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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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vollere und gut angebaut, und was gewesen, kann, nachdem der böse Zander
des Halbmondes gebannt ist, wieder werden. Von dem, was unter jenem
Zauber möglich war, erzählt Kapitel sieben unserer Schrift, mit dem man
Kapitel neun vergleichen wolle, haarsträubende Beispiele, und von dem, was
unter ihm trotz der guten Anlagen der Rajah nicht möglich war, zeugt der
ganze Zustand des Landes.

Die Befreiung der Bosnier von der türkischen Willkürherrschaft und die
Wiedergewinnung der Länder des Bosra- und Narentathales für die Gesit¬
tung wäre also ein Werk der Menschlichkeit? Unzweifelhaft. Aber sie ist
zugleich uoch etwas Anderes. Sie ist ein Gebot der politischen Noth¬
wendigkeit.

Finanziers rechnen, wie angedeutet: Die Besetzung von Bosnien und
der Herzegowina kostet mindestens so und so viel, der Nutzen, den diese Länder
abwerfen werden, betrügt höchstens so und so viel Millionen Gulden; subtra-
hiren wir, so bleibt uns ein Minus. Auf dieses Exempel ist zu erwidern:
die Kosten der Okkupation jener Landstriche werden sich bis ans den Kreuzer
ausrechnen lassen, die Vortheile, die dem politischen Gemeinwesen Oesterreich-
Ungarn's aus derselben erwachsen, sind jetzt nicht zu berechnen und überhaupt
nicht in Zahlen auszudrücken.

Ein anderer Einwurf, der gleichfalls schon kurz erwähnt wurde, lautet:
Haben wir nicht bereits genug Slaven in unserer Mitte, wozu noch mehr? --
Wenn Magyaren so reden, so vergessen sie die Haltung ihrer Väter, die, nichts
wissend von der ebenso häßlichen als ohnmächtigen linguistischen Parteileiden¬
schaft, welche ihre Nachkommen beseelt, nicht darauf zu verzichten im Stande
gewesen wären, Gebiete zu erwerben, die dem Staate nothwendig sind. Und
mit der Slavenfurcht der deutschen Gegner des Verfahrens Andrassy's verhält
sich's nicht besser. Stellen wir uns selbst auf den Standpunkt der Slavo-
phoben diesseits und jenseits der Leitha, so werden folgende Erwägungen, die
wir auszugsweise der Heisere'schen Schrift entnehmen, nicht abzuweisen sein.
Niemand kann im Ernste meinen, daß die türkische Wirthschaft, die trotz aller
scheinbaren Reformversuche sich bisher unverbesserlich gezeigt hat, sich von innen
heraus kräftigen und auf die Dauer befestigen lasten werde. Und wenn diese
Möglichkeit von allen Verständigen verneint wird, wahrt man dann das Inter¬
esse der Magyaren und der Deutschösterreicher nicht besser dadurch, daß man
jene slavischen Gebiete in seine Machtsphüre zieht, als dadurch, daß man an
den Grenzen der letzteren ein großes selbständiges südslavisches Reich sich bilden
und das einstige Czarenthum von Serbien, Bosnien und Primorje wieder auf¬
leben läßt? Rußland umspannt die beiden Hälften der Habsburgischen Monarchie
bereits im Norden und Osten, und diese sollte jene slavische Grenznachbarschaft


vollere und gut angebaut, und was gewesen, kann, nachdem der böse Zander
des Halbmondes gebannt ist, wieder werden. Von dem, was unter jenem
Zauber möglich war, erzählt Kapitel sieben unserer Schrift, mit dem man
Kapitel neun vergleichen wolle, haarsträubende Beispiele, und von dem, was
unter ihm trotz der guten Anlagen der Rajah nicht möglich war, zeugt der
ganze Zustand des Landes.

Die Befreiung der Bosnier von der türkischen Willkürherrschaft und die
Wiedergewinnung der Länder des Bosra- und Narentathales für die Gesit¬
tung wäre also ein Werk der Menschlichkeit? Unzweifelhaft. Aber sie ist
zugleich uoch etwas Anderes. Sie ist ein Gebot der politischen Noth¬
wendigkeit.

Finanziers rechnen, wie angedeutet: Die Besetzung von Bosnien und
der Herzegowina kostet mindestens so und so viel, der Nutzen, den diese Länder
abwerfen werden, betrügt höchstens so und so viel Millionen Gulden; subtra-
hiren wir, so bleibt uns ein Minus. Auf dieses Exempel ist zu erwidern:
die Kosten der Okkupation jener Landstriche werden sich bis ans den Kreuzer
ausrechnen lassen, die Vortheile, die dem politischen Gemeinwesen Oesterreich-
Ungarn's aus derselben erwachsen, sind jetzt nicht zu berechnen und überhaupt
nicht in Zahlen auszudrücken.

Ein anderer Einwurf, der gleichfalls schon kurz erwähnt wurde, lautet:
Haben wir nicht bereits genug Slaven in unserer Mitte, wozu noch mehr? —
Wenn Magyaren so reden, so vergessen sie die Haltung ihrer Väter, die, nichts
wissend von der ebenso häßlichen als ohnmächtigen linguistischen Parteileiden¬
schaft, welche ihre Nachkommen beseelt, nicht darauf zu verzichten im Stande
gewesen wären, Gebiete zu erwerben, die dem Staate nothwendig sind. Und
mit der Slavenfurcht der deutschen Gegner des Verfahrens Andrassy's verhält
sich's nicht besser. Stellen wir uns selbst auf den Standpunkt der Slavo-
phoben diesseits und jenseits der Leitha, so werden folgende Erwägungen, die
wir auszugsweise der Heisere'schen Schrift entnehmen, nicht abzuweisen sein.
Niemand kann im Ernste meinen, daß die türkische Wirthschaft, die trotz aller
scheinbaren Reformversuche sich bisher unverbesserlich gezeigt hat, sich von innen
heraus kräftigen und auf die Dauer befestigen lasten werde. Und wenn diese
Möglichkeit von allen Verständigen verneint wird, wahrt man dann das Inter¬
esse der Magyaren und der Deutschösterreicher nicht besser dadurch, daß man
jene slavischen Gebiete in seine Machtsphüre zieht, als dadurch, daß man an
den Grenzen der letzteren ein großes selbständiges südslavisches Reich sich bilden
und das einstige Czarenthum von Serbien, Bosnien und Primorje wieder auf¬
leben läßt? Rußland umspannt die beiden Hälften der Habsburgischen Monarchie
bereits im Norden und Osten, und diese sollte jene slavische Grenznachbarschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/63>, abgerufen am 06.02.2025.