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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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offizielle Bestätigung dieser Thatsache erforderlich, und die Bulgaren wußten
sich dieselben, von den Gesandten der Westmächte unterstützt, zu verschaffen.
Durch den Fernau vom 27. Februar 1870 lebte die bulgarische National¬
kirche nach mehr als hundertjährigem Todesschlafe wieder auf. Der dem
Range nach älteste ihrer Metropolitanbischöfe trat unter dem Titel eines
Exarchen an ihre Spitze und übernahm den dauernden Vorsitz in der bulga¬
rischen Synode. Derselbe war thatsächlich unabhängig vom griechischen Patri¬
archen und hing mit diesem nur durch wenig bedeutende Dinge, z. B. durch
Beziehung des heiligen Oeles von ihm, noch zusammen. Dem bulgarischen
Volke der verschiedenen Distrikte war es freigestellt, sich der neuen Organisation
anzuschließen. Zwei Drittel der berechtigten Stimmen sollten in jedem einzelnen
Bezirke dazu ausreichen. In Macedonien, wo das griechische Element vor¬
herrscht, und viele Bulgaren nur zu Hause ihre angestammte Sprache, sonst
aber griechisch sprechen, machte man hiervon weniger Gebrauch als in Thracien
und Rumelien, wo die Bevölkerung fast ausnahmslos den Fernau mit Jubel
begrüßte und dafür dankbar war. Daß der Patriarch sie dafür exkommuni-
zirte, sonst sie nicht an, und Versuche der griechischen Bischöfe, sich ferner in
die bulgarischen Angelegenheiten einzumischen, wurden nicht geduldet und hie
und da mit Gewalt vereitelt.

Den Russen verdankte die bulgarische Bewegung keine Förderung, obwohl
Umtriebe zur Aufstachelung des Volkes gegen die Türkenherrschaft von jener
Seite her nicht aufhörten. Der Friede von Bukarest verschaffte Rußland Ge¬
legenheit dazu, indem es durch denselben das Protektorat über die griechische
Kirche in gewissen Strichen der Türkei erlangte, und da die Bulgaren hier
die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, gewann es damit eine vorzügliche
Operationsbasis. Jenes Recht wurde im Vertrage von Akjerman -1826 be¬
stätigt, und durch die Ereignisse von 1828 mußten die Bulgaren auf die
Russen als Beschützer und Freiheitsbringer hingewiesen werden. Sie wendeten
ihnen während des Krieges von 1829 ihre Sympathieen zu, hatten dies aber
zu bereuen, als jene wieder abzogen. Indeß wuchs die Hinneigung zu den
nordischen Verwandten wieder, und während des Krimkrieges sahen die
Balkanslaven dem Ausgange der Dinge gewiß nicht mit frommen Wünschen
für die osmanischen Waffen entgegen. In dem letzten Vierteljahrhundert aber
ging es bei der zunehmenden Bildung unter ihnen mit der Neigung zu Ru߬
land merklich bergab. Man nahm an, daß es nicht blos ein Feind des
Sultans, sondern auch der bulgarischen Nationalität sei, und daß es keine viel
besseren Zustände als die, unter welchen man lebte, und am wenigsten die
Freiheit bringen werde, der man nachstrebte. Die Zahl derer, die das nicht
begriffen, war nicht groß; denn man hatte thatsächliche Beweise für die


Grenzboten I. 1879. 69

offizielle Bestätigung dieser Thatsache erforderlich, und die Bulgaren wußten
sich dieselben, von den Gesandten der Westmächte unterstützt, zu verschaffen.
Durch den Fernau vom 27. Februar 1870 lebte die bulgarische National¬
kirche nach mehr als hundertjährigem Todesschlafe wieder auf. Der dem
Range nach älteste ihrer Metropolitanbischöfe trat unter dem Titel eines
Exarchen an ihre Spitze und übernahm den dauernden Vorsitz in der bulga¬
rischen Synode. Derselbe war thatsächlich unabhängig vom griechischen Patri¬
archen und hing mit diesem nur durch wenig bedeutende Dinge, z. B. durch
Beziehung des heiligen Oeles von ihm, noch zusammen. Dem bulgarischen
Volke der verschiedenen Distrikte war es freigestellt, sich der neuen Organisation
anzuschließen. Zwei Drittel der berechtigten Stimmen sollten in jedem einzelnen
Bezirke dazu ausreichen. In Macedonien, wo das griechische Element vor¬
herrscht, und viele Bulgaren nur zu Hause ihre angestammte Sprache, sonst
aber griechisch sprechen, machte man hiervon weniger Gebrauch als in Thracien
und Rumelien, wo die Bevölkerung fast ausnahmslos den Fernau mit Jubel
begrüßte und dafür dankbar war. Daß der Patriarch sie dafür exkommuni-
zirte, sonst sie nicht an, und Versuche der griechischen Bischöfe, sich ferner in
die bulgarischen Angelegenheiten einzumischen, wurden nicht geduldet und hie
und da mit Gewalt vereitelt.

