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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Arbeitstheilung wie der Dampfkraft, zum Großbetriebe um. In Verfolgung
ihrer eigenen Interessen verloren sie ihre bisherigen Gewerbsgenossen aus den
Augen. Die Anderen, denen ein solcher Aufschwung nicht möglich war oder
nicht gelang, und namentlich die Handwerker der kleinen Städte verfielen, er¬
drückt unter der Fluth billiger gewerblicher Erzeugnisse, mit denen die Gro߬
industrie das Land überschwemmte, in Muth- und Hoffnungslosigkeit. Nun
kam die schwere wirthschaftliche Krisis und brachte für den Handwerker Mangel
an Arbeit und Mangel an Kredit. Die kleinen Gewerbebanken^ die Schütze'-
schen Kredit- und Vorschußgenossenschaftett, die bisher die Kreditfähigkeit des
Kleingewerbes erhöht hatten, konnten sich nicht über Wasser halten. Eine nach
der andern sank uuter, und nicht blos der Kredit fiel weg, der Schaden war
größer. Die Solidarhaft senkte sich wie eine schwere Schicksalswolke auf deu
Gewerbestand kleiner Städte nieder und half die allgemeine Verwirrung und
Entmuthigung vergrößern.

Inzwischen war man aber doch bei den Handwerkern nach und nach
wieder so weit zu sich selbst gekommen, daß von Berlin und Hamburg eine
Agitation in's Leben treten konnte, die den Zweck hatte, im Sinne der Inter¬
essen der kleinen selbständigen Gewerbetreibenden auf die Gesetzgebung einzu¬
wirken. Man stellte hie und da eigene Kandidaten für den Reichstag ans
und setzte ihre Wahl in ein paar Fällen auch durch. Von praktischem Erfolge
ist dies aber nicht gewesen, da man unterließ, vor allem etwas in's Leben zu
rufen, was der Gesetzgebung bedürfte. Die Freiheit dazu war hinlänglich
vorhanden.'!'^''!? ,'i>MM"j M sol .int!?!"" Ma LVoZmcks z"6 "N'-^'null

Der erste Schritt, zu wirklichen neuen gewerblichen Verbänden zu gelangen/
wurde endlich im vorigen Jahre von den Schuhmachern in Osnabrück gemacht.
Das Statut dieser neuen Innung wurde von dem dortigen Bürgermeister
Miquel entworfen und stellt in einigen zwanzig Paragraphen die Organisation
und den Zweck derselben fest. Auf dem Boden der Gewerbeordnung stehend,
will diese Innung die gemeinsamen gewerblichen Interessen der Mitglieder
fördern, ihre Vertretung nach außen übernehmen, Unterstützungskassen gründen,
das Verhältniß zwischen den Meistern und das zwischen dem Meister und den
Gesellen und Lehrlingen regeln und bessern und endlich eine tüchtigere Aus¬
bildung der Lehrlinge durch Beaufsichtigung derselben, Prüfung ihrer Arbeit und
Ausstellung von Lehrbriefen bewirken. Von der Gesetzgebung hofft man dann
noch, wie Miquel in einer Rede über die Innungen äußerte, das ganze Lehr¬
lingswesen in die Hand zu bekommen, so daß also nicht blos die bei Jnnungs-
mitgliedern, sondern auch die anderweitig ausgebildeten Lehrlinge von der
Innung geprüft werden und Lehrbriefe bekommen dürfen. Obgleich diese
Forderung aus dem Rahmen der jetzigen Gewerbeordnung heraustritt, so


Arbeitstheilung wie der Dampfkraft, zum Großbetriebe um. In Verfolgung
ihrer eigenen Interessen verloren sie ihre bisherigen Gewerbsgenossen aus den
Augen. Die Anderen, denen ein solcher Aufschwung nicht möglich war oder
nicht gelang, und namentlich die Handwerker der kleinen Städte verfielen, er¬
drückt unter der Fluth billiger gewerblicher Erzeugnisse, mit denen die Gro߬
industrie das Land überschwemmte, in Muth- und Hoffnungslosigkeit. Nun
kam die schwere wirthschaftliche Krisis und brachte für den Handwerker Mangel
an Arbeit und Mangel an Kredit. Die kleinen Gewerbebanken^ die Schütze'-
schen Kredit- und Vorschußgenossenschaftett, die bisher die Kreditfähigkeit des
Kleingewerbes erhöht hatten, konnten sich nicht über Wasser halten. Eine nach
der andern sank uuter, und nicht blos der Kredit fiel weg, der Schaden war
größer. Die Solidarhaft senkte sich wie eine schwere Schicksalswolke auf deu
Gewerbestand kleiner Städte nieder und half die allgemeine Verwirrung und
Entmuthigung vergrößern.

Inzwischen war man aber doch bei den Handwerkern nach und nach
wieder so weit zu sich selbst gekommen, daß von Berlin und Hamburg eine
Agitation in's Leben treten konnte, die den Zweck hatte, im Sinne der Inter¬
essen der kleinen selbständigen Gewerbetreibenden auf die Gesetzgebung einzu¬
wirken. Man stellte hie und da eigene Kandidaten für den Reichstag ans
und setzte ihre Wahl in ein paar Fällen auch durch. Von praktischem Erfolge
ist dies aber nicht gewesen, da man unterließ, vor allem etwas in's Leben zu
rufen, was der Gesetzgebung bedürfte. Die Freiheit dazu war hinlänglich
vorhanden.'!'^''!? ,'i>MM«j M sol .int!?!«« Ma LVoZmcks z»6 »N'-^'null

Der erste Schritt, zu wirklichen neuen gewerblichen Verbänden zu gelangen/
wurde endlich im vorigen Jahre von den Schuhmachern in Osnabrück gemacht.
Das Statut dieser neuen Innung wurde von dem dortigen Bürgermeister
Miquel entworfen und stellt in einigen zwanzig Paragraphen die Organisation
und den Zweck derselben fest. Auf dem Boden der Gewerbeordnung stehend,
will diese Innung die gemeinsamen gewerblichen Interessen der Mitglieder
fördern, ihre Vertretung nach außen übernehmen, Unterstützungskassen gründen,
das Verhältniß zwischen den Meistern und das zwischen dem Meister und den
Gesellen und Lehrlingen regeln und bessern und endlich eine tüchtigere Aus¬
bildung der Lehrlinge durch Beaufsichtigung derselben, Prüfung ihrer Arbeit und
Ausstellung von Lehrbriefen bewirken. Von der Gesetzgebung hofft man dann
noch, wie Miquel in einer Rede über die Innungen äußerte, das ganze Lehr¬
lingswesen in die Hand zu bekommen, so daß also nicht blos die bei Jnnungs-
mitgliedern, sondern auch die anderweitig ausgebildeten Lehrlinge von der
Innung geprüft werden und Lehrbriefe bekommen dürfen. Obgleich diese
Forderung aus dem Rahmen der jetzigen Gewerbeordnung heraustritt, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/498>, abgerufen am 01.10.2024.