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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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fällige Thatsache hat unzählige Male Veranlassung gegeben, den Farbenkünstler
mit seinem großen Landsmanne Mozart zu vergleichen. Als ob die keusche
Grazie dieses Meisters, seine klassische Naivetät, seine ruhige Harmonie in der
musikalischen Ausdrucksweise etwas gemein hätte mit der wilden Sinnlichkeit,
dem frivolen Raffinement, der Formlosigkeit Makart's! Wäre letzterer zufällig
in Leipzig geboren, so würde man ihn viel treffender statt einen "Mozart in
Farben" einen "Wagner in Farben" genannt haben. Als achtzehnjähriger Jüng¬
ling bezog Makart die Wiener Kunstakademie. Er" scheint dort nicht das ge¬
funden zu haben, was feinem unruhigen Geiste kongenial war. Vielleicht
zweifelte er auch an seinem Berufe -- genug, er verließ nach einigen Monaten
wieder die Akademie und schien das Studium der Malerei aufgeben zu wollen.
Doch dauerte dieses Intermezzo nicht lange. Er wagte einen zweiten Versuch,
ging nach München und fand dort in der Piloty-Schule den Boden, der feinem
Temperamente zusagte.

Mit einem seltenen Aneignungsvermögen faßte er alle glänzenden Aeußer-
lichkeiten der Piloty'schen Art auf und bildete sie selbständig auf Grund seiner
fruchtbaren Phantasie und einer eminenten Begabung für malerisches
Arrangement weiter aus. Das Gewandstudium, die kunstvolle Drapirung einer
Figur, der Faltenwurf, die minutiöse Behandlung des Beiwerks, welchem der
Pinsel besondere Effekte abzugewinnen sucht, und damit verbunden die Vorliebe
für glänzende Kostüme, Waffen u. dergl., eine figurenreiche Komposition, die
auf einem auffälligen dramatischen Vorgang beruht -- das sind die charakteristischen
Abzeichen der Piloty'schen Kunst, die Hauptparagraphen des Lehrbuches, welches
in der Piloty-Schule maßgebend war. Der Meister hatte früher auch nach
seelischer Vertiefung, nach einer eindringlichen Charakteristik, nach Offenbarung
eines bedeutenden geistigen Lebens in den Köpfen feiner Figuren gestrebt. Aber
im Laufe der Zeit, besonders nach einem längeren Aufenthalte in der französischen
Hauptstadt, trat dieses Streben hinter den koloristischen Experimenten zurück.
Der menschliche Körper war in der Piloty-Schule immer nur Mittel zum Zweck;
er war nur insofern ein Gegenstand des Studiums, als er der Träger des Ge¬
wandes war. Diese Bevorzugung der Gewandung zum Nachtheile des mensch¬
lichen Körpers macht sich am empfindlichsten auf einem der berühmtesten Werke
Piloty's, auf "Cäsar's Tod", geltend. Aber hier lassen sich unter der Fluth
der aufgebauschten Gewänder, die alles übrige, selbst die immerhin noch ziemlich
energisch charakterisirten Köpfe absorbiren, die Körperformen in ihren Haupt¬
umrissen noch verfolgen. Auf seineu späteren Gemälden, namentlich auf seinem
"Triumphzug des Germanicus", war das schon schwieriger. Hier drängte die
Lust an einem Farbenspiel mit gelben und violetten Tönen, die unbegrenzte
Neigung für breit arrangirte Draperieen und glitzerndes, massenhaft aufgehäuftes


fällige Thatsache hat unzählige Male Veranlassung gegeben, den Farbenkünstler
mit seinem großen Landsmanne Mozart zu vergleichen. Als ob die keusche
Grazie dieses Meisters, seine klassische Naivetät, seine ruhige Harmonie in der
musikalischen Ausdrucksweise etwas gemein hätte mit der wilden Sinnlichkeit,
dem frivolen Raffinement, der Formlosigkeit Makart's! Wäre letzterer zufällig
in Leipzig geboren, so würde man ihn viel treffender statt einen „Mozart in
Farben" einen „Wagner in Farben" genannt haben. Als achtzehnjähriger Jüng¬
ling bezog Makart die Wiener Kunstakademie. Er« scheint dort nicht das ge¬
funden zu haben, was feinem unruhigen Geiste kongenial war. Vielleicht
zweifelte er auch an seinem Berufe — genug, er verließ nach einigen Monaten
wieder die Akademie und schien das Studium der Malerei aufgeben zu wollen.
Doch dauerte dieses Intermezzo nicht lange. Er wagte einen zweiten Versuch,
ging nach München und fand dort in der Piloty-Schule den Boden, der feinem
Temperamente zusagte.