Den Russen verdankte die bulgarische Bewegung keine Förderung, obwohl
Umtriebe zur Aufstachelung des Volkes gegen die Türkenherrschaft von jener
Seite her nicht aufhörten. Der Friede von Bukarest verschaffte Rußland Ge¬
legenheit dazu, indem es durch denselben das Protektorat über die griechische
Kirche in gewissen Strichen der Türkei erlangte, und da die Bulgaren hier
die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, gewann es damit eine vorzügliche
Operationsbasis. Jenes Recht wurde im Vertrage von Akjerman -1826 be¬
stätigt, und durch die Ereignisse von 1828 mußten die Bulgaren auf die
Russen als Beschützer und Freiheitsbringer hingewiesen werden. Sie wendeten
ihnen während des Krieges von 1829 ihre Sympathieen zu, hatten dies aber
zu bereuen, als jene wieder abzogen. Indeß wuchs die Hinneigung zu den
nordischen Verwandten wieder, und während des Krimkrieges sahen die
Balkanslaven dem Ausgange der Dinge gewiß nicht mit frommen Wünschen
für die osmanischen Waffen entgegen. In dem letzten Vierteljahrhundert aber
ging es bei der zunehmenden Bildung unter ihnen mit der Neigung zu Ru߬
land merklich bergab. Man nahm an, daß es nicht blos ein Feind des
Sultans, sondern auch der bulgarischen Nationalität sei, und daß es keine viel
besseren Zustände als die, unter welchen man lebte, und am wenigsten die
Freiheit bringen werde, der man nachstrebte. Die Zahl derer, die das nicht
begriffen, war nicht groß; denn man hatte thatsächliche Beweise für die


Grenzboten I. 1879. 69
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[0469] offizielle Bestätigung dieser Thatsache erforderlich, und die Bulgaren wußten sich dieselben, von den Gesandten der Westmächte unterstützt, zu verschaffen. Durch den Fernau vom 27. Februar 1870 lebte die bulgarische National¬ kirche nach mehr als hundertjährigem Todesschlafe wieder auf. Der dem Range nach älteste ihrer Metropolitanbischöfe trat unter dem Titel eines Exarchen an ihre Spitze und übernahm den dauernden Vorsitz in der bulga¬ rischen Synode. Derselbe war thatsächlich unabhängig vom griechischen Patri¬ archen und hing mit diesem nur durch wenig bedeutende Dinge, z. B. durch Beziehung des heiligen Oeles von ihm, noch zusammen. Dem bulgarischen Volke der verschiedenen Distrikte war es freigestellt, sich der neuen Organisation anzuschließen. Zwei Drittel der berechtigten Stimmen sollten in jedem einzelnen Bezirke dazu ausreichen. In Macedonien, wo das griechische Element vor¬ herrscht, und viele Bulgaren nur zu Hause ihre angestammte Sprache, sonst aber griechisch sprechen, machte man hiervon weniger Gebrauch als in Thracien und Rumelien, wo die Bevölkerung fast ausnahmslos den Fernau mit Jubel begrüßte und dafür dankbar war. Daß der Patriarch sie dafür exkommuni- zirte, sonst sie nicht an, und Versuche der griechischen Bischöfe, sich ferner in die bulgarischen Angelegenheiten einzumischen, wurden nicht geduldet und hie und da mit Gewalt vereitelt. Den Russen verdankte die bulgarische Bewegung keine Förderung, obwohl Umtriebe zur Aufstachelung des Volkes gegen die Türkenherrschaft von jener Seite her nicht aufhörten. Der Friede von Bukarest verschaffte Rußland Ge¬ legenheit dazu, indem es durch denselben das Protektorat über die griechische Kirche in gewissen Strichen der Türkei erlangte, und da die Bulgaren hier die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, gewann es damit eine vorzügliche Operationsbasis. Jenes Recht wurde im Vertrage von Akjerman -1826 be¬ stätigt, und durch die Ereignisse von 1828 mußten die Bulgaren auf die Russen als Beschützer und Freiheitsbringer hingewiesen werden. Sie wendeten ihnen während des Krieges von 1829 ihre Sympathieen zu, hatten dies aber zu bereuen, als jene wieder abzogen. Indeß wuchs die Hinneigung zu den nordischen Verwandten wieder, und während des Krimkrieges sahen die Balkanslaven dem Ausgange der Dinge gewiß nicht mit frommen Wünschen für die osmanischen Waffen entgegen. In dem letzten Vierteljahrhundert aber ging es bei der zunehmenden Bildung unter ihnen mit der Neigung zu Ru߬ land merklich bergab. Man nahm an, daß es nicht blos ein Feind des Sultans, sondern auch der bulgarischen Nationalität sei, und daß es keine viel besseren Zustände als die, unter welchen man lebte, und am wenigsten die Freiheit bringen werde, der man nachstrebte. Die Zahl derer, die das nicht begriffen, war nicht groß; denn man hatte thatsächliche Beweise für die Grenzboten I. 1879. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/469>, abgerufen am 26.08.2024.