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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der straffreien Veröffentlichung ciusznnehmen. Allein der Erlaß eines Gesetzes
von solcher Beschränkung hätte den Eindruck machen müssen, als wolle die
Reichsregierung die Erörterung der Grundsätze der Parlamentsdisziplin, zu der
doch Vieles hindrängt, unter allen Umständen vermeiden.

Wie dem nun sei, der Gesetzvorschlag, welchen die Reichsregierung an
den Bundesrath, und welchen mit einigen Veränderungen der Bundesrath
an den Reichstag gebracht, ist in der technischen Ausführung völlig mißlungen.
Die ohnehin eifersüchtig und mißtrauisch erregte Stimmung der parlamentarischen
Kreise gegen das, was man einen Eingriff in das durch Artikel 27 und 30
der Reichsverfassung begründete Hausrecht des Reichstages nennt, konnte durch
die verfehlte Gestaltung des Entwurfes nur bestärkt werden. Freilich enthält
der Artikel 30 den Ausschluß jeder anderen Gerichtsbarkeit über die in Aus¬
übung des parlamentarischen Berufes gethanen Aeußerungen als der des Reichs¬
tages selbst. Aber man wird aus dem Artikel 30 nicht ohne weiteres herleiten
können, daß der Reichstag sich nicht der Gerichte bedienen dürfe, wenn die
Schranke gewahrt ist, daß dieselben nur auf sein Anrufen einschreiten. Eher
dagegen kann man aus Artikel 2? herleiten, daß die Disziplin des Reichstages,
deren Regelung dieser Artikel dem Reichstage zuweist, nicht durch ein Gesetz,
also durch die Mitbestimmung des Bundesrathes, gebunden werden dürfe.
Ein weit stärkerer Einwand gegen die Regelung der Disziplin durch Gesetz
liegt in der Natur der Sache. Disziplinarvorschriften müssen beweglich sein
nach dem Bedürfnisse, das rasch wechseln kann. Eine Geschäftsordnung muß
ganz anders dem Einflüsse derer, die sie handhaben, unterworfen sein, als ein
Gesetz jemals von dem Willen der ausführenden Organe abhängig gemacht
werden kann.

Was die Reichsregierung hätte thun müssen, wenn sie überhaupt die
Frage der parlamentarischen Disziplin, in der freilich nur Thorheit eine blos
innere Frage des parlamentarischen Körpers sehen kann, zum Austrag bringen
wollte, ist unschwer zu erkennen. Fürst Bismarck hat den Inhalt der Frage
mit erschöpfender Klarheit dargelegt. Es handelt sich um die Würde des
Parlamentes, um die Ehre der nicht zum Parlamente gehörigen Staatsbürger,
um den Schutz der Staatsordnung gegen revolutionäre Angriffe. Unter Würde
des Parlamentes ist zu begreifen der Gehorsam des Einzelnen gegen die
Ordnung, die Beschlüsse und die Sitte der Körperschaft. Wenn durch die
Sicherung dieses Gehorsams die Verantwortlichkeit der Bürgerschaft für ihre Mit¬
glieder hergestellt ist, dann folgen aus dieser Verantwortlichkeit die beiden anderen
Punkte: die Abwehr der Ehrenkränkung solcher, gegen welche das Parlamentsprivi¬
legium gemißbraucht werden könnte, und der Ausschluß jeder revolutionären Hal¬
tung gegen den Staat. Legt man sich unbefangen die Frage vor, ob irgend eine


der straffreien Veröffentlichung ciusznnehmen. Allein der Erlaß eines Gesetzes
von solcher Beschränkung hätte den Eindruck machen müssen, als wolle die
Reichsregierung die Erörterung der Grundsätze der Parlamentsdisziplin, zu der
doch Vieles hindrängt, unter allen Umständen vermeiden.

Wie dem nun sei, der Gesetzvorschlag, welchen die Reichsregierung an
den Bundesrath, und welchen mit einigen Veränderungen der Bundesrath
an den Reichstag gebracht, ist in der technischen Ausführung völlig mißlungen.
Die ohnehin eifersüchtig und mißtrauisch erregte Stimmung der parlamentarischen
Kreise gegen das, was man einen Eingriff in das durch Artikel 27 und 30
der Reichsverfassung begründete Hausrecht des Reichstages nennt, konnte durch
die verfehlte Gestaltung des Entwurfes nur bestärkt werden. Freilich enthält
der Artikel 30 den Ausschluß jeder anderen Gerichtsbarkeit über die in Aus¬
übung des parlamentarischen Berufes gethanen Aeußerungen als der des Reichs¬
tages selbst. Aber man wird aus dem Artikel 30 nicht ohne weiteres herleiten
können, daß der Reichstag sich nicht der Gerichte bedienen dürfe, wenn die
Schranke gewahrt ist, daß dieselben nur auf sein Anrufen einschreiten. Eher
dagegen kann man aus Artikel 2? herleiten, daß die Disziplin des Reichstages,
deren Regelung dieser Artikel dem Reichstage zuweist, nicht durch ein Gesetz,
also durch die Mitbestimmung des Bundesrathes, gebunden werden dürfe.
Ein weit stärkerer Einwand gegen die Regelung der Disziplin durch Gesetz
liegt in der Natur der Sache. Disziplinarvorschriften müssen beweglich sein
nach dem Bedürfnisse, das rasch wechseln kann. Eine Geschäftsordnung muß
ganz anders dem Einflüsse derer, die sie handhaben, unterworfen sein, als ein
Gesetz jemals von dem Willen der ausführenden Organe abhängig gemacht
werden kann.

