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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gion, durch Wissen und Kunst, ja durch -- Humor. Und es zeigte sich,
daß diese Quellen oft so lebendig sprudelten, daß sie über schwere Leiden
hinweg nur um so kraftvollere, lustigere Katarakte bildeten, deren Anblick
wieder Anderen zu gleichem Ergötzen gereichte, und daß die Liebe nie be¬
seligender war, die Kraft der Tugend nie herrlicher, als im Sorgen, Be¬
hüter, Dulden, Kämpfen, Verzeihen und Bessern. So lernen wir denn auch
aus diesen angeblichen Minoritätsfällen über die geringe beobachtete Erdenzeit
hinaus uns die Möglichkeit einer Zukunft denken, die alles Leid ausgleicht, und
die hieraus entspringenden Hoffnungen werden selbst wieder ein neuer Quell
gegenwärtigen Glückes. Was kann uns der Pessimist entgegensetzen, wenn wir
so denken wollen? Ein wissenschaftliches Hinderniß dagegen gibt es nicht.
Erzeugen wir denn durch innere Geistesthat, durch stetes Zusammennehmen
unserer besten Gemüthskräfte, in unserem Inneren ein Gefühl des Glückes,
das aus Glauben, Hoffen und Lieben seinen eisernen, Fonds gewinnt, und
suchen wir das gleiche Glück auch auszubreiten um uns her, soweit unser Ein¬
fluß reicht! Schwingen wir uns durch einen kräftigen inneren Ansatz zu der
That des Glaubens ans, daß Gottes Liebe "der Uebel grauenvolles Heer"
freilassen mußte, um den endlichen Sieg des Wohles in seiner Schöpfung zu
ermöglichen und zu steigern, und daß dieses Ziel hinreicht, um auch uns jedes
Opfer und jedes Leid zu versüßen oder doch ertragbar zumachen! Ist dieser
Glaube eine subjektive Willkür, warum nicht diese Willkür lieber, als jene?

Hartmann's Philosophie -- so müssen wir unser Urtheil nochmals zu¬
sammenfassen -- ist in ihrem Autor nicht wissenschaftlich, sondern individuell
bedingt, und ihr Erfolg ist bedingt dnrch eine Zeitstimmung. Sie ist ein,
dieser individuellen Entstehung und dieser Zeitstimmung angemessen, verstüm¬
melter Neuschellingianismus, aber befreit zugleich von den orthodoxen und
mystischen Elementen, welche dieses System namentlich in seinen letzten Erschei¬
nungsphasen entstellten. Mit Schelling setzt zwar auch die Hartmann'sche Lehre
den früheren logisch-metaphysischen Gestaltungen des Absoluten ein realeres
Urprinzip und die Forderung einer ursprünglichen Willensthat entgegen, und
anch Schelling kennt innerhalb seines Absoluten das feindliche Paar des blinden
Willens und der Vernunft; man hört Schelling, wenn Hartmann von dem
"Zurückwerfen des Unlogischen in den Zustand der Potentialität" redet. Aber
bei Schelling thront der eine göttliche Urwille, der das Gute will, über jenen
Gegensätzen, ihren Kampf und die Niederwerfung des Einen durch den Andern
nur benutzend als Durchgang, um über beide hinaus einem Dritten Platz zu
machen und seine Verwirklichung zu sichern. Dieses Dritte erst ist hier das
endgiltig Seinsollende; in ihm ist Vernunft und Willenskraft zu einer Wesen¬
heit verschmolzen; es ist die Liebe. Hartmann verstümmelt diese^ Lehre, indem


gion, durch Wissen und Kunst, ja durch — Humor. Und es zeigte sich,
daß diese Quellen oft so lebendig sprudelten, daß sie über schwere Leiden
hinweg nur um so kraftvollere, lustigere Katarakte bildeten, deren Anblick
wieder Anderen zu gleichem Ergötzen gereichte, und daß die Liebe nie be¬
seligender war, die Kraft der Tugend nie herrlicher, als im Sorgen, Be¬
hüter, Dulden, Kämpfen, Verzeihen und Bessern. So lernen wir denn auch
aus diesen angeblichen Minoritätsfällen über die geringe beobachtete Erdenzeit
hinaus uns die Möglichkeit einer Zukunft denken, die alles Leid ausgleicht, und
die hieraus entspringenden Hoffnungen werden selbst wieder ein neuer Quell
gegenwärtigen Glückes. Was kann uns der Pessimist entgegensetzen, wenn wir
so denken wollen? Ein wissenschaftliches Hinderniß dagegen gibt es nicht.
Erzeugen wir denn durch innere Geistesthat, durch stetes Zusammennehmen
unserer besten Gemüthskräfte, in unserem Inneren ein Gefühl des Glückes,
das aus Glauben, Hoffen und Lieben seinen eisernen, Fonds gewinnt, und
suchen wir das gleiche Glück auch auszubreiten um uns her, soweit unser Ein¬
fluß reicht! Schwingen wir uns durch einen kräftigen inneren Ansatz zu der
That des Glaubens ans, daß Gottes Liebe „der Uebel grauenvolles Heer"
freilassen mußte, um den endlichen Sieg des Wohles in seiner Schöpfung zu
ermöglichen und zu steigern, und daß dieses Ziel hinreicht, um auch uns jedes
Opfer und jedes Leid zu versüßen oder doch ertragbar zumachen! Ist dieser
Glaube eine subjektive Willkür, warum nicht diese Willkür lieber, als jene?

