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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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zwischen Wolga und Don nach der nordwestlichen Küste des Schwarzen
Meeres vor und rückte von der Mitte des sechsten Jahrhunderts n. Chr. ab
langsam und unter steten Kämpfen mit Ostgothen, Slaven und Byzantinern
gegen die Donau vor. Seit 650 begannen sie unter ihrem Fürsten Jpsarich
Raubzüge nach Moslem und Thracien zu unternehmen, und nach 679, wo der
Kaiser Konstantin Pogonatos sie vergeblich zu unterwerfen versuchte, über¬
schritten sie die Donau und gründeten hier in slavischem Lande unter Jpenich
einen Staat, in welchem sie die herrschende Kriegerkaste, und die unterjochten
Slaven die Hauptmasse der Bevölkerung bildeten. Allmählich aber gingen die
Bulgaren in den letzteren auf, nahmen deren Sprache und Sitte an und ließen
dem Volke nur ihren Namen und hie und da Spuren von ihrer turanischen
Gesichtsbildung. Im Uebrigen waren etwa dreihundert Jahre nach ihrem
Einbrüchen Moslem und Thracien die Sieger völlig ein Volk mit den Besiegten
geworden.

Unter dem Czar Boris, der im neunten Jahrhunderte herrschte, und unter
dem die Bulgaren sich auch über Macedonien ausbreiteten, nahm dieses
Mischvolk das Christenthum an. Unter Simeon, dem Sohne und Nachfolger
dieses Herrschers, kämpfte es mit Glück gegen die byzantinischen Kaiser, und
von dieser Zeit an kam es häufig zu Kriege" zwischen den beiden Nachbarn,
die, indem sie sich gegenseitig schwachem, den Sieg der Türken über beide vor¬
bereiteten. Nachdem das Bulgarenreich in ein östliches und ein westliches zer¬
fallen, waren die Bulgaren bald von den Byzantinern, bald von den Serben
und zuletzt von den Osmanen abhängig, denen sie nach der Schlacht bei Niko-
polis vollkommen unterthänig wurden. Von da an geht ihre Geschichte in
derjenigen der Türkei auf. Sie waren fortan unter einem doppelten Joche,
unter dem der Osmanli und unter dem ihrer alten Feinde, der Griechen, die
zwar ebenfalls Unterthanen der Türkensnltane geworden waren, es aber ver¬
standen, ihren bulgarischen Mitunterthaneu griechische Bischöfe aufzudringen
und sie dadurch nach Möglichkeit zu bedrücken und auszubeuten. Daß sie dies
vermochten, obwohl die Bulgaren ihnen an Zahl weit überlegen waren, er¬
klärt sich aus der Thatsache, daß der bulgarische Adel sich nach der Eroberung
des Landes durch die Türken zur Annahme des Islam hatte bestimmen lassen.
Dieser Adel 'war nicht so abhängig von der Priesterschaft gewesen wie der
Bauernstand, und so hatte er das Loos, des Christenthums wegen verfolgt und
bedrückt zu werden, leicht mit dem Vortheile vertauscht, in der Stellung von
Mohammedanern geachtet und bequem leben zu können. Die oberen Klassen
der Griechen aber klammerten sich an ihre Hierarchie an, die in der Hauptstadt
eine festbegründete Position einnahm, indem die Osmanen sie nicht nur tut-


zwischen Wolga und Don nach der nordwestlichen Küste des Schwarzen
Meeres vor und rückte von der Mitte des sechsten Jahrhunderts n. Chr. ab
langsam und unter steten Kämpfen mit Ostgothen, Slaven und Byzantinern
gegen die Donau vor. Seit 650 begannen sie unter ihrem Fürsten Jpsarich
Raubzüge nach Moslem und Thracien zu unternehmen, und nach 679, wo der
Kaiser Konstantin Pogonatos sie vergeblich zu unterwerfen versuchte, über¬
schritten sie die Donau und gründeten hier in slavischem Lande unter Jpenich
einen Staat, in welchem sie die herrschende Kriegerkaste, und die unterjochten
Slaven die Hauptmasse der Bevölkerung bildeten. Allmählich aber gingen die
Bulgaren in den letzteren auf, nahmen deren Sprache und Sitte an und ließen
dem Volke nur ihren Namen und hie und da Spuren von ihrer turanischen
Gesichtsbildung. Im Uebrigen waren etwa dreihundert Jahre nach ihrem
Einbrüchen Moslem und Thracien die Sieger völlig ein Volk mit den Besiegten
geworden.

