Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

seinen Vorgesetzten, und die Folge war, daß er angewiesen wurde, jene Ort¬
schaften zu verschonen, und daß die armen Bedrohten der Gefahr, ausgerottet
zu werden, entgingen.

Wir haben gesehen, wie die Bulgaren nur durch das Wort, nicht durch
die Waffen sich ihrer griechischen Bedrücker entledigten und eine unabhängige
Kirche, sowie eine nationale Schule erlangten. Wir müssen hinzufügen, daß
überall ein stetiger Fortschritt und leidliche Zufriedenheit mit ihrer Lage zu finden
waren. Aber auch darüber kann kein Zweifel sein, daß noch heute die Er¬
innerung unter ihnen fortlebt, sich einst unter einem empörenden Drucke in
einem Zustande befunden zu haben, der an Sklaverei grenzte. Auch in den
letzten Jahren war sehr Vieles nicht so, wie es sein sollte, haftete an ihnen noch
viel Helotenthum, und waren sie von allerlei Unbill und Ungerechtigkeit be¬
droht. Aber was sie da noch Hartes zu erdulden hatten, war nicht Ausfluß
der Gesetze und weniger Mißhandlung von Seiten der Regierenden als Folge
des'Uebermuths von mohammedanischen Unterthanen, die ihre Nachbarn waren
und sich gewöhnt hatten, zu sehen, daß man die bulgarischen Christen ungestraft
mit Verachtung behandeln durfte, als ob sie geborene Knechte und Lumpe wären.

Was dieses arme Volk einst litt, mag ein Beispiel zeigen, das bei Baker
(S. 57 ff.) zu finden ist. Der Bezirk Dschuma am oberen Strymon umfaßt
27 bulgarische und 5 mohammedanische Dörfer, die meisten derselben sind
Eigenthum der türkischen Begs und Agas im Orte, das Land wird von den
Bulgaren in der Eigenschaft von Rajah oder Tagelöhnern bebaut. Der Be¬
zirk wird von einem Mudir und einem Medschlis oder Richterkollegium regiert,
die in der Stadt Dschuma ihren Sitz haben. Im Medschlis saßen 1859 mit
Ausnahme eines einzigen Bulgaren, der aber niemals seine Stimme geltend
zu machen wagte, lauter Leute, die zu jenen großen türkischen Landeigenthümern
gehörten, und die deshalb bei den meisten Fragen, die vor ihr Kollegium ge¬
bracht wurden, als Richter in eigener Sache entschieden. Die Nachbarschaft
von Dschuma ist gebirgig und wurde damals von Räuberbanden unsicher ge¬
macht, die aus Türken, Albanesen und christlichen Bulgaren bestanden. Von
den Begs, die zum Medschlis gehörten, behauptete man, sie seien stets bereit,
diesen Raubgesellen bei sich eine Zufluchtsstätte zu gewähren, und erhielten
dafür Antheil an deren Beute. Wie es in Folge dessen mit der Rechtspflege
beschaffen war, die den Bulgaren in dieser Gegend zu Theil wurde, kann man
sich unschwer vorstellen. Nach dem Metajer-System, welches dort üblich war,
empfängt der Grundeigenthümer die Hälfte der Ernte als Bodenrenke, und
er darf sie in Natura einziehen. Bei Dschuma stellten die Begs und Agas
Räuber zu diesem Zwecke an, und diese nahmen der Rajah nicht blos das
weg, was jenen gebührte, sondern auch noch vieles Andere, theils für ihre


seinen Vorgesetzten, und die Folge war, daß er angewiesen wurde, jene Ort¬
schaften zu verschonen, und daß die armen Bedrohten der Gefahr, ausgerottet
zu werden, entgingen.

Wir haben gesehen, wie die Bulgaren nur durch das Wort, nicht durch
die Waffen sich ihrer griechischen Bedrücker entledigten und eine unabhängige
Kirche, sowie eine nationale Schule erlangten. Wir müssen hinzufügen, daß
überall ein stetiger Fortschritt und leidliche Zufriedenheit mit ihrer Lage zu finden
waren. Aber auch darüber kann kein Zweifel sein, daß noch heute die Er¬
innerung unter ihnen fortlebt, sich einst unter einem empörenden Drucke in
einem Zustande befunden zu haben, der an Sklaverei grenzte. Auch in den
letzten Jahren war sehr Vieles nicht so, wie es sein sollte, haftete an ihnen noch
viel Helotenthum, und waren sie von allerlei Unbill und Ungerechtigkeit be¬
droht. Aber was sie da noch Hartes zu erdulden hatten, war nicht Ausfluß
der Gesetze und weniger Mißhandlung von Seiten der Regierenden als Folge
des'Uebermuths von mohammedanischen Unterthanen, die ihre Nachbarn waren
und sich gewöhnt hatten, zu sehen, daß man die bulgarischen Christen ungestraft
mit Verachtung behandeln durfte, als ob sie geborene Knechte und Lumpe wären.

