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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Gewissen empfehlen kann. Wonach verlangt der gebildete Laie, wenn er den
Wunsch hat, sich eine eingehende, zusammenhängende Uebersicht über die Haupt¬
erscheinungen der althellenischer Literatur zu verschaffen? Kann ihm gedient
sein mit einer jener von dreisten Büchermachern mit Scheere und Kleister
zusammengepappten Anthologieen, wie sie neuerdings wieder mehrfach fabrizirt
worden sind? Was nützen ihm die wenigen oberflächlichen, vielleicht aus dein
ersten besten Konversationslexikon abgeschriebenen Notizen, die in solchen Mach¬
werken den Textesproben vorangeschickt werden? Oder kann ihm gedient sein
mit jenen Darstellungen in biographischer Form, in denen die wenigen sicheren
Nachrichten, die wir 'beispielsweise über das Leben der griechischen Dichter
haben, durch allerhand werthlosen, längst abgethanen Anekdotenkram zu einer
scheinbaren, auf die Urtheilslosigkeit der großen Menge berechneten Reichhaltig¬
keit aufgeputzt werden, und die Mittheilungen über die Dichterwerke, die doch
die Hauptsache bilden müßten, so nebenherlaufen? Ganz zu schweigen davon, daß
es in der Regel doch recht dilettantische Federn sind, die dergleichen Bücher
zusammenhauen, Federn, deren Mangel an Sachkenntniß für den Eingeweihten
oft in der handgreiflichsten Weise hervortritt! Was dem Laien einzig und
allein nützen kann, das ist eine zusammenhängende Literaturgeschichte, die in
schlichter, ansprechender, echt populärer Fassung die Summe unseres literar-
geschichtlichen Wissens zieht, dasjenige mittheilt, was als sichere Kunde über
das äußere Leben der alten Dichter und Schriftsteller gelten darf, und dies
verbindet mit eingehenden Analysen, Auszügen und charakteristischen Proben
aus den in der geschichtlichen Darstellung besprochenen Werken. Das aber,
gerade das ist es, was die Literaturgeschichten von Murat mit großem Geschick
und sicherem pädagogischen Takt leisten, und es ist wirklich schwer zu begreifen,
weshalb sie sich nicht eine größere Popularität errungen haben. Jedenfalls
gebührt der Verlagshandlung und dem jetzigen Herausgeber aufrichtiger Dank,
daß sie auch mit einer neuen, den heutigen wissenschaftlichen Anforderungen
entsprechenden Bearbeitung der griechischen Literaturgeschichte hervorgetreten
sind, nachdem die römische bereits von Moritz Seyffert neu bearbeitet war.
In den Kreisen solcher, die sür etwas Besseres als jene oben geschilderte leichte
Marktwaare Sinn haben, wird das Buch nach wie vor seine Liebhaber finden,
und hoffentlich in immer größerer Anzahl. Die literargeschichtlichen Partieen
sind von Volkmann überall mit den Ergebnissen der neueren Forschung in Ein¬
klang gesetzt, einzelne Abschnitte umgearbeitet, mancherlei, wie das Kapitel über
die "homerische Frage", neu hinzugefügt worden. Wo Zitate in griechischer
und lateinischer Sprache gegeben sind, ist dies meist in den Anmerkungen ge¬
schehen, während der Sinn derselben in den zusammenhängenden Text ver¬
arbeitet ist. Die Analysen und Auszüge sind, unter steter Benutzung gereinigter


Gewissen empfehlen kann. Wonach verlangt der gebildete Laie, wenn er den
Wunsch hat, sich eine eingehende, zusammenhängende Uebersicht über die Haupt¬
erscheinungen der althellenischer Literatur zu verschaffen? Kann ihm gedient
sein mit einer jener von dreisten Büchermachern mit Scheere und Kleister
zusammengepappten Anthologieen, wie sie neuerdings wieder mehrfach fabrizirt
worden sind? Was nützen ihm die wenigen oberflächlichen, vielleicht aus dein
ersten besten Konversationslexikon abgeschriebenen Notizen, die in solchen Mach¬
werken den Textesproben vorangeschickt werden? Oder kann ihm gedient sein
mit jenen Darstellungen in biographischer Form, in denen die wenigen sicheren
Nachrichten, die wir 'beispielsweise über das Leben der griechischen Dichter
haben, durch allerhand werthlosen, längst abgethanen Anekdotenkram zu einer
scheinbaren, auf die Urtheilslosigkeit der großen Menge berechneten Reichhaltig¬
keit aufgeputzt werden, und die Mittheilungen über die Dichterwerke, die doch
die Hauptsache bilden müßten, so nebenherlaufen? Ganz zu schweigen davon, daß
es in der Regel doch recht dilettantische Federn sind, die dergleichen Bücher
zusammenhauen, Federn, deren Mangel an Sachkenntniß für den Eingeweihten
oft in der handgreiflichsten Weise hervortritt! Was dem Laien einzig und
allein nützen kann, das ist eine zusammenhängende Literaturgeschichte, die in
schlichter, ansprechender, echt populärer Fassung die Summe unseres literar-
geschichtlichen Wissens zieht, dasjenige mittheilt, was als sichere Kunde über
das äußere Leben der alten Dichter und Schriftsteller gelten darf, und dies
verbindet mit eingehenden Analysen, Auszügen und charakteristischen Proben
aus den in der geschichtlichen Darstellung besprochenen Werken. Das aber,
gerade das ist es, was die Literaturgeschichten von Murat mit großem Geschick
und sicherem pädagogischen Takt leisten, und es ist wirklich schwer zu begreifen,
weshalb sie sich nicht eine größere Popularität errungen haben. Jedenfalls
gebührt der Verlagshandlung und dem jetzigen Herausgeber aufrichtiger Dank,
daß sie auch mit einer neuen, den heutigen wissenschaftlichen Anforderungen
entsprechenden Bearbeitung der griechischen Literaturgeschichte hervorgetreten
sind, nachdem die römische bereits von Moritz Seyffert neu bearbeitet war.
In den Kreisen solcher, die sür etwas Besseres als jene oben geschilderte leichte
Marktwaare Sinn haben, wird das Buch nach wie vor seine Liebhaber finden,
und hoffentlich in immer größerer Anzahl. Die literargeschichtlichen Partieen
sind von Volkmann überall mit den Ergebnissen der neueren Forschung in Ein¬
klang gesetzt, einzelne Abschnitte umgearbeitet, mancherlei, wie das Kapitel über
die „homerische Frage", neu hinzugefügt worden. Wo Zitate in griechischer
und lateinischer Sprache gegeben sind, ist dies meist in den Anmerkungen ge¬
schehen, während der Sinn derselben in den zusammenhängenden Text ver¬
arbeitet ist. Die Analysen und Auszüge sind, unter steter Benutzung gereinigter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/118>, abgerufen am 19.10.2024.