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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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eingeleitet und Lehrer aus Oesterreich und Rußland berufen. Der Patriarch
that, was er vermochte, die Bewegung zu unterdrücken, aber die von den Bul¬
garen zusammengebrachten Mittel lähmten den Widerstand der von ihm auf¬
gestachelter osmanischen Behörden. Man erhielt die Erlaubniß, in den größeren
Ortschaften bulgarische Schulen neben den griechischen zu errichten, und im
Jahre 1850 wurde zu Philippopel die erste Zentralschule eröffnet.

Von da an lebte die nationale Erziehung allmählich im ganzen Lande
wieder auf. Bis zum Krimkriege hatte sie noch mit Schwierigkeiten zu
kämpfen, dann aber breitete sie sich energisch aus, namentlich in der leitenden
Provinz von Philippopel, wo 390000 christliche Bulgaren 240 000 Türken und
mohammedanischen Bulgaren, 10000 Albanesen, Griechen und Walachen und
circa 24000 Armeniern, Zigeunern und Juden gegenüberstehen. Vor 1850
galten Lesen und Schreiben hier als seltene Geschicklichkeiten, und die bulgarische
Sprache wurde kaum in einem halben Dutzend Schulen gebraucht. 1858 da-
gegen gab es hier bereits 5 Zentral-, 8 Vorbereitungs- und 90 Elementar¬
schulen für Knaben, nebst 7 Mädchenschulen, und 1870 hatte man ein Gym¬
nasium, 6 Zentral-, 25 Vorbereitungsschulen, 281 Elementarunterrichts-Anstalten
und 24 Mädchenschulen. Die Zahl der Schüler belief sich auf 16 500, die der
Lehrer und Lehrerinnen auf 385. Noch rascher war der Fortschritt bis zum
Ausbrüche des serbischen Krieges und der sogenannten bulgarischen Revo¬
lution von 1876.

Der Gang des Unterrichtes in diesen Bildungsanstalten vervollkommnete
sich von Jahr zu Jahr, namentlich als in Philippopel ein Lehrerseminar er¬
richtet worden war. In den Zentralschulen umfaßt der Kursus fünf Jahre,
und die Lehrgegenstände sind bulgarische, griechische, türkische und französische
Sprache, praktische Arithmetik, Elementarmathematik, Geographie, bulgarische
und türkische Geschichte, Glaubens- und Sittenlehre, endlich kirchliche Musik.
In dem Gymnasium, das 1867 zu Philippopel gegründet wurde, kommen
hierzu noch theoretische und praktische Philosophie, Physik und Chemie. In
den Vorbereitungsschulen erstreckt sich der Kursus über vier Jahre. In den
Mädchenschulen wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Nähen gelehrt, und Kinder
der ärmeren Klasse treten mit fünf Jahren ein und lernen bis zum zwölften
Jahre, während die der Wohlhabenden gewöhnlich bis zum vierzehnten Jahre
bleiben. Die Lehrer beziehen einen Gehalt von 1400 bis 2800 Mark. Baker
besuchte die Schulen in Eski Zagra, die mehr als 800 Kinder unterrichten,
und fand sie vortrefflich geleitet. Die Gebände waren geräumig, reinlich und gut
gelüftet, die Lernenden heiter, wohlerzogen und von gutem Fassungsvermögen.
Er lernte einen Lehrer in Trojan kennen und war überrascht von seiner In-


eingeleitet und Lehrer aus Oesterreich und Rußland berufen. Der Patriarch
that, was er vermochte, die Bewegung zu unterdrücken, aber die von den Bul¬
garen zusammengebrachten Mittel lähmten den Widerstand der von ihm auf¬
gestachelter osmanischen Behörden. Man erhielt die Erlaubniß, in den größeren
Ortschaften bulgarische Schulen neben den griechischen zu errichten, und im
Jahre 1850 wurde zu Philippopel die erste Zentralschule eröffnet.

Von da an lebte die nationale Erziehung allmählich im ganzen Lande
wieder auf. Bis zum Krimkriege hatte sie noch mit Schwierigkeiten zu
kämpfen, dann aber breitete sie sich energisch aus, namentlich in der leitenden
Provinz von Philippopel, wo 390000 christliche Bulgaren 240 000 Türken und
mohammedanischen Bulgaren, 10000 Albanesen, Griechen und Walachen und
circa 24000 Armeniern, Zigeunern und Juden gegenüberstehen. Vor 1850
galten Lesen und Schreiben hier als seltene Geschicklichkeiten, und die bulgarische
Sprache wurde kaum in einem halben Dutzend Schulen gebraucht. 1858 da-
gegen gab es hier bereits 5 Zentral-, 8 Vorbereitungs- und 90 Elementar¬
schulen für Knaben, nebst 7 Mädchenschulen, und 1870 hatte man ein Gym¬
nasium, 6 Zentral-, 25 Vorbereitungsschulen, 281 Elementarunterrichts-Anstalten
und 24 Mädchenschulen. Die Zahl der Schüler belief sich auf 16 500, die der
Lehrer und Lehrerinnen auf 385. Noch rascher war der Fortschritt bis zum
Ausbrüche des serbischen Krieges und der sogenannten bulgarischen Revo¬
lution von 1876.

