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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ebenso wie die Pelcisger auf ihren Wanderungen überall den Namen Olympos
sitzen ließen.

Doch lassen wir das Reich der Hypothesen und begeben wir uns wieder
auf den Boden der Thatsachen zurück. Richtig ist, daß in Kaschgarien sowohl,
wie in den westlich gelegenen Ländern bis an's Kaspische Meer hin arische
und turanische Racen um die Herrschaft stritten, und daß hier die Turanier
siegten. Der Tadschik, persischen Ursprungs, ist jetzt hier der Hauptrepräsentant
der Arier, sein friedlichen Gewohnheiten ergebenes Temperament war die Ur¬
sache, daß die kriegerischen Turanier ihn unterjochten, und durch ganz Turkestan,
also durch Chiwa, Buchara, Kokan u. s. w. erscheint sein Verhältniß ähnlich
wie das des Wenden gegenüber dem Deutschen im Mittelalter. Dort redet
man die Leute noch nach ihrer Race an, also als Oezbege, Kiptschak, wenn
sie zu den Herrschern, als Tadschik oder Sarde, wenn sie zu den Beherrschten
gehören. In Ostturkestan, in Kaschgarien also, ist dieser alte Racengegeuscch
jedoch schon stark verwischt, denn dort gilt die Bezeichnung nicht nach der Rnee,
sondern nach der Vaterstadt, und man sagt nicht: der oder jener ist ein Oez¬
bege, ein Tadschik, sondern ein Choteni, ein Jarkendi, ein Kaschgari. Die
Hauptgegensütze in Ostturkestan sind also nicht nationaler Art; hier tritt vielmehr
das religiöse Moment hervor, da das Land die Grenze zwischen dem moham¬
medanischen Turkestan und dem buddhistischen China ausmacht. Islam und
Kokan auf der westlichen, Buddhismus und China auf der östlichen Seite
stritten seit langem um das schöne Land. Die große Mehrheit der Bevölkerung
besteht aus Tadschiks, also Persern dem Ursprünge nach; doch haben diese
Tadschiks im Laufe der Jahrhunderte sich ungemein mit tatarischen Blute ver¬
mischt, sowohl zur Zeit der mongolischen als anch der chinesischen Herrschaft.
Die Tadschiks wurden auf diese Weise tatarisirt, und so sind sie den übrigen
Bewohnern turanischer Abstammung geistig und körperlich näher gekommen; die
Unterschiede verwischten sich, und nationale Duldung, die Westturkestan nicht
kennt, trat in Ostturkestan ein.

Schon lange vor dem neunten Jahrhundert hatten die Chinesen ihr Reich
bis nach Ostturkestan und darüber hinaus vorgeschoben, doch bröckelte während
der letzten Jahre der Tang-Dynastie Turfan, Kaschgar und Jarkend unter
eigenen kleinen Fürsten wieder vom Reiche der Mitte ab. Die Chinesen, die
zu Hause alle Hände voll zu thun hatten, würden nun sicher, wenn der heimische
Streit geschlichtet war, die abgefallenen Provinzen wieder erobert haben, wenn
nicht ein ganz neues Element auf dem Schauplatze aufgetreten wäre -- das
arabische.

Bereits im Jahre 676 waren die Araber unter Abdullah Zizad durch
Persien nach Zentralasien vorgedrungen und hatten am ganzen Oxuslcmfe


ebenso wie die Pelcisger auf ihren Wanderungen überall den Namen Olympos
sitzen ließen.

Doch lassen wir das Reich der Hypothesen und begeben wir uns wieder
auf den Boden der Thatsachen zurück. Richtig ist, daß in Kaschgarien sowohl,
wie in den westlich gelegenen Ländern bis an's Kaspische Meer hin arische
und turanische Racen um die Herrschaft stritten, und daß hier die Turanier
siegten. Der Tadschik, persischen Ursprungs, ist jetzt hier der Hauptrepräsentant
der Arier, sein friedlichen Gewohnheiten ergebenes Temperament war die Ur¬
sache, daß die kriegerischen Turanier ihn unterjochten, und durch ganz Turkestan,
also durch Chiwa, Buchara, Kokan u. s. w. erscheint sein Verhältniß ähnlich
wie das des Wenden gegenüber dem Deutschen im Mittelalter. Dort redet
man die Leute noch nach ihrer Race an, also als Oezbege, Kiptschak, wenn
sie zu den Herrschern, als Tadschik oder Sarde, wenn sie zu den Beherrschten
gehören. In Ostturkestan, in Kaschgarien also, ist dieser alte Racengegeuscch
jedoch schon stark verwischt, denn dort gilt die Bezeichnung nicht nach der Rnee,
sondern nach der Vaterstadt, und man sagt nicht: der oder jener ist ein Oez¬
bege, ein Tadschik, sondern ein Choteni, ein Jarkendi, ein Kaschgari. Die
Hauptgegensütze in Ostturkestan sind also nicht nationaler Art; hier tritt vielmehr
das religiöse Moment hervor, da das Land die Grenze zwischen dem moham¬
medanischen Turkestan und dem buddhistischen China ausmacht. Islam und
Kokan auf der westlichen, Buddhismus und China auf der östlichen Seite
stritten seit langem um das schöne Land. Die große Mehrheit der Bevölkerung
besteht aus Tadschiks, also Persern dem Ursprünge nach; doch haben diese
Tadschiks im Laufe der Jahrhunderte sich ungemein mit tatarischen Blute ver¬
mischt, sowohl zur Zeit der mongolischen als anch der chinesischen Herrschaft.
Die Tadschiks wurden auf diese Weise tatarisirt, und so sind sie den übrigen
Bewohnern turanischer Abstammung geistig und körperlich näher gekommen; die
Unterschiede verwischten sich, und nationale Duldung, die Westturkestan nicht
kennt, trat in Ostturkestan ein.

