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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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energisch fühlenden Menschen, wie Diogenes es war, sein Mitleiden mit der
Gebrechlichkeit der menschlichen Natur zur Ironie sich umsetzte, bedarf keiner
psychologischen Erklärung. Das Bewußtsein von der Erfolglosigkeit des Bestre¬
bens, die Welt mit dem Ideal auszusöhnen, beruhte aber bei Diogenes auf
Reflexion, während es bei Sokrates rein naiv war und aus jener inneren
Duplizität seines Bewußtseins hervorging, vermöge deren er in sich selbst, neben
seiner eigenen Stimme die zweite seines Daemonion vernahm, der er unbedingt
gehorchte, und der gegenüber er alle menschlichen Dinge für werthlos hielt.
Diogenes gehört unter die Kategorie der Ironiker, von denen Aristoteles sagt:
"Sie stellen die Dinge kleiner dar, als sie sind, sprechen aber nicht aus Ge¬
winnsucht also, sondern um allen Schwulst zu vermeiden; weshalb sie es auch
lieben, zu verleugnen, was ihnen zur Ehre gereicht." Durch den Humor
aber, welchen er der Ironie beizumischen verstand, hat Diogenes der Schule,
welche an Antisthenes' schroffer und düsterer Askese sicher hätte zu Grabe gehen
müssen, ein neues und zwar populäres Lebensprinzip geschaffen. Sein philo¬
sophisches Glaubensbekenntniß, das fest in den Grundsätzen seines Lehrers
wurzelte, verhielt sich den andern Philosophenschulen gegenüber rein negativ.
Besonders aber war es Platon's hoher Idealismus, den er bei jeder Gelegen¬
heit verspottete. Das Histörchen von Platon's Hahn-Menschen ist bekannt ge¬
nug. Aber auch gegen Eukleides und gegen 'die Megariker war er ein allzeit
fertiger Streiter. Daß er sich gegen Aristoteles feindlich verhielt, ist nicht be¬
richtet, nur bei einer Gelegenheit verspottete er die Abhängigkeit des großen
Peripcitetikers von Philipp von Makedonien mit den Worten: "Aristoteles muß
essen, wenn Philipp es für gut findet, Diogenes ißt, wenn Diogenes es für
zweckmüßig hält."

Bei Chaeroneia focht unser Philosoph als guter Staatsbürger mit und
wurde zum Gefangenen gemacht. Als ihn Philipp vorführen ließ und ihn
fragte, weshalb er gegen ihn mit in's Feld gezogen sei, antwortete er dreist:
"Um Zeuge deiner Unersättlichkeit zu sein." Die Geradheit der Antwort soll
dem Könige so gefallen haben, daß er ihn sofort auf freien Fuß zu setzen
befahl. Bald darauf verließ Diogenes Athen, wurde aber auf der Reise bei
Aegina von Piraten gefangen, nach Kreta geführt und dort an einen reichen
Korinther Xeniades als Sklave verkauft. Als ihn der Sklavenhändler fragte,
was er verstehe und könne, erwiederte er: "Ich verstehe Menschen zu beherrschen."
Auf den im üppigen Gewände vorüberrauschenden Xeniades wies er mit dem
Finger und sagte: "An dieses Schaf mit goldenem Vließ verkauft mich, es scheint
eines Herrn zu bedürfen." Als seine Freunde ihn loskaufen wollten, widersetzte
er sich dem Ansinnen mit den Worten: "Seitdem Antisthenes mich frei gemacht
hat, bin ich kein Sklave mehr." Der Erziehung der Söhne seines Herrn widmete


energisch fühlenden Menschen, wie Diogenes es war, sein Mitleiden mit der
Gebrechlichkeit der menschlichen Natur zur Ironie sich umsetzte, bedarf keiner
psychologischen Erklärung. Das Bewußtsein von der Erfolglosigkeit des Bestre¬
bens, die Welt mit dem Ideal auszusöhnen, beruhte aber bei Diogenes auf
Reflexion, während es bei Sokrates rein naiv war und aus jener inneren
Duplizität seines Bewußtseins hervorging, vermöge deren er in sich selbst, neben
seiner eigenen Stimme die zweite seines Daemonion vernahm, der er unbedingt
gehorchte, und der gegenüber er alle menschlichen Dinge für werthlos hielt.
Diogenes gehört unter die Kategorie der Ironiker, von denen Aristoteles sagt:
„Sie stellen die Dinge kleiner dar, als sie sind, sprechen aber nicht aus Ge¬
winnsucht also, sondern um allen Schwulst zu vermeiden; weshalb sie es auch
lieben, zu verleugnen, was ihnen zur Ehre gereicht." Durch den Humor
aber, welchen er der Ironie beizumischen verstand, hat Diogenes der Schule,
welche an Antisthenes' schroffer und düsterer Askese sicher hätte zu Grabe gehen
müssen, ein neues und zwar populäres Lebensprinzip geschaffen. Sein philo¬
sophisches Glaubensbekenntniß, das fest in den Grundsätzen seines Lehrers
wurzelte, verhielt sich den andern Philosophenschulen gegenüber rein negativ.
Besonders aber war es Platon's hoher Idealismus, den er bei jeder Gelegen¬
heit verspottete. Das Histörchen von Platon's Hahn-Menschen ist bekannt ge¬
nug. Aber auch gegen Eukleides und gegen 'die Megariker war er ein allzeit
fertiger Streiter. Daß er sich gegen Aristoteles feindlich verhielt, ist nicht be¬
richtet, nur bei einer Gelegenheit verspottete er die Abhängigkeit des großen
Peripcitetikers von Philipp von Makedonien mit den Worten: „Aristoteles muß
essen, wenn Philipp es für gut findet, Diogenes ißt, wenn Diogenes es für
zweckmüßig hält."

Bei Chaeroneia focht unser Philosoph als guter Staatsbürger mit und
wurde zum Gefangenen gemacht. Als ihn Philipp vorführen ließ und ihn
fragte, weshalb er gegen ihn mit in's Feld gezogen sei, antwortete er dreist:
„Um Zeuge deiner Unersättlichkeit zu sein." Die Geradheit der Antwort soll
dem Könige so gefallen haben, daß er ihn sofort auf freien Fuß zu setzen
befahl. Bald darauf verließ Diogenes Athen, wurde aber auf der Reise bei
Aegina von Piraten gefangen, nach Kreta geführt und dort an einen reichen
Korinther Xeniades als Sklave verkauft. Als ihn der Sklavenhändler fragte,
was er verstehe und könne, erwiederte er: „Ich verstehe Menschen zu beherrschen."
Auf den im üppigen Gewände vorüberrauschenden Xeniades wies er mit dem
Finger und sagte: „An dieses Schaf mit goldenem Vließ verkauft mich, es scheint
eines Herrn zu bedürfen." Als seine Freunde ihn loskaufen wollten, widersetzte
er sich dem Ansinnen mit den Worten: „Seitdem Antisthenes mich frei gemacht
hat, bin ich kein Sklave mehr." Der Erziehung der Söhne seines Herrn widmete


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[0096] energisch fühlenden Menschen, wie Diogenes es war, sein Mitleiden mit der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur zur Ironie sich umsetzte, bedarf keiner psychologischen Erklärung. Das Bewußtsein von der Erfolglosigkeit des Bestre¬ bens, die Welt mit dem Ideal auszusöhnen, beruhte aber bei Diogenes auf Reflexion, während es bei Sokrates rein naiv war und aus jener inneren Duplizität seines Bewußtseins hervorging, vermöge deren er in sich selbst, neben seiner eigenen Stimme die zweite seines Daemonion vernahm, der er unbedingt gehorchte, und der gegenüber er alle menschlichen Dinge für werthlos hielt. Diogenes gehört unter die Kategorie der Ironiker, von denen Aristoteles sagt: „Sie stellen die Dinge kleiner dar, als sie sind, sprechen aber nicht aus Ge¬ winnsucht also, sondern um allen Schwulst zu vermeiden; weshalb sie es auch lieben, zu verleugnen, was ihnen zur Ehre gereicht." Durch den Humor aber, welchen er der Ironie beizumischen verstand, hat Diogenes der Schule, welche an Antisthenes' schroffer und düsterer Askese sicher hätte zu Grabe gehen müssen, ein neues und zwar populäres Lebensprinzip geschaffen. Sein philo¬ sophisches Glaubensbekenntniß, das fest in den Grundsätzen seines Lehrers wurzelte, verhielt sich den andern Philosophenschulen gegenüber rein negativ. Besonders aber war es Platon's hoher Idealismus, den er bei jeder Gelegen¬ heit verspottete. Das Histörchen von Platon's Hahn-Menschen ist bekannt ge¬ nug. Aber auch gegen Eukleides und gegen 'die Megariker war er ein allzeit fertiger Streiter. Daß er sich gegen Aristoteles feindlich verhielt, ist nicht be¬ richtet, nur bei einer Gelegenheit verspottete er die Abhängigkeit des großen Peripcitetikers von Philipp von Makedonien mit den Worten: „Aristoteles muß essen, wenn Philipp es für gut findet, Diogenes ißt, wenn Diogenes es für zweckmüßig hält." Bei Chaeroneia focht unser Philosoph als guter Staatsbürger mit und wurde zum Gefangenen gemacht. Als ihn Philipp vorführen ließ und ihn fragte, weshalb er gegen ihn mit in's Feld gezogen sei, antwortete er dreist: „Um Zeuge deiner Unersättlichkeit zu sein." Die Geradheit der Antwort soll dem Könige so gefallen haben, daß er ihn sofort auf freien Fuß zu setzen befahl. Bald darauf verließ Diogenes Athen, wurde aber auf der Reise bei Aegina von Piraten gefangen, nach Kreta geführt und dort an einen reichen Korinther Xeniades als Sklave verkauft. Als ihn der Sklavenhändler fragte, was er verstehe und könne, erwiederte er: „Ich verstehe Menschen zu beherrschen." Auf den im üppigen Gewände vorüberrauschenden Xeniades wies er mit dem Finger und sagte: „An dieses Schaf mit goldenem Vließ verkauft mich, es scheint eines Herrn zu bedürfen." Als seine Freunde ihn loskaufen wollten, widersetzte er sich dem Ansinnen mit den Worten: „Seitdem Antisthenes mich frei gemacht hat, bin ich kein Sklave mehr." Der Erziehung der Söhne seines Herrn widmete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/96>, abgerufen am 24.07.2024.