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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Konfliktszeit, wo die Hammerschläge der Parteiverblendung ohne Unterlaß
auf den Kriegsminister niederfielen, die er mit stoischer Ruhe in kriegerisch
eleganter Haltung über sich ergehen ließ, kam zuletzt der Abgeordnete Gneist
mit einem jener rhetorischen Meisterstücke, die nur auf einer ganz falschen
Würdigung der Sache beruhten. Gneist führte aus, wie öfters vorher und
öfters nachher, daß Leistungen wie die des preußischen Volkes für den Kriegs¬
dienst nur auf dem Gesetze beruhen, nur durch das Gesetz verändert werden
könnten. Weil der thatsächlich vollzogenen Reorganisation von Seiten der
Volksvertretung die gesetzliche Sanktion verweigert, die erste aber nicht rück¬
gängig gemacht wurde, so sprach der Redner von dem fremden Imperator, der
die Söhne eines eroberten Landes in das Joch des Kriegsdienstes nöthigt.
Der Kriegsminister, dem das Bewußtsein sagte, daß er Tag und Nacht an
dem werthvollsten und unentbehrlichen Rüstzeuge seines Vaterlandes Schmiede,
konnte hier eine Geberde des Erstaunens vor dem völlig Unverständlichen nicht
beherrschen. Später entriß ihm diese Rede das Wort: "Der Herr Abgeord¬
nete kann Alles beweisen, was er will." Ein anderes Wort Roon's aber ging
selbst den widerwilligsten Hörern und den verbündetsten Gegnern wie ein
Schrecken des Gewissens durch die Seele, freilich wie ein bald betäubter.
Bleich vor Zorn erhob er sich eines Tages und sprach mit einer Stimme, die
von Trauer und Unwillen halb erstickt klang: "Wenn die Ketten der Fremd¬
herrschaft im Lande rasseln, dann wird man begreifen, welches Rettungsmittel
hier muthwillig weggestoßen worden ist." Dieses Wort traf Manchen damals,
der die Mahnung sich nicht eingestehen wollte. Anderen klingt es bis an's
Ende des Lebens, und heute weniger als je darf dieses Wort vergessen werden,
denn der Bau des deutschen Reiches ist noch immer erst ein Nothbau, und
schon weigern sich die Bauleute der Weiterarbeit und meinen, die erst so schwach
gestützten Mauern dem Wind und Wetter preisgeben zu können, denen Deutsch¬
land's Staat von allen Seiten ausgesetzt bleibt, und die dieser Staat wie
kein anderer bestimmt ist, immer wieder auf sich zu ziehen.

Das alte deutsche Reich war, um sein Leben zu fristen, auf den "gemei¬
nen Pfennig" gestellt. Aller wirksamen Institutionen der ausführenden Gewalt
entbehrend, sollte es sich den gemeinen Pfennig erbetteln wie ein Almosen, das
ihm unregelmäßig und dürftig gespendet wurde. So schwand das Reich zum
Schatten zusammen. In seinen Grenzen theilte und herrschte das Ausland,
das auf unseren Fluren seine Schlachten schlug. Aber je größer die Noth,
desto weniger war der ständische Partikularismus und Egoismus zu bewegen,
der Zentralgewalt eine eigene, von den Ständen unabhängige Lebenskraft zu
gönnen. Die eiserne Hand fehlte, die den ständischen Partikularismus nieder¬
schlug. Durch Blut und Eisen ist heute die deutsche Zentralgewalt stärker als je


der Konfliktszeit, wo die Hammerschläge der Parteiverblendung ohne Unterlaß
auf den Kriegsminister niederfielen, die er mit stoischer Ruhe in kriegerisch
eleganter Haltung über sich ergehen ließ, kam zuletzt der Abgeordnete Gneist
mit einem jener rhetorischen Meisterstücke, die nur auf einer ganz falschen
Würdigung der Sache beruhten. Gneist führte aus, wie öfters vorher und
öfters nachher, daß Leistungen wie die des preußischen Volkes für den Kriegs¬
dienst nur auf dem Gesetze beruhen, nur durch das Gesetz verändert werden
könnten. Weil der thatsächlich vollzogenen Reorganisation von Seiten der
Volksvertretung die gesetzliche Sanktion verweigert, die erste aber nicht rück¬
gängig gemacht wurde, so sprach der Redner von dem fremden Imperator, der
die Söhne eines eroberten Landes in das Joch des Kriegsdienstes nöthigt.
Der Kriegsminister, dem das Bewußtsein sagte, daß er Tag und Nacht an
dem werthvollsten und unentbehrlichen Rüstzeuge seines Vaterlandes Schmiede,
konnte hier eine Geberde des Erstaunens vor dem völlig Unverständlichen nicht
beherrschen. Später entriß ihm diese Rede das Wort: „Der Herr Abgeord¬
nete kann Alles beweisen, was er will." Ein anderes Wort Roon's aber ging
selbst den widerwilligsten Hörern und den verbündetsten Gegnern wie ein
Schrecken des Gewissens durch die Seele, freilich wie ein bald betäubter.
Bleich vor Zorn erhob er sich eines Tages und sprach mit einer Stimme, die
von Trauer und Unwillen halb erstickt klang: „Wenn die Ketten der Fremd¬
herrschaft im Lande rasseln, dann wird man begreifen, welches Rettungsmittel
hier muthwillig weggestoßen worden ist." Dieses Wort traf Manchen damals,
der die Mahnung sich nicht eingestehen wollte. Anderen klingt es bis an's
Ende des Lebens, und heute weniger als je darf dieses Wort vergessen werden,
denn der Bau des deutschen Reiches ist noch immer erst ein Nothbau, und
schon weigern sich die Bauleute der Weiterarbeit und meinen, die erst so schwach
gestützten Mauern dem Wind und Wetter preisgeben zu können, denen Deutsch¬
land's Staat von allen Seiten ausgesetzt bleibt, und die dieser Staat wie
kein anderer bestimmt ist, immer wieder auf sich zu ziehen.