Unter dem Czar Boris, der im neunten Jahrhunderte herrschte, und unter
dem die Bulgaren sich auch über Macedonien ausbreiteten, nahm dieses
Mischvolk das Christenthum an. Unter Simeon, dem Sohne und Nachfolger
dieses Herrschers, kämpfte es mit Glück gegen die byzantinischen Kaiser, und
von dieser Zeit an kam es häufig zu Kriege» zwischen den beiden Nachbarn,
die, indem sie sich gegenseitig schwachem, den Sieg der Türken über beide vor¬
bereiteten. Nachdem das Bulgarenreich in ein östliches und ein westliches zer¬
fallen, waren die Bulgaren bald von den Byzantinern, bald von den Serben
und zuletzt von den Osmanen abhängig, denen sie nach der Schlacht bei Niko-
polis vollkommen unterthänig wurden. Von da an geht ihre Geschichte in
derjenigen der Türkei auf. Sie waren fortan unter einem doppelten Joche,
unter dem der Osmanli und unter dem ihrer alten Feinde, der Griechen, die
zwar ebenfalls Unterthanen der Türkensnltane geworden waren, es aber ver¬
standen, ihren bulgarischen Mitunterthaneu griechische Bischöfe aufzudringen
und sie dadurch nach Möglichkeit zu bedrücken und auszubeuten. Daß sie dies
vermochten, obwohl die Bulgaren ihnen an Zahl weit überlegen waren, er¬
klärt sich aus der Thatsache, daß der bulgarische Adel sich nach der Eroberung
des Landes durch die Türken zur Annahme des Islam hatte bestimmen lassen.
Dieser Adel 'war nicht so abhängig von der Priesterschaft gewesen wie der
Bauernstand, und so hatte er das Loos, des Christenthums wegen verfolgt und
bedrückt zu werden, leicht mit dem Vortheile vertauscht, in der Stellung von
Mohammedanern geachtet und bequem leben zu können. Die oberen Klassen
der Griechen aber klammerten sich an ihre Hierarchie an, die in der Hauptstadt
eine festbegründete Position einnahm, indem die Osmanen sie nicht nur tut-


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[0463] zwischen Wolga und Don nach der nordwestlichen Küste des Schwarzen Meeres vor und rückte von der Mitte des sechsten Jahrhunderts n. Chr. ab langsam und unter steten Kämpfen mit Ostgothen, Slaven und Byzantinern gegen die Donau vor. Seit 650 begannen sie unter ihrem Fürsten Jpsarich Raubzüge nach Moslem und Thracien zu unternehmen, und nach 679, wo der Kaiser Konstantin Pogonatos sie vergeblich zu unterwerfen versuchte, über¬ schritten sie die Donau und gründeten hier in slavischem Lande unter Jpenich einen Staat, in welchem sie die herrschende Kriegerkaste, und die unterjochten Slaven die Hauptmasse der Bevölkerung bildeten. Allmählich aber gingen die Bulgaren in den letzteren auf, nahmen deren Sprache und Sitte an und ließen dem Volke nur ihren Namen und hie und da Spuren von ihrer turanischen Gesichtsbildung. Im Uebrigen waren etwa dreihundert Jahre nach ihrem Einbrüchen Moslem und Thracien die Sieger völlig ein Volk mit den Besiegten geworden. Unter dem Czar Boris, der im neunten Jahrhunderte herrschte, und unter dem die Bulgaren sich auch über Macedonien ausbreiteten, nahm dieses Mischvolk das Christenthum an. Unter Simeon, dem Sohne und Nachfolger dieses Herrschers, kämpfte es mit Glück gegen die byzantinischen Kaiser, und von dieser Zeit an kam es häufig zu Kriege» zwischen den beiden Nachbarn, die, indem sie sich gegenseitig schwachem, den Sieg der Türken über beide vor¬ bereiteten. Nachdem das Bulgarenreich in ein östliches und ein westliches zer¬ fallen, waren die Bulgaren bald von den Byzantinern, bald von den Serben und zuletzt von den Osmanen abhängig, denen sie nach der Schlacht bei Niko- polis vollkommen unterthänig wurden. Von da an geht ihre Geschichte in derjenigen der Türkei auf. Sie waren fortan unter einem doppelten Joche, unter dem der Osmanli und unter dem ihrer alten Feinde, der Griechen, die zwar ebenfalls Unterthanen der Türkensnltane geworden waren, es aber ver¬ standen, ihren bulgarischen Mitunterthaneu griechische Bischöfe aufzudringen und sie dadurch nach Möglichkeit zu bedrücken und auszubeuten. Daß sie dies vermochten, obwohl die Bulgaren ihnen an Zahl weit überlegen waren, er¬ klärt sich aus der Thatsache, daß der bulgarische Adel sich nach der Eroberung des Landes durch die Türken zur Annahme des Islam hatte bestimmen lassen. Dieser Adel 'war nicht so abhängig von der Priesterschaft gewesen wie der Bauernstand, und so hatte er das Loos, des Christenthums wegen verfolgt und bedrückt zu werden, leicht mit dem Vortheile vertauscht, in der Stellung von Mohammedanern geachtet und bequem leben zu können. Die oberen Klassen der Griechen aber klammerten sich an ihre Hierarchie an, die in der Hauptstadt eine festbegründete Position einnahm, indem die Osmanen sie nicht nur tut-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/463>, abgerufen am 03.07.2024.