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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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hatte. Der gefühllose Murawjew erwürgte den Aufstand. Die geistige Be¬
wegung geriet!) in's Stocken."

Aber umsomehr wurde wenige Jahre später die russische Jugend von dem
Gedanken der sozialistischen Internationale ergriffen, ganz besonders seit die
Pariser Kommune den Versuch gemacht hatte, die Theorie in die Praxis zu
übersetzen. "Der revolutionäre Gedanke wurde konkret, das revolutionäre Pro¬
gramm praktisch. Die Politik, die Kirche, die Sklaverei des Weibes, die Skla¬
verei des Kindes zu Hause und in der Schule, die Sklaverei in der Werkstatt
begann man zu betrachten nicht als Grund des Mangels an Zivilisation, son¬
dern mis Folgen der durch die Bourgeois-Zivilisation bestehenden Beziehungen
der Person zur Sache, als die Folgen der Einrichtung der privaten Selbstän¬
digkeit, aus welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen fließt.
Die wirthschaftliche Frage trat in den Vordergrund." Daher erstrebt die In¬
ternationale gleichzeitig die politische und die ökonomische Befreiung des Proleta¬
riats; sie sieht in der Durchführung derselben meinem Lande eine Förderung
des Interesses des allgemeinen Proletariats, sie will deshalb die Verbrüderung
der Arbeiter aller Länder, deren staatliche Organisation lediglich auf Eroberung
und Gewalt beruht. Sie will ferner die Produktion "organisiren" und ihre
Produkte durch eine gemeinsame Regierung zur Vertheilung bringen. "Damit
fällt die Politik, die Kirche und alle Sklaverei."... "Wer aber kann eine so
große Sache angreifen, wenn nicht die Arbeiter selbst? Der Gedanke an Volks¬
beglücker, an Diktatoren, an Komites, die die Bewegung von oben nach unten
vorschreiben, verschwindet zugleich mit dem alten Begriff von der Revolution
selber. Die Bewegung muß durch die Arbeitenden selbst sich vollziehen, muß
von unten nach oben, vom Besonderen zum Allgemeinen, von der Sektion zur
Konföderation fortschreiten, aus einer lokalen zur nationalen, aus einer natio¬
nalen zur weitumfassenden werden. Wie früher unter der traditionellen, jako¬
binischen, exklusiv nationalen, politischen Anschauung das Volk, die Arbeiter
nur zu gehorchen, nur den Willen der Führer auszuführen hatten, so wird
jetzt von ihnen Bewußtsein, Wille, Verständniß der Sache, Initiative verlangt.
In der Politik, im Staate vermischt, vernichtet die "Staatsfiktion" die Persön¬
lichkeit. Die Staatsraison verschlingt, wie der phönikische Moloch, die eigenen
Kinder, indem er ihnen die Persönlichkeit vernichtet. In der praktischen Orga¬
nisation, in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit wird jeder Arbeiter,
jedes Mitglied der Gesellschaft zur selbstbewußten Persönlichkeit; er ist nicht
der Organisation wegen da, sondern die Organisation seinetwegen. Für Pri¬
vilegien ist kein Platz, der menschliche Gedanke, Wissenschaft, Kunst, allseitige
Ausbildung wird zum Gemeingut."

Wir haben absichtlich diese Stelle wörtlich ausgehoben, um ein anthenti-


hatte. Der gefühllose Murawjew erwürgte den Aufstand. Die geistige Be¬
wegung geriet!) in's Stocken."

Aber umsomehr wurde wenige Jahre später die russische Jugend von dem
Gedanken der sozialistischen Internationale ergriffen, ganz besonders seit die
Pariser Kommune den Versuch gemacht hatte, die Theorie in die Praxis zu
übersetzen. „Der revolutionäre Gedanke wurde konkret, das revolutionäre Pro¬
gramm praktisch. Die Politik, die Kirche, die Sklaverei des Weibes, die Skla¬
verei des Kindes zu Hause und in der Schule, die Sklaverei in der Werkstatt
begann man zu betrachten nicht als Grund des Mangels an Zivilisation, son¬
dern mis Folgen der durch die Bourgeois-Zivilisation bestehenden Beziehungen
der Person zur Sache, als die Folgen der Einrichtung der privaten Selbstän¬
digkeit, aus welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen fließt.
Die wirthschaftliche Frage trat in den Vordergrund." Daher erstrebt die In¬
ternationale gleichzeitig die politische und die ökonomische Befreiung des Proleta¬
riats; sie sieht in der Durchführung derselben meinem Lande eine Förderung
des Interesses des allgemeinen Proletariats, sie will deshalb die Verbrüderung
der Arbeiter aller Länder, deren staatliche Organisation lediglich auf Eroberung
und Gewalt beruht. Sie will ferner die Produktion „organisiren" und ihre
Produkte durch eine gemeinsame Regierung zur Vertheilung bringen. „Damit
fällt die Politik, die Kirche und alle Sklaverei."... „Wer aber kann eine so
große Sache angreifen, wenn nicht die Arbeiter selbst? Der Gedanke an Volks¬
beglücker, an Diktatoren, an Komites, die die Bewegung von oben nach unten
vorschreiben, verschwindet zugleich mit dem alten Begriff von der Revolution
selber. Die Bewegung muß durch die Arbeitenden selbst sich vollziehen, muß
von unten nach oben, vom Besonderen zum Allgemeinen, von der Sektion zur
Konföderation fortschreiten, aus einer lokalen zur nationalen, aus einer natio¬
nalen zur weitumfassenden werden. Wie früher unter der traditionellen, jako¬
binischen, exklusiv nationalen, politischen Anschauung das Volk, die Arbeiter
nur zu gehorchen, nur den Willen der Führer auszuführen hatten, so wird
jetzt von ihnen Bewußtsein, Wille, Verständniß der Sache, Initiative verlangt.
In der Politik, im Staate vermischt, vernichtet die „Staatsfiktion" die Persön¬
lichkeit. Die Staatsraison verschlingt, wie der phönikische Moloch, die eigenen
Kinder, indem er ihnen die Persönlichkeit vernichtet. In der praktischen Orga¬
nisation, in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit wird jeder Arbeiter,
jedes Mitglied der Gesellschaft zur selbstbewußten Persönlichkeit; er ist nicht
der Organisation wegen da, sondern die Organisation seinetwegen. Für Pri¬
vilegien ist kein Platz, der menschliche Gedanke, Wissenschaft, Kunst, allseitige
Ausbildung wird zum Gemeingut."

Wir haben absichtlich diese Stelle wörtlich ausgehoben, um ein anthenti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/490>, abgerufen am 23.07.2024.