Das alte deutsche Reich war, um sein Leben zu fristen, auf den „gemei¬
nen Pfennig" gestellt. Aller wirksamen Institutionen der ausführenden Gewalt
entbehrend, sollte es sich den gemeinen Pfennig erbetteln wie ein Almosen, das
ihm unregelmäßig und dürftig gespendet wurde. So schwand das Reich zum
Schatten zusammen. In seinen Grenzen theilte und herrschte das Ausland,
das auf unseren Fluren seine Schlachten schlug. Aber je größer die Noth,
desto weniger war der ständische Partikularismus und Egoismus zu bewegen,
der Zentralgewalt eine eigene, von den Ständen unabhängige Lebenskraft zu
gönnen. Die eiserne Hand fehlte, die den ständischen Partikularismus nieder¬
schlug. Durch Blut und Eisen ist heute die deutsche Zentralgewalt stärker als je


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[0415] der Konfliktszeit, wo die Hammerschläge der Parteiverblendung ohne Unterlaß auf den Kriegsminister niederfielen, die er mit stoischer Ruhe in kriegerisch eleganter Haltung über sich ergehen ließ, kam zuletzt der Abgeordnete Gneist mit einem jener rhetorischen Meisterstücke, die nur auf einer ganz falschen Würdigung der Sache beruhten. Gneist führte aus, wie öfters vorher und öfters nachher, daß Leistungen wie die des preußischen Volkes für den Kriegs¬ dienst nur auf dem Gesetze beruhen, nur durch das Gesetz verändert werden könnten. Weil der thatsächlich vollzogenen Reorganisation von Seiten der Volksvertretung die gesetzliche Sanktion verweigert, die erste aber nicht rück¬ gängig gemacht wurde, so sprach der Redner von dem fremden Imperator, der die Söhne eines eroberten Landes in das Joch des Kriegsdienstes nöthigt. Der Kriegsminister, dem das Bewußtsein sagte, daß er Tag und Nacht an dem werthvollsten und unentbehrlichen Rüstzeuge seines Vaterlandes Schmiede, konnte hier eine Geberde des Erstaunens vor dem völlig Unverständlichen nicht beherrschen. Später entriß ihm diese Rede das Wort: „Der Herr Abgeord¬ nete kann Alles beweisen, was er will." Ein anderes Wort Roon's aber ging selbst den widerwilligsten Hörern und den verbündetsten Gegnern wie ein Schrecken des Gewissens durch die Seele, freilich wie ein bald betäubter. Bleich vor Zorn erhob er sich eines Tages und sprach mit einer Stimme, die von Trauer und Unwillen halb erstickt klang: „Wenn die Ketten der Fremd¬ herrschaft im Lande rasseln, dann wird man begreifen, welches Rettungsmittel hier muthwillig weggestoßen worden ist." Dieses Wort traf Manchen damals, der die Mahnung sich nicht eingestehen wollte. Anderen klingt es bis an's Ende des Lebens, und heute weniger als je darf dieses Wort vergessen werden, denn der Bau des deutschen Reiches ist noch immer erst ein Nothbau, und schon weigern sich die Bauleute der Weiterarbeit und meinen, die erst so schwach gestützten Mauern dem Wind und Wetter preisgeben zu können, denen Deutsch¬ land's Staat von allen Seiten ausgesetzt bleibt, und die dieser Staat wie kein anderer bestimmt ist, immer wieder auf sich zu ziehen. Das alte deutsche Reich war, um sein Leben zu fristen, auf den „gemei¬ nen Pfennig" gestellt. Aller wirksamen Institutionen der ausführenden Gewalt entbehrend, sollte es sich den gemeinen Pfennig erbetteln wie ein Almosen, das ihm unregelmäßig und dürftig gespendet wurde. So schwand das Reich zum Schatten zusammen. In seinen Grenzen theilte und herrschte das Ausland, das auf unseren Fluren seine Schlachten schlug. Aber je größer die Noth, desto weniger war der ständische Partikularismus und Egoismus zu bewegen, der Zentralgewalt eine eigene, von den Ständen unabhängige Lebenskraft zu gönnen. Die eiserne Hand fehlte, die den ständischen Partikularismus nieder¬ schlug. Durch Blut und Eisen ist heute die deutsche Zentralgewalt stärker als je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/415>, abgerufen am 01.07.2024.