Was dieses arme Volk einst litt, mag ein Beispiel zeigen, das bei Baker
(S. 57 ff.) zu finden ist. Der Bezirk Dschuma am oberen Strymon umfaßt
27 bulgarische und 5 mohammedanische Dörfer, die meisten derselben sind
Eigenthum der türkischen Begs und Agas im Orte, das Land wird von den
Bulgaren in der Eigenschaft von Rajah oder Tagelöhnern bebaut. Der Be¬
zirk wird von einem Mudir und einem Medschlis oder Richterkollegium regiert,
die in der Stadt Dschuma ihren Sitz haben. Im Medschlis saßen 1859 mit
Ausnahme eines einzigen Bulgaren, der aber niemals seine Stimme geltend
zu machen wagte, lauter Leute, die zu jenen großen türkischen Landeigenthümern
gehörten, und die deshalb bei den meisten Fragen, die vor ihr Kollegium ge¬
bracht wurden, als Richter in eigener Sache entschieden. Die Nachbarschaft
von Dschuma ist gebirgig und wurde damals von Räuberbanden unsicher ge¬
macht, die aus Türken, Albanesen und christlichen Bulgaren bestanden. Von
den Begs, die zum Medschlis gehörten, behauptete man, sie seien stets bereit,
diesen Raubgesellen bei sich eine Zufluchtsstätte zu gewähren, und erhielten
dafür Antheil an deren Beute. Wie es in Folge dessen mit der Rechtspflege
beschaffen war, die den Bulgaren in dieser Gegend zu Theil wurde, kann man
sich unschwer vorstellen. Nach dem Metajer-System, welches dort üblich war,
empfängt der Grundeigenthümer die Hälfte der Ernte als Bodenrenke, und
er darf sie in Natura einziehen. Bei Dschuma stellten die Begs und Agas
Räuber zu diesem Zwecke an, und diese nahmen der Rajah nicht blos das
weg, was jenen gebührte, sondern auch noch vieles Andere, theils für ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141883"/>
          <p xml:id="ID_1380" prev="#ID_1379"> seinen Vorgesetzten, und die Folge war, daß er angewiesen wurde, jene Ort¬<lb/>
schaften zu verschonen, und daß die armen Bedrohten der Gefahr, ausgerottet<lb/>
zu werden, entgingen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1381"> Wir haben gesehen, wie die Bulgaren nur durch das Wort, nicht durch<lb/>
die Waffen sich ihrer griechischen Bedrücker entledigten und eine unabhängige<lb/>
Kirche, sowie eine nationale Schule erlangten. Wir müssen hinzufügen, daß<lb/>
überall ein stetiger Fortschritt und leidliche Zufriedenheit mit ihrer Lage zu finden<lb/>
waren. Aber auch darüber kann kein Zweifel sein, daß noch heute die Er¬<lb/>
innerung unter ihnen fortlebt, sich einst unter einem empörenden Drucke in<lb/>
einem Zustande befunden zu haben, der an Sklaverei grenzte. Auch in den<lb/>
letzten Jahren war sehr Vieles nicht so, wie es sein sollte, haftete an ihnen noch<lb/>
viel Helotenthum, und waren sie von allerlei Unbill und Ungerechtigkeit be¬<lb/>
droht. Aber was sie da noch Hartes zu erdulden hatten, war nicht Ausfluß<lb/>
der Gesetze und weniger Mißhandlung von Seiten der Regierenden als Folge<lb/>
des'Uebermuths von mohammedanischen Unterthanen, die ihre Nachbarn waren<lb/>
und sich gewöhnt hatten, zu sehen, daß man die bulgarischen Christen ungestraft<lb/>
mit Verachtung behandeln durfte, als ob sie geborene Knechte und Lumpe wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1382" next="#ID_1383"> Was dieses arme Volk einst litt, mag ein Beispiel zeigen, das bei Baker<lb/>
(S. 57 ff.) zu finden ist. Der Bezirk Dschuma am oberen Strymon umfaßt<lb/>
27 bulgarische und 5 mohammedanische Dörfer, die meisten derselben sind<lb/>
Eigenthum der türkischen Begs und Agas im Orte, das Land wird von den<lb/>
Bulgaren in der Eigenschaft von Rajah oder Tagelöhnern bebaut. Der Be¬<lb/>
zirk wird von einem Mudir und einem Medschlis oder Richterkollegium regiert,<lb/>
die in der Stadt Dschuma ihren Sitz haben. Im Medschlis saßen 1859 mit<lb/>
Ausnahme eines einzigen Bulgaren, der aber niemals seine Stimme geltend<lb/>
zu machen wagte, lauter Leute, die zu jenen großen türkischen Landeigenthümern<lb/>
gehörten, und die deshalb bei den meisten Fragen, die vor ihr Kollegium ge¬<lb/>