Was die Reichsregierung hätte thun müssen, wenn sie überhaupt die
Frage der parlamentarischen Disziplin, in der freilich nur Thorheit eine blos
innere Frage des parlamentarischen Körpers sehen kann, zum Austrag bringen
wollte, ist unschwer zu erkennen. Fürst Bismarck hat den Inhalt der Frage
mit erschöpfender Klarheit dargelegt. Es handelt sich um die Würde des
Parlamentes, um die Ehre der nicht zum Parlamente gehörigen Staatsbürger,
um den Schutz der Staatsordnung gegen revolutionäre Angriffe. Unter Würde
des Parlamentes ist zu begreifen der Gehorsam des Einzelnen gegen die
Ordnung, die Beschlüsse und die Sitte der Körperschaft. Wenn durch die
Sicherung dieses Gehorsams die Verantwortlichkeit der Bürgerschaft für ihre Mit¬
glieder hergestellt ist, dann folgen aus dieser Verantwortlichkeit die beiden anderen
Punkte: die Abwehr der Ehrenkränkung solcher, gegen welche das Parlamentsprivi¬
legium gemißbraucht werden könnte, und der Ausschluß jeder revolutionären Hal¬
tung gegen den Staat. Legt man sich unbefangen die Frage vor, ob irgend eine


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[0458] der straffreien Veröffentlichung ciusznnehmen. Allein der Erlaß eines Gesetzes von solcher Beschränkung hätte den Eindruck machen müssen, als wolle die Reichsregierung die Erörterung der Grundsätze der Parlamentsdisziplin, zu der doch Vieles hindrängt, unter allen Umständen vermeiden. Wie dem nun sei, der Gesetzvorschlag, welchen die Reichsregierung an den Bundesrath, und welchen mit einigen Veränderungen der Bundesrath an den Reichstag gebracht, ist in der technischen Ausführung völlig mißlungen. Die ohnehin eifersüchtig und mißtrauisch erregte Stimmung der parlamentarischen Kreise gegen das, was man einen Eingriff in das durch Artikel 27 und 30 der Reichsverfassung begründete Hausrecht des Reichstages nennt, konnte durch die verfehlte Gestaltung des Entwurfes nur bestärkt werden. Freilich enthält der Artikel 30 den Ausschluß jeder anderen Gerichtsbarkeit über die in Aus¬ übung des parlamentarischen Berufes gethanen Aeußerungen als der des Reichs¬ tages selbst. Aber man wird aus dem Artikel 30 nicht ohne weiteres herleiten können, daß der Reichstag sich nicht der Gerichte bedienen dürfe, wenn die Schranke gewahrt ist, daß dieselben nur auf sein Anrufen einschreiten. Eher dagegen kann man aus Artikel 2? herleiten, daß die Disziplin des Reichstages, deren Regelung dieser Artikel dem Reichstage zuweist, nicht durch ein Gesetz, also durch die Mitbestimmung des Bundesrathes, gebunden werden dürfe. Ein weit stärkerer Einwand gegen die Regelung der Disziplin durch Gesetz liegt in der Natur der Sache. Disziplinarvorschriften müssen beweglich sein nach dem Bedürfnisse, das rasch wechseln kann. Eine Geschäftsordnung muß ganz anders dem Einflüsse derer, die sie handhaben, unterworfen sein, als ein Gesetz jemals von dem Willen der ausführenden Organe abhängig gemacht werden kann. Was die Reichsregierung hätte thun müssen, wenn sie überhaupt die Frage der parlamentarischen Disziplin, in der freilich nur Thorheit eine blos innere Frage des parlamentarischen Körpers sehen kann, zum Austrag bringen wollte, ist unschwer zu erkennen. Fürst Bismarck hat den Inhalt der Frage mit erschöpfender Klarheit dargelegt. Es handelt sich um die Würde des Parlamentes, um die Ehre der nicht zum Parlamente gehörigen Staatsbürger, um den Schutz der Staatsordnung gegen revolutionäre Angriffe. Unter Würde des Parlamentes ist zu begreifen der Gehorsam des Einzelnen gegen die Ordnung, die Beschlüsse und die Sitte der Körperschaft. Wenn durch die Sicherung dieses Gehorsams die Verantwortlichkeit der Bürgerschaft für ihre Mit¬ glieder hergestellt ist, dann folgen aus dieser Verantwortlichkeit die beiden anderen Punkte: die Abwehr der Ehrenkränkung solcher, gegen welche das Parlamentsprivi¬ legium gemißbraucht werden könnte, und der Ausschluß jeder revolutionären Hal¬ tung gegen den Staat. Legt man sich unbefangen die Frage vor, ob irgend eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/458>, abgerufen am 22.07.2024.