Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

dings nicht ab. Und doch soll er während seiner Lehrzeit in Düsseldorf auch
das Atelier Theodor Hildebrand's, des Malers der "Söhne Eduard's", besucht
haben, der, wie man aus seinen nachgelassenen Studien und Akten sieht, ein
ganz vortrefflicher Zeichner war.

Um das rechte Bein und den rechten Arm, der auf der Stirn des Mäd¬
chens ruht, ist ein grünlich gelber, ganz durchsichtiger Schleier gewunden, auf
dem goldene Lichter spielen. Das schöne von rothblonden Locken umwallte
Haupt ist zurückgesunken, das Auge in wollüstigen Schauer halb geschlossen,
und der Körper ganz der Wohlthat des kühlenden Elementes hingegeben. Die¬
jenigen, die in jedem Bilde Böcklin's einen humoristischen Zug finden wollen,
werden ihn in der Handbewegung der Nymphe suchen, die vielleicht beabsichtigt,
das verliebte Seeungeheuer mit Wasser zu bespritzen. Ueber die See, auf deren
Spiegel weißköpfige Wellen tanzen, ist ein düsterer Abendhimmel gespannt, der
nur hie und da von einer lichten Stelle unterbrochen ist. Himmel und Meer
werfen graue und bläuliche Reflexe auf den weißen Körper der Nereide.

In dieser Schilderung habe ich versucht, zugleich den koloristischen Werth
des Bildes anzudeuten. Das ungeheuere Raffinement, welches in der Gegen¬
überstellung so grundverschiedener, überdies in mehr als halber Menschengröße
ausgeführter Gestalten liegt, wird noch erhöht durch die malerischen Kontraste:
hier das bläulich angehauchte Weiß des menschlichen Körpers, dort das fahle
Gelbgrau des Thierleibes, und beide Kontