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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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jetzt das verbreiterte russische Blatt, der in den letzten Monaten keine Gelegen¬
heit vorbeigehen ließ, das Verfahren unseres leitenden Staatsmannes im Innern
wie nach außen hin tadelnder Kritik zu unterziehen, seine Stellung als wan¬
kend zu charakterisiren, unsere Zustände in unvortheilhaften Lichte darzustellen
und dabei, wo es anging, mit anderen Ländern und vorzüglich mit Frankreich
zu liebäugeln.

Wir weisen zum Beweis für diese Behauptungen auf die Stellung hin,
welche dieses Journal im Januar hinsichtlich der Frage: ob Freihandel, ob
Schutzzölle, einzunehmen beliebte. Augenscheinlich in erster Linie um gegen
den Fürsten Bismarck opponiren, ihn heruntersetzen zu können, erklärte es
sich -- als ob Rußland nicht die höchsten Zölle in Europa erhöbe, die seit
ihrer Erhebung in Gold kaum noch erhöht werden können -- mit Ungestüm
für den Freihandel. Es hieß da: "Hauptrepräsentant jener Zollreaktion ist
Fürst Bismarck, der sich immer dadurch ausgezeichnet hat, daß er die in der
moralischen Sphäre schwebenden Ideen aufgriff und bis zum Extrem (wir
dachten bisher immer, durch Kompromisse) durchführte. So war es früher
mit dem Freihandel, der Einheit Deutschland's, dem Kampf mit dem Ultra¬
montanismus; so ist es jetzt mit der Protektionsbewegung. Es ist zu erwarten,
daß alle Regierungen, wie schon mehrfach, seinem Beispiele folgen werden.
Die Staatsmänner anderer Staaten werden ebenfalls Zollreformen zur Beschwe¬
rung ausländischer Waaren einführen. Ein Zollkrieg wird entbrennen, die
Regierungen werden sich gegen einander mit Zollschranken verbarrikadiren, und
das Resultat wird natürlich sein, daß aller Orten der Absatz und somit auch
die Produktion zum Schaden des europäischen Handels und der Industrie in's
Sinken geräth." Dann erfuhr man, daß diese traurigen Folgen darin nützlich
sein könnten, daß sie die Nationen endgiltig von der "Sinnlosigkeit" des von
unserem Reichskanzler eingeschlagenen Weges zu überzeugen geeignet seien.
Und zum Schlüsse meinte das Blatt: "So fallen in dem energisch von Fürst
Bismarck gepredigten Zollkriege die Interessen Rußland's und England's zu¬
sammen: beide werden durch diesen Krieg leiden, mehr leiden als die übrigen
europäischen Staaten, und beide werden in gleicher Weise wehrlos gegen die
Gefahren dieses Krieges sein."

Wir erinnern ferner an das seltsame Telegramm des "Golos", welches
die Aufstellung eines preußischen Observationskorps von 80 000 Mann zur
Abwendung der Pestgefahr meldete, und welches die (russische) "Se. Peters¬
burger Zeitung", nachdem es von ihr zu gehässigen Ausfällen und zum Aus¬
säen thörichten Mißtrauens gegen die deutsche Politik benutzt worden, als
"gewissenlose und alberne Erfindung ohne Beispiel" zu bezeichnen genöthigt war.

Ein dritter Artikel des "Golos" überraschte uns mit der Nachricht, daß


jetzt das verbreiterte russische Blatt, der in den letzten Monaten keine Gelegen¬
heit vorbeigehen ließ, das Verfahren unseres leitenden Staatsmannes im Innern
wie nach außen hin tadelnder Kritik zu unterziehen, seine Stellung als wan¬
kend zu charakterisiren, unsere Zustände in unvortheilhaften Lichte darzustellen
und dabei, wo es anging, mit anderen Ländern und vorzüglich mit Frankreich
zu liebäugeln.