bracht wurden, als Richter in eigener Sache entschieden. Die Nachbarschaft<lb/>
von Dschuma ist gebirgig und wurde damals von Räuberbanden unsicher ge¬<lb/>
macht, die aus Türken, Albanesen und christlichen Bulgaren bestanden. Von<lb/>
den Begs, die zum Medschlis gehörten, behauptete man, sie seien stets bereit,<lb/>
diesen Raubgesellen bei sich eine Zufluchtsstätte zu gewähren, und erhielten<lb/>
dafür Antheil an deren Beute. Wie es in Folge dessen mit der Rechtspflege<lb/>
beschaffen war, die den Bulgaren in dieser Gegend zu Theil wurde, kann man<lb/>
sich unschwer vorstellen. Nach dem Metajer-System, welches dort üblich war,<lb/>
empfängt der Grundeigenthümer die Hälfte der Ernte als Bodenrenke, und<lb/>
er darf sie in Natura einziehen. Bei Dschuma stellten die Begs und Agas<lb/>
Räuber zu diesem Zwecke an, und diese nahmen der Rajah nicht blos das<lb/>
weg, was jenen gebührte, sondern auch noch vieles Andere, theils für ihre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] seinen Vorgesetzten, und die Folge war, daß er angewiesen wurde, jene Ort¬ schaften zu verschonen, und daß die armen Bedrohten der Gefahr, ausgerottet zu werden, entgingen. Wir haben gesehen, wie die Bulgaren nur durch das Wort, nicht durch die Waffen sich ihrer griechischen Bedrücker entledigten und eine unabhängige Kirche, sowie eine nationale Schule erlangten. Wir müssen hinzufügen, daß überall ein stetiger Fortschritt und leidliche Zufriedenheit mit ihrer Lage zu finden waren. Aber auch darüber kann kein Zweifel sein, daß noch heute die Er¬ innerung unter ihnen fortlebt, sich einst unter einem empörenden Drucke in einem Zustande befunden zu haben, der an Sklaverei grenzte. Auch in den letzten Jahren war sehr Vieles nicht so, wie es sein sollte, haftete an ihnen noch viel Helotenthum, und waren sie von allerlei Unbill und Ungerechtigkeit be¬ droht. Aber was sie da noch Hartes zu erdulden hatten, war nicht Ausfluß der Gesetze und weniger Mißhandlung von Seiten der Regierenden als Folge des'Uebermuths von mohammedanischen Unterthanen, die ihre Nachbarn waren und sich gewöhnt hatten, zu sehen, daß man die bulgarischen Christen ungestraft mit Verachtung behandeln durfte, als ob sie geborene Knechte und Lumpe wären. Was dieses arme Volk einst litt, mag ein Beispiel zeigen, das bei Baker (S. 57 ff.) zu finden ist. Der Bezirk Dschuma am oberen Strymon umfaßt 27 bulgarische und 5 mohammedanische Dörfer, die meisten derselben sind Eigenthum der türkischen Begs und Agas im Orte, das Land wird von den Bulgaren in der Eigenschaft von Rajah oder Tagelöhnern bebaut. Der Be¬ zirk wird von einem Mudir und einem Medschlis oder Richterkollegium regiert, die in der Stadt Dschuma ihren Sitz haben. Im Medschlis saßen 1859 mit Ausnahme eines einzigen Bulgaren, der aber niemals seine Stimme geltend zu machen wagte, lauter Leute, die zu jenen großen türkischen Landeigenthümern gehörten, und die deshalb bei den meisten Fragen, die vor ihr Kollegium ge¬ bracht wurden, als Richter in eigener Sache entschieden. Die Nachbarschaft von Dschuma ist gebirgig und wurde damals von Räuberbanden unsicher ge¬ macht, die aus Türken, Albanesen und christlichen Bulgaren bestanden. Von den Begs, die zum Medschlis gehörten, behauptete man, sie seien stets bereit, diesen Raubgesellen bei sich eine Zufluchtsstätte zu gewähren, und erhielten dafür Antheil an deren Beute. Wie es in Folge dessen mit der Rechtspflege beschaffen war, die den Bulgaren in dieser Gegend zu Theil wurde, kann man sich unschwer vorstellen. Nach dem Metajer-System, welches dort üblich war, empfängt der Grundeigenthümer die Hälfte der Ernte als Bodenrenke, und er darf sie in Natura einziehen. Bei Dschuma stellten die Begs und Agas Räuber zu diesem Zwecke an, und diese nahmen der Rajah nicht blos das weg, was jenen gebührte, sondern auch noch vieles Andere, theils für ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/472>, abgerufen am 26.08.2024.