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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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mit Recht an der lüderlicher Zeichnung und an der willkürlichen, rücksichtslosen
Behandlung der Form Anstoß. Eine vollendete Kenntniß des menschlichen
Körpers gehört in Frankreich zu den Elementarwissenschaften des Künstlers.
Auf solchen gründlichen, ganz selbstverständlichen Vorstudien basirt zum Theil
die Blüthe der französischen Kunst; daraus erklärt sich vor allem das hohe
Durchschnittsniveau derselben.

Noch mehr sprach sein folgendes größeres Werk, die "Abundantia", allen
Formen- und Stilgesetzen Hohn. Auf zwei laugen Tafeln wälzten sich unreife
Knaben zwischen lüstern blickenden, halb nackten Frauengestalten umher, deren
aufgeschwemmte Gesichtszüge vou häßlichen Leidenschaften entstellt waren. Das
Fleisch dieser Damen hatte gelbe, grünliche und bläuliche Töne. Es hatte den
Anschein, als lagerte der Moderduft der Verwesung aus den ungefügen Gliedern,
die meistentheils falsch in die massigen Körper eingesetzt waren. Das eine dieser
Bilder sollte die Ueberfülle der spendenden Mutter Erde in ihren Produkten
symbolisiren. Die Früchte der Bäume und des Feldes vermischten sich zu
einem malerischen, aber gedankenlosen Ensemble mit den Figuren, deren Bedeu¬
tung niemand klar war. Auf dem anderen Bilde war wenigstens durch einen
Fischzug, der eine reiche Beute von den Schätzen des Meeres ergab, eine Spur
von Zusammenhang in das lose Nebeneinander hineingebracht. Im Ganzen
aber ist diese "Abundantia" nichts mehr als ein riesiges phantastisches Stillleben,
auf welchem menschliche Glieder dieselbe Rolle spielen wie rothwangige Aepfel,
schwellende Pfirsische, Trauben und todte Fische. Die malerische Behandlung
entsprach dem dekorativen Zweck der Gemälde: roh und brutal, aber wiederum
von berauschenden, sinnlichem Effekt.

Der Eindruck dieses Bildes war ein bei weitem nicht so mächtiger wie der
der "Todsünden". Trotzdem daß die Zeit, in welcher dasselbe seine Runde durch
Deutschland machte, die Zeit des Goldregens nach dem Kriege, viel günstiger
war als die zahme, nüchterne Epoche des langsamen Aufstrebens zwischen 1866
und 1870, folgte auf den Rausch doch die Ernüchterung. Die "freie Sinnlichkeit"
der "Todsünden" hatte auf der "Abundantia" bereits einen Stich, einen faulen
Beigeschmack erhalten. Die widrige Leichenfarbe ließ sich nicht so leicht hinweg-
dispntiren wie ein mangelhaft gezeichneter Körpertheil. Man fing bei aller
Bewunderung des Kolorits, insbesondere des berühmten "Mcckartroth", bereits
an, von genialer Verirrung zu sprechen. Aber damals arbeitete der Künstler
bereits an einem Bilde, welches den üblen Eindruck der Abundantiabilder
wieder verwischen und seinem Schöpfer den Namen eines modernen Paul
Veronese eintragen sollte.

Im Jahre 1869 erhielt Makart einen Ruf nach Wien, wo ihm auf Staats¬
kosten ein großes Atelier eingerichtet wurde. Erst jetzt gerieth der Künstler in


mit Recht an der lüderlicher Zeichnung und an der willkürlichen, rücksichtslosen
Behandlung der Form Anstoß. Eine vollendete Kenntniß des menschlichen
Körpers gehört in Frankreich zu den Elementarwissenschaften des Künstlers.
Auf solchen gründlichen, ganz selbstverständlichen Vorstudien basirt zum Theil
die Blüthe der französischen Kunst; daraus erklärt sich vor allem das hohe
Durchschnittsniveau derselben.

Noch mehr sprach sein folgendes größeres Werk, die „Abundantia", allen
Formen- und Stilgesetzen Hohn. Auf zwei laugen Tafeln wälzten sich unreife
Knaben zwischen lüstern blickenden, halb nackten Frauengestalten umher, deren
aufgeschwemmte Gesichtszüge vou häßlichen Leidenschaften entstellt waren. Das
Fleisch dieser Damen hatte gelbe, grünliche und bläuliche Töne. Es hatte den
Anschein, als lagerte der Moderduft der Verwesung aus den ungefügen Gliedern,
die meistentheils falsch in die massigen Körper eingesetzt waren. Das eine dieser
Bilder sollte die Ueberfülle der spendenden Mutter Erde in ihren Produkten
symbolisiren. Die Früchte der Bäume und des Feldes vermischten sich zu
einem malerischen, aber gedankenlosen Ensemble mit den Figuren, deren Bedeu¬
tung niemand klar war. Auf dem anderen Bilde war wenigstens durch einen
Fischzug, der eine reiche Beute von den Schätzen des Meeres ergab, eine Spur
von Zusammenhang in das lose Nebeneinander hineingebracht. Im Ganzen
aber ist diese „Abundantia" nichts mehr als ein riesiges phantastisches Stillleben,
auf welchem menschliche Glieder dieselbe Rolle spielen wie rothwangige Aepfel,
schwellende Pfirsische, Trauben und todte Fische. Die malerische Behandlung
entsprach dem dekorativen Zweck der Gemälde: roh und brutal, aber wiederum
von berauschenden, sinnlichem Effekt.

Der Eindruck dieses Bildes war ein bei weitem nicht so mächtiger wie der
der „Todsünden". Trotzdem daß die Zeit, in welcher dasselbe seine Runde durch
Deutschland machte, die Zeit des Goldregens nach dem Kriege, viel günstiger
war als die zahme, nüchterne Epoche des langsamen Aufstrebens zwischen 1866
und 1870, folgte auf den Rausch doch die Ernüchterung. Die „freie Sinnlichkeit"
der „Todsünden" hatte auf der „Abundantia" bereits einen Stich, einen faulen
Beigeschmack erhalten. Die widrige Leichenfarbe ließ sich nicht so leicht hinweg-
dispntiren wie ein mangelhaft gezeichneter Körpertheil. Man fing bei aller
Bewunderung des Kolorits, insbesondere des berühmten „Mcckartroth", bereits
an, von genialer Verirrung zu sprechen. Aber damals arbeitete der Künstler
bereits an einem Bilde, welches den üblen Eindruck der Abundantiabilder
wieder verwischen und seinem Schöpfer den Namen eines modernen Paul
Veronese eintragen sollte.

Im Jahre 1869 erhielt Makart einen Ruf nach Wien, wo ihm auf Staats¬
kosten ein großes Atelier eingerichtet wurde. Erst jetzt gerieth der Künstler in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/511>, abgerufen am 06.02.2025.