Schon lange vor dem neunten Jahrhundert hatten die Chinesen ihr Reich
bis nach Ostturkestan und darüber hinaus vorgeschoben, doch bröckelte während
der letzten Jahre der Tang-Dynastie Turfan, Kaschgar und Jarkend unter
eigenen kleinen Fürsten wieder vom Reiche der Mitte ab. Die Chinesen, die
zu Hause alle Hände voll zu thun hatten, würden nun sicher, wenn der heimische
Streit geschlichtet war, die abgefallenen Provinzen wieder erobert haben, wenn
nicht ein ganz neues Element auf dem Schauplatze aufgetreten wäre — das
arabische.

Bereits im Jahre 676 waren die Araber unter Abdullah Zizad durch
Persien nach Zentralasien vorgedrungen und hatten am ganzen Oxuslcmfe


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[0452] ebenso wie die Pelcisger auf ihren Wanderungen überall den Namen Olympos sitzen ließen. Doch lassen wir das Reich der Hypothesen und begeben wir uns wieder auf den Boden der Thatsachen zurück. Richtig ist, daß in Kaschgarien sowohl, wie in den westlich gelegenen Ländern bis an's Kaspische Meer hin arische und turanische Racen um die Herrschaft stritten, und daß hier die Turanier siegten. Der Tadschik, persischen Ursprungs, ist jetzt hier der Hauptrepräsentant der Arier, sein friedlichen Gewohnheiten ergebenes Temperament war die Ur¬ sache, daß die kriegerischen Turanier ihn unterjochten, und durch ganz Turkestan, also durch Chiwa, Buchara, Kokan u. s. w. erscheint sein Verhältniß ähnlich wie das des Wenden gegenüber dem Deutschen im Mittelalter. Dort redet man die Leute noch nach ihrer Race an, also als Oezbege, Kiptschak, wenn sie zu den Herrschern, als Tadschik oder Sarde, wenn sie zu den Beherrschten gehören. In Ostturkestan, in Kaschgarien also, ist dieser alte Racengegeuscch jedoch schon stark verwischt, denn dort gilt die Bezeichnung nicht nach der Rnee, sondern nach der Vaterstadt, und man sagt nicht: der oder jener ist ein Oez¬ bege, ein Tadschik, sondern ein Choteni, ein Jarkendi, ein Kaschgari. Die Hauptgegensütze in Ostturkestan sind also nicht nationaler Art; hier tritt vielmehr das religiöse Moment hervor, da das Land die Grenze zwischen dem moham¬ medanischen Turkestan und dem buddhistischen China ausmacht. Islam und Kokan auf der westlichen, Buddhismus und China auf der östlichen Seite stritten seit langem um das schöne Land. Die große Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Tadschiks, also Persern dem Ursprünge nach; doch haben diese Tadschiks im Laufe der Jahrhunderte sich ungemein mit tatarischen Blute ver¬ mischt, sowohl zur Zeit der mongolischen als anch der chinesischen Herrschaft. Die Tadschiks wurden auf diese Weise tatarisirt, und so sind sie den übrigen Bewohnern turanischer Abstammung geistig und körperlich näher gekommen; die Unterschiede verwischten sich, und nationale Duldung, die Westturkestan nicht kennt, trat in Ostturkestan ein. Schon lange vor dem neunten Jahrhundert hatten die Chinesen ihr Reich bis nach Ostturkestan und darüber hinaus vorgeschoben, doch bröckelte während der letzten Jahre der Tang-Dynastie Turfan, Kaschgar und Jarkend unter eigenen kleinen Fürsten wieder vom Reiche der Mitte ab. Die Chinesen, die zu Hause alle Hände voll zu thun hatten, würden nun sicher, wenn der heimische Streit geschlichtet war, die abgefallenen Provinzen wieder erobert haben, wenn nicht ein ganz neues Element auf dem Schauplatze aufgetreten wäre — das arabische. Bereits im Jahre 676 waren die Araber unter Abdullah Zizad durch Persien nach Zentralasien vorgedrungen und hatten am ganzen Oxuslcmfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/452>, abgerufen am 23.07.2024.