Mit einem seltenen Aneignungsvermögen faßte er alle glänzenden Aeußer-
lichkeiten der Piloty'schen Art auf und bildete sie selbständig auf Grund seiner
fruchtbaren Phantasie und einer eminenten Begabung für malerisches
Arrangement weiter aus. Das Gewandstudium, die kunstvolle Drapirung einer
Figur, der Faltenwurf, die minutiöse Behandlung des Beiwerks, welchem der
Pinsel besondere Effekte abzugewinnen sucht, und damit verbunden die Vorliebe
für glänzende Kostüme, Waffen u. dergl., eine figurenreiche Komposition, die
auf einem auffälligen dramatischen Vorgang beruht — das sind die charakteristischen
Abzeichen der Piloty'schen Kunst, die Hauptparagraphen des Lehrbuches, welches
in der Piloty-Schule maßgebend war. Der Meister hatte früher auch nach
seelischer Vertiefung, nach einer eindringlichen Charakteristik, nach Offenbarung
eines bedeutenden geistigen Lebens in den Köpfen feiner Figuren gestrebt. Aber
im Laufe der Zeit, besonders nach einem längeren Aufenthalte in der französischen
Hauptstadt, trat dieses Streben hinter den koloristischen Experimenten zurück.
Der menschliche Körper war in der Piloty-Schule immer nur Mittel zum Zweck;
er war nur insofern ein Gegenstand des Studiums, als er der Träger des Ge¬
wandes war. Diese Bevorzugung der Gewandung zum Nachtheile des mensch¬
lichen Körpers macht sich am empfindlichsten auf einem der berühmtesten Werke
Piloty's, auf „Cäsar's Tod", geltend. Aber hier lassen sich unter der Fluth
der aufgebauschten Gewänder, die alles übrige, selbst die immerhin noch ziemlich
energisch charakterisirten Köpfe absorbiren, die Körperformen in ihren Haupt¬
umrissen noch verfolgen. Auf seineu späteren Gemälden, namentlich auf seinem
„Triumphzug des Germanicus", war das schon schwieriger. Hier drängte die
Lust an einem Farbenspiel mit gelben und violetten Tönen, die unbegrenzte
Neigung für breit arrangirte Draperieen und glitzerndes, massenhaft aufgehäuftes


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[0506] fällige Thatsache hat unzählige Male Veranlassung gegeben, den Farbenkünstler mit seinem großen Landsmanne Mozart zu vergleichen. Als ob die keusche Grazie dieses Meisters, seine klassische Naivetät, seine ruhige Harmonie in der musikalischen Ausdrucksweise etwas gemein hätte mit der wilden Sinnlichkeit, dem frivolen Raffinement, der Formlosigkeit Makart's! Wäre letzterer zufällig in Leipzig geboren, so würde man ihn viel treffender statt einen „Mozart in Farben" einen „Wagner in Farben" genannt haben. Als achtzehnjähriger Jüng¬ ling bezog Makart die Wiener Kunstakademie. Er« scheint dort nicht das ge¬ funden zu haben, was feinem unruhigen Geiste kongenial war. Vielleicht zweifelte er auch an seinem Berufe — genug, er verließ nach einigen Monaten wieder die Akademie und schien das Studium der Malerei aufgeben zu wollen. Doch dauerte dieses Intermezzo nicht lange. Er wagte einen zweiten Versuch, ging nach München und fand dort in der Piloty-Schule den Boden, der feinem Temperamente zusagte. Mit einem seltenen Aneignungsvermögen faßte er alle glänzenden Aeußer- lichkeiten der Piloty'schen Art auf und bildete sie selbständig auf Grund seiner fruchtbaren Phantasie und einer eminenten Begabung für malerisches Arrangement weiter aus. Das Gewandstudium, die kunstvolle Drapirung einer Figur, der Faltenwurf, die minutiöse Behandlung des Beiwerks, welchem der Pinsel besondere Effekte abzugewinnen sucht, und damit verbunden die Vorliebe für glänzende Kostüme, Waffen u. dergl., eine figurenreiche Komposition, die auf einem auffälligen dramatischen Vorgang beruht — das sind die charakteristischen Abzeichen der Piloty'schen Kunst, die Hauptparagraphen des Lehrbuches, welches in der Piloty-Schule maßgebend war. Der Meister hatte früher auch nach seelischer Vertiefung, nach einer eindringlichen Charakteristik, nach Offenbarung eines bedeutenden geistigen Lebens in den Köpfen feiner Figuren gestrebt. Aber im Laufe der Zeit, besonders nach einem längeren Aufenthalte in der französischen Hauptstadt, trat dieses Streben hinter den koloristischen Experimenten zurück. Der menschliche Körper war in der Piloty-Schule immer nur Mittel zum Zweck; er war nur insofern ein Gegenstand des Studiums, als er der Träger des Ge¬ wandes war. Diese Bevorzugung der Gewandung zum Nachtheile des mensch¬ lichen Körpers macht sich am empfindlichsten auf einem der berühmtesten Werke Piloty's, auf „Cäsar's Tod", geltend. Aber hier lassen sich unter der Fluth der aufgebauschten Gewänder, die alles übrige, selbst die immerhin noch ziemlich energisch charakterisirten Köpfe absorbiren, die Körperformen in ihren Haupt¬ umrissen noch verfolgen. Auf seineu späteren Gemälden, namentlich auf seinem „Triumphzug des Germanicus", war das schon schwieriger. Hier drängte die Lust an einem Farbenspiel mit gelben und violetten Tönen, die unbegrenzte Neigung für breit arrangirte Draperieen und glitzerndes, massenhaft aufgehäuftes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/506>, abgerufen am 05.02.2025.