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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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nach vieler Mühe waren einige junge Taugenichtse, die beim Weine revolutio¬
näre Toaste ziemlich pathetischer, aber harmloser Art ausbrachten.

Achtzehn Monate später war es auf bulgarischer Seite im Wesentlichen,
wie bemerkt, ebenso. Aber die Zustände waren andere, und die Stimmung der
Türken war eine zu verzweifelten Thaten fähige. Acht Jahre vorher hatte
im übrigen Lande Friede geherrscht, und Midhat Pascha, ein verständiger und
maßvoller Mann, war Gouverneur von Bulgarien gewesen. Jetzt tobte in
Bosnien und der Herzegowina ein Bürgerkrieg, der den religiösen Fanatismus
der Türken in allen Provinzen gereizt hatte, Serbien stand auf dem Punkte,
der Pforte den Krieg zu erklären, eine finanzielle Katastrophe wollte ausbre¬
chen, die ganze Maschinerie der Regierung war in Verwirrung, bei den Truppen,
der Polizei, den wilden Tscherkessen in Bulgarien befand sich kein Midhat. In
diesem Augenblicke legten die fremden Wühler ihre Lunte an die Mine, die sie
gegraben, und obwohl die Explosion an sich wenig bedeutete, obwohl nur wenige
Bulgaren sich den Banden von Uebelthätern, welche sie ausspie, anschlössen
oder auch nur geneigt zeigten, wirkte die Sache doch ganz wie eine große Ge¬
fahr auf die Türken. Eine Panik brach unter ihnen aus, Verzweifelung er¬
griff sie, und in diesem Zustande halb wahnsinnigen Schreckens ließen sie sich,
ihrer Meinung nach von allen Seiten mit Vernichtung bedroht, zu jenen grä߬
lichen Schlächtereien und Mordbrennereien hinreißen, die mit Wissen und zu¬
weilen sogar ans Befehl der Behörden ausgeführt wurden.

So die Darstellung Baker's, der diese entsetzlichen Szenen keineswegs
rechtfertigen will, und wir können uns ihm hierin im Großen und Ganzen
anschließen, indem wir seinem Berichte keine Entschuldigung, wohl aber eine
Erklärung dieser bluttriefenden Ereignisse entnehmen.

Wo die Türken sich Zeit zur Ueberlegung nahmen, hatte die Panik keine
so traurigen Folgen. Baker erzählt z. B.: Einer der zur Ausführung der
beschlossenen Maßregeln bestimmten Paschas erhielt von seinem Vorgesetzten die
telegraphische Weisung, elf mit Namen genannte Dörfer zu zerstören, die als
Mistbeete des Aufstandes bezeichnet waren. Der Pascha war im Begriffe,
diesen Befehl zur Ausführung zu bringen, als einige einflußreiche Bulgaren
und Türken ihm ihre Aufwartung machten und ihren Schauder über die be¬
absichtigte Grausamkeit aussprachen, indem sie versicherten, daß sie diese Dörfer
ganz genau kannten und wüßten, daß die Bewohner derselben betriebsame,
friedfertige und harmlose Leute seien, die an nichts weniger als an eine Re¬
bellion dächten. Sie baten den Pascha, sie nach diesen Ortschaften zu begleiten
und sich selbst zu überzeugen, daß ihre Angaben der Wahrheit gemäß seien.
Er that es auf der Stelle und fand, wie natürlich, daß ihre Behauptungen
vollkommen richtig waren. Darauf telegraphirte er seine Beobachtungen an


nach vieler Mühe waren einige junge Taugenichtse, die beim Weine revolutio¬
näre Toaste ziemlich pathetischer, aber harmloser Art ausbrachten.

Achtzehn Monate später war es auf bulgarischer Seite im Wesentlichen,
wie bemerkt, ebenso. Aber die Zustände waren andere, und die Stimmung der
Türken war eine zu verzweifelten Thaten fähige. Acht Jahre vorher hatte
im übrigen Lande Friede geherrscht, und Midhat Pascha, ein verständiger und
maßvoller Mann, war Gouverneur von Bulgarien gewesen. Jetzt tobte in
Bosnien und der Herzegowina ein Bürgerkrieg, der den religiösen Fanatismus
der Türken in allen Provinzen gereizt hatte, Serbien stand auf dem Punkte,
der Pforte den Krieg zu erklären, eine finanzielle Katastrophe wollte ausbre¬
chen, die ganze Maschinerie der Regierung war in Verwirrung, bei den Truppen,
der Polizei, den wilden Tscherkessen in Bulgarien befand sich kein Midhat. In
diesem Augenblicke legten die fremden Wühler ihre Lunte an die Mine, die sie
gegraben, und obwohl die Explosion an sich wenig bedeutete, obwohl nur wenige
Bulgaren sich den Banden von Uebelthätern, welche sie ausspie, anschlössen
oder auch nur geneigt zeigten, wirkte die Sache doch ganz wie eine große Ge¬
fahr auf die Türken. Eine Panik brach unter ihnen aus, Verzweifelung er¬
griff sie, und in diesem Zustande halb wahnsinnigen Schreckens ließen sie sich,
ihrer Meinung nach von allen Seiten mit Vernichtung bedroht, zu jenen grä߬
lichen Schlächtereien und Mordbrennereien hinreißen, die mit Wissen und zu¬
weilen sogar ans Befehl der Behörden ausgeführt wurden.

So die Darstellung Baker's, der diese entsetzlichen Szenen keineswegs
rechtfertigen will, und wir können uns ihm hierin im Großen und Ganzen
anschließen, indem wir seinem Berichte keine Entschuldigung, wohl aber eine
Erklärung dieser bluttriefenden Ereignisse entnehmen.

Wo die Türken sich Zeit zur Ueberlegung nahmen, hatte die Panik keine
so traurigen Folgen. Baker erzählt z. B.: Einer der zur Ausführung der
beschlossenen Maßregeln bestimmten Paschas erhielt von seinem Vorgesetzten die
telegraphische Weisung, elf mit Namen genannte Dörfer zu zerstören, die als
Mistbeete des Aufstandes bezeichnet waren. Der Pascha war im Begriffe,
diesen Befehl zur Ausführung zu bringen, als einige einflußreiche Bulgaren
und Türken ihm ihre Aufwartung machten und ihren Schauder über die be¬
absichtigte Grausamkeit aussprachen, indem sie versicherten, daß sie diese Dörfer
ganz genau kannten und wüßten, daß die Bewohner derselben betriebsame,
friedfertige und harmlose Leute seien, die an nichts weniger als an eine Re¬
bellion dächten. Sie baten den Pascha, sie nach diesen Ortschaften zu begleiten
und sich selbst zu überzeugen, daß ihre Angaben der Wahrheit gemäß seien.
Er that es auf der Stelle und fand, wie natürlich, daß ihre Behauptungen
vollkommen richtig waren. Darauf telegraphirte er seine Beobachtungen an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/471>, abgerufen am 26.08.2024.