Der Gang des Unterrichtes in diesen Bildungsanstalten vervollkommnete
sich von Jahr zu Jahr, namentlich als in Philippopel ein Lehrerseminar er¬
richtet worden war. In den Zentralschulen umfaßt der Kursus fünf Jahre,
und die Lehrgegenstände sind bulgarische, griechische, türkische und französische
Sprache, praktische Arithmetik, Elementarmathematik, Geographie, bulgarische
und türkische Geschichte, Glaubens- und Sittenlehre, endlich kirchliche Musik.
In dem Gymnasium, das 1867 zu Philippopel gegründet wurde, kommen
hierzu noch theoretische und praktische Philosophie, Physik und Chemie. In
den Vorbereitungsschulen erstreckt sich der Kursus über vier Jahre. In den
Mädchenschulen wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Nähen gelehrt, und Kinder
der ärmeren Klasse treten mit fünf Jahren ein und lernen bis zum zwölften
Jahre, während die der Wohlhabenden gewöhnlich bis zum vierzehnten Jahre
bleiben. Die Lehrer beziehen einen Gehalt von 1400 bis 2800 Mark. Baker
besuchte die Schulen in Eski Zagra, die mehr als 800 Kinder unterrichten,
und fand sie vortrefflich geleitet. Die Gebände waren geräumig, reinlich und gut
gelüftet, die Lernenden heiter, wohlerzogen und von gutem Fassungsvermögen.
Er lernte einen Lehrer in Trojan kennen und war überrascht von seiner In-


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[0466] eingeleitet und Lehrer aus Oesterreich und Rußland berufen. Der Patriarch that, was er vermochte, die Bewegung zu unterdrücken, aber die von den Bul¬ garen zusammengebrachten Mittel lähmten den Widerstand der von ihm auf¬ gestachelter osmanischen Behörden. Man erhielt die Erlaubniß, in den größeren Ortschaften bulgarische Schulen neben den griechischen zu errichten, und im Jahre 1850 wurde zu Philippopel die erste Zentralschule eröffnet. Von da an lebte die nationale Erziehung allmählich im ganzen Lande wieder auf. Bis zum Krimkriege hatte sie noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, dann aber breitete sie sich energisch aus, namentlich in der leitenden Provinz von Philippopel, wo 390000 christliche Bulgaren 240 000 Türken und mohammedanischen Bulgaren, 10000 Albanesen, Griechen und Walachen und circa 24000 Armeniern, Zigeunern und Juden gegenüberstehen. Vor 1850 galten Lesen und Schreiben hier als seltene Geschicklichkeiten, und die bulgarische Sprache wurde kaum in einem halben Dutzend Schulen gebraucht. 1858 da- gegen gab es hier bereits 5 Zentral-, 8 Vorbereitungs- und 90 Elementar¬ schulen für Knaben, nebst 7 Mädchenschulen, und 1870 hatte man ein Gym¬ nasium, 6 Zentral-, 25 Vorbereitungsschulen, 281 Elementarunterrichts-Anstalten und 24 Mädchenschulen. Die Zahl der Schüler belief sich auf 16 500, die der Lehrer und Lehrerinnen auf 385. Noch rascher war der Fortschritt bis zum Ausbrüche des serbischen Krieges und der sogenannten bulgarischen Revo¬ lution von 1876. Der Gang des Unterrichtes in diesen Bildungsanstalten vervollkommnete sich von Jahr zu Jahr, namentlich als in Philippopel ein Lehrerseminar er¬ richtet worden war. In den Zentralschulen umfaßt der Kursus fünf Jahre, und die Lehrgegenstände sind bulgarische, griechische, türkische und französische Sprache, praktische Arithmetik, Elementarmathematik, Geographie, bulgarische und türkische Geschichte, Glaubens- und Sittenlehre, endlich kirchliche Musik. In dem Gymnasium, das 1867 zu Philippopel gegründet wurde, kommen hierzu noch theoretische und praktische Philosophie, Physik und Chemie. In den Vorbereitungsschulen erstreckt sich der Kursus über vier Jahre. In den Mädchenschulen wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Nähen gelehrt, und Kinder der ärmeren Klasse treten mit fünf Jahren ein und lernen bis zum zwölften Jahre, während die der Wohlhabenden gewöhnlich bis zum vierzehnten Jahre bleiben. Die Lehrer beziehen einen Gehalt von 1400 bis 2800 Mark. Baker besuchte die Schulen in Eski Zagra, die mehr als 800 Kinder unterrichten, und fand sie vortrefflich geleitet. Die Gebände waren geräumig, reinlich und gut gelüftet, die Lernenden heiter, wohlerzogen und von gutem Fassungsvermögen. Er lernte einen Lehrer in Trojan kennen und war überrascht von seiner In-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/466>, abgerufen am 25.08.2024.