
Steuern und hundert anderen Lasten schier erdrückten Volkes mit höchster An¬
schaulichkeit darstellte. Das „revolutionäre Frankreich" ist dagegen, soweit es
hier behandelt wird, d. h. etwa bis zum Herbst des Jahres 1792, weniger
künstlerisch, als in wissenschaftlichem, analytischen Tone gehalten. Meist reihen
sich nackte Thatsachen, mittelst psychologischer und philosophischer Bemerkungen
verknüpft, an einander. Zwar mangelt es nicht an jenen glänzenden, wenn
auch gewöhnlich etwas zu lang ausgesponnenen Metaphern (vgl. z. B. S. 419 ff.),
die dem Stil unseres Autors ein so eigenthümliches Gepräge verleihen, im
Allgemeinen aber haben wir es mit gutgruppirten Beispielen und Belegen zu
thun, die großentheils überzeugend für die Behauptungen und Folgerungen
des Verfassers sprechen. Großentheils; denn andererseits begegnen wir auch
Widersprüchen zwischen früher Gesagtem und später Behauptetem, Manches
klingt paradox, in Anderem scheint der Darsteller in den Fehler des Generali-
sirens zu verfallen. Eins aber steht fest: daß er sich allenthalben unparteiisch
zu sein bestrebt, und daß er ein außerordentlich reiches Quellenmaterial benutzt.

Mit seiner Unparteilichkeit aber wird er vor der bisherigen französischen
Geschichtschreibung bezüglich der Revolution geradezu zum Ketzer. Die Um-


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[0119] Originaltexte, nach Inhalt und Form vielfach berichtigt, hie und da auch er¬ weitert worden, ebenso die mitgetheilten Uebersetzungsproben häufig durch neuere, bessere ersetzt worden. Die ganze Darstellung ist einfach, verständlich und liest sich im Ganzen recht gut. Zu tadeln wäre höchstens, daß in den Inhaltsangaben von Dichterwerken vielfach Verse aus deutschen Uebertragungen, ohne sie durch Anführungszeichen als solche zu kennzeichnen, ohne weiteres in die prosaische Darstellung verwoben find. Wir sehen den weiteren Lieferungen dieser Neubearbeitung mit Interesse entgegen und empfehlen dieselbe allen, denen es um eine wirklich solide populäre Darstellung des Stoffes zu thun ist. Die Entstehung des modernen Frankreich. Von H. Taine. Autorisirte deutsche Bearbeitung von L. Kätscher. Zweiter Band. Das revolutionäre Frankreich. Erste Abtheilung. Leipzig, E. I. Günther. 1878. Dieser neue Band des hochinteressanter Werkes unterscheidet sich in litera¬ rischer Hinsicht wesentlich von dem ersten, der, wie wir s. Z. ausführlich in d. Bl. gezeigt und mit Proben belegt haben, vorzüglich aus einer Reihe male¬ rischer Schilderungen der Sitten und Einrichtungen Frankreich's in den letzten Jahrzehnten vor seiner ersten Revolution bestand und namentlich das maje¬ stätische und doch im Grunde wegen seiner Leere lächerliche Hofleben mit seiner Frivolität, seiner greuelvollen Verschwendung, seinen glänzenden Parasiten und seinem Schwarm knixender, tänzelnder, für geschäftiges Nichtsthun reich besoldeter Höflinge gegenüber dem fort und fort wechselnden Elend des von Steuern und hundert anderen Lasten schier erdrückten Volkes mit höchster An¬ schaulichkeit darstellte. Das „revolutionäre Frankreich" ist dagegen, soweit es hier behandelt wird, d. h. etwa bis zum Herbst des Jahres 1792, weniger künstlerisch, als in wissenschaftlichem, analytischen Tone gehalten. Meist reihen sich nackte Thatsachen, mittelst psychologischer und philosophischer Bemerkungen verknüpft, an einander. Zwar mangelt es nicht an jenen glänzenden, wenn auch gewöhnlich etwas zu lang ausgesponnenen Metaphern (vgl. z. B. S. 419 ff.), die dem Stil unseres Autors ein so eigenthümliches Gepräge verleihen, im Allgemeinen aber haben wir es mit gutgruppirten Beispielen und Belegen zu thun, die großentheils überzeugend für die Behauptungen und Folgerungen des Verfassers sprechen. Großentheils; denn andererseits begegnen wir auch Widersprüchen zwischen früher Gesagtem und später Behauptetem, Manches klingt paradox, in Anderem scheint der Darsteller in den Fehler des Generali- sirens zu verfallen. Eins aber steht fest: daß er sich allenthalben unparteiisch zu sein bestrebt, und daß er ein außerordentlich reiches Quellenmaterial benutzt. Mit seiner Unparteilichkeit aber wird er vor der bisherigen französischen Geschichtschreibung bezüglich der Revolution geradezu zum Ketzer. Die Um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/119>, abgerufen am 27.12.2024.