Hartmann's Philosophie — so müssen wir unser Urtheil nochmals zu¬
sammenfassen — ist in ihrem Autor nicht wissenschaftlich, sondern individuell
bedingt, und ihr Erfolg ist bedingt dnrch eine Zeitstimmung. Sie ist ein,
dieser individuellen Entstehung und dieser Zeitstimmung angemessen, verstüm¬
melter Neuschellingianismus, aber befreit zugleich von den orthodoxen und
mystischen Elementen, welche dieses System namentlich in seinen letzten Erschei¬
nungsphasen entstellten. Mit Schelling setzt zwar auch die Hartmann'sche Lehre
den früheren logisch-metaphysischen Gestaltungen des Absoluten ein realeres
Urprinzip und die Forderung einer ursprünglichen Willensthat entgegen, und
anch Schelling kennt innerhalb seines Absoluten das feindliche Paar des blinden
Willens und der Vernunft; man hört Schelling, wenn Hartmann von dem
„Zurückwerfen des Unlogischen in den Zustand der Potentialität" redet. Aber
bei Schelling thront der eine göttliche Urwille, der das Gute will, über jenen
Gegensätzen, ihren Kampf und die Niederwerfung des Einen durch den Andern
nur benutzend als Durchgang, um über beide hinaus einem Dritten Platz zu
machen und seine Verwirklichung zu sichern. Dieses Dritte erst ist hier das
endgiltig Seinsollende; in ihm ist Vernunft und Willenskraft zu einer Wesen¬
heit verschmolzen; es ist die Liebe. Hartmann verstümmelt diese^ Lehre, indem


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[0112] gion, durch Wissen und Kunst, ja durch — Humor. Und es zeigte sich, daß diese Quellen oft so lebendig sprudelten, daß sie über schwere Leiden hinweg nur um so kraftvollere, lustigere Katarakte bildeten, deren Anblick wieder Anderen zu gleichem Ergötzen gereichte, und daß die Liebe nie be¬ seligender war, die Kraft der Tugend nie herrlicher, als im Sorgen, Be¬ hüter, Dulden, Kämpfen, Verzeihen und Bessern. So lernen wir denn auch aus diesen angeblichen Minoritätsfällen über die geringe beobachtete Erdenzeit hinaus uns die Möglichkeit einer Zukunft denken, die alles Leid ausgleicht, und die hieraus entspringenden Hoffnungen werden selbst wieder ein neuer Quell gegenwärtigen Glückes. Was kann uns der Pessimist entgegensetzen, wenn wir so denken wollen? Ein wissenschaftliches Hinderniß dagegen gibt es nicht. Erzeugen wir denn durch innere Geistesthat, durch stetes Zusammennehmen unserer besten Gemüthskräfte, in unserem Inneren ein Gefühl des Glückes, das aus Glauben, Hoffen und Lieben seinen eisernen, Fonds gewinnt, und suchen wir das gleiche Glück auch auszubreiten um uns her, soweit unser Ein¬ fluß reicht! Schwingen wir uns durch einen kräftigen inneren Ansatz zu der That des Glaubens ans, daß Gottes Liebe „der Uebel grauenvolles Heer" freilassen mußte, um den endlichen Sieg des Wohles in seiner Schöpfung zu ermöglichen und zu steigern, und daß dieses Ziel hinreicht, um auch uns jedes Opfer und jedes Leid zu versüßen oder doch ertragbar zumachen! Ist dieser Glaube eine subjektive Willkür, warum nicht diese Willkür lieber, als jene? Hartmann's Philosophie — so müssen wir unser Urtheil nochmals zu¬ sammenfassen — ist in ihrem Autor nicht wissenschaftlich, sondern individuell bedingt, und ihr Erfolg ist bedingt dnrch eine Zeitstimmung. Sie ist ein, dieser individuellen Entstehung und dieser Zeitstimmung angemessen, verstüm¬ melter Neuschellingianismus, aber befreit zugleich von den orthodoxen und mystischen Elementen, welche dieses System namentlich in seinen letzten Erschei¬ nungsphasen entstellten. Mit Schelling setzt zwar auch die Hartmann'sche Lehre den früheren logisch-metaphysischen Gestaltungen des Absoluten ein realeres Urprinzip und die Forderung einer ursprünglichen Willensthat entgegen, und anch Schelling kennt innerhalb seines Absoluten das feindliche Paar des blinden Willens und der Vernunft; man hört Schelling, wenn Hartmann von dem „Zurückwerfen des Unlogischen in den Zustand der Potentialität" redet. Aber bei Schelling thront der eine göttliche Urwille, der das Gute will, über jenen Gegensätzen, ihren Kampf und die Niederwerfung des Einen durch den Andern nur benutzend als Durchgang, um über beide hinaus einem Dritten Platz zu machen und seine Verwirklichung zu sichern. Dieses Dritte erst ist hier das endgiltig Seinsollende; in ihm ist Vernunft und Willenskraft zu einer Wesen¬ heit verschmolzen; es ist die Liebe. Hartmann verstümmelt diese^ Lehre, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/112>, abgerufen am 27.12.2024.