Wir weisen zum Beweis für diese Behauptungen auf die Stellung hin,
welche dieses Journal im Januar hinsichtlich der Frage: ob Freihandel, ob
Schutzzölle, einzunehmen beliebte. Augenscheinlich in erster Linie um gegen
den Fürsten Bismarck opponiren, ihn heruntersetzen zu können, erklärte es
sich — als ob Rußland nicht die höchsten Zölle in Europa erhöbe, die seit
ihrer Erhebung in Gold kaum noch erhöht werden können — mit Ungestüm
für den Freihandel. Es hieß da: „Hauptrepräsentant jener Zollreaktion ist
Fürst Bismarck, der sich immer dadurch ausgezeichnet hat, daß er die in der
moralischen Sphäre schwebenden Ideen aufgriff und bis zum Extrem (wir
dachten bisher immer, durch Kompromisse) durchführte. So war es früher
mit dem Freihandel, der Einheit Deutschland's, dem Kampf mit dem Ultra¬
montanismus; so ist es jetzt mit der Protektionsbewegung. Es ist zu erwarten,
daß alle Regierungen, wie schon mehrfach, seinem Beispiele folgen werden.
Die Staatsmänner anderer Staaten werden ebenfalls Zollreformen zur Beschwe¬
rung ausländischer Waaren einführen. Ein Zollkrieg wird entbrennen, die
Regierungen werden sich gegen einander mit Zollschranken verbarrikadiren, und
das Resultat wird natürlich sein, daß aller Orten der Absatz und somit auch
die Produktion zum Schaden des europäischen Handels und der Industrie in's
Sinken geräth." Dann erfuhr man, daß diese traurigen Folgen darin nützlich
sein könnten, daß sie die Nationen endgiltig von der „Sinnlosigkeit" des von
unserem Reichskanzler eingeschlagenen Weges zu überzeugen geeignet seien.
Und zum Schlüsse meinte das Blatt: „So fallen in dem energisch von Fürst
Bismarck gepredigten Zollkriege die Interessen Rußland's und England's zu¬
sammen: beide werden durch diesen Krieg leiden, mehr leiden als die übrigen
europäischen Staaten, und beide werden in gleicher Weise wehrlos gegen die
Gefahren dieses Krieges sein."

Wir erinnern ferner an das seltsame Telegramm des „Golos", welches
die Aufstellung eines preußischen Observationskorps von 80 000 Mann zur
Abwendung der Pestgefahr meldete, und welches die (russische) „Se. Peters¬
burger Zeitung", nachdem es von ihr zu gehässigen Ausfällen und zum Aus¬
säen thörichten Mißtrauens gegen die deutsche Politik benutzt worden, als
„gewissenlose und alberne Erfindung ohne Beispiel" zu bezeichnen genöthigt war.

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[0422] jetzt das verbreiterte russische Blatt, der in den letzten Monaten keine Gelegen¬ heit vorbeigehen ließ, das Verfahren unseres leitenden Staatsmannes im Innern wie nach außen hin tadelnder Kritik zu unterziehen, seine Stellung als wan¬ kend zu charakterisiren, unsere Zustände in unvortheilhaften Lichte darzustellen und dabei, wo es anging, mit anderen Ländern und vorzüglich mit Frankreich zu liebäugeln. Wir weisen zum Beweis für diese Behauptungen auf die Stellung hin, welche dieses Journal im Januar hinsichtlich der Frage: ob Freihandel, ob Schutzzölle, einzunehmen beliebte. Augenscheinlich in erster Linie um gegen den Fürsten Bismarck opponiren, ihn heruntersetzen zu können, erklärte es sich — als ob Rußland nicht die höchsten Zölle in Europa erhöbe, die seit ihrer Erhebung in Gold kaum noch erhöht werden können — mit Ungestüm für den Freihandel. Es hieß da: „Hauptrepräsentant jener Zollreaktion ist Fürst Bismarck, der sich immer dadurch ausgezeichnet hat, daß er die in der moralischen Sphäre schwebenden Ideen aufgriff und bis zum Extrem (wir dachten bisher immer, durch Kompromisse) durchführte. So war es früher mit dem Freihandel, der Einheit Deutschland's, dem Kampf mit dem Ultra¬ montanismus; so ist es jetzt mit der Protektionsbewegung. Es ist zu erwarten, daß alle Regierungen, wie schon mehrfach, seinem Beispiele folgen werden. Die Staatsmänner anderer Staaten werden ebenfalls Zollreformen zur Beschwe¬ rung ausländischer Waaren einführen. Ein Zollkrieg wird entbrennen, die Regierungen werden sich gegen einander mit Zollschranken verbarrikadiren, und das Resultat wird natürlich sein, daß aller Orten der Absatz und somit auch die Produktion zum Schaden des europäischen Handels und der Industrie in's Sinken geräth." Dann erfuhr man, daß diese traurigen Folgen darin nützlich sein könnten, daß sie die Nationen endgiltig von der „Sinnlosigkeit" des von unserem Reichskanzler eingeschlagenen Weges zu überzeugen geeignet seien. Und zum Schlüsse meinte das Blatt: „So fallen in dem energisch von Fürst Bismarck gepredigten Zollkriege die Interessen Rußland's und England's zu¬ sammen: beide werden durch diesen Krieg leiden, mehr leiden als die übrigen europäischen Staaten, und beide werden in gleicher Weise wehrlos gegen die Gefahren dieses Krieges sein." Wir erinnern ferner an das seltsame Telegramm des „Golos", welches die Aufstellung eines preußischen Observationskorps von 80 000 Mann zur Abwendung der Pestgefahr meldete, und welches die (russische) „Se. Peters¬ burger Zeitung", nachdem es von ihr zu gehässigen Ausfällen und zum Aus¬ säen thörichten Mißtrauens gegen die deutsche Politik benutzt worden, als „gewissenlose und alberne Erfindung ohne Beispiel" zu bezeichnen genöthigt war. Ein dritter Artikel des „Golos" überraschte uns mit der Nachricht, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/422>, abgerufen am 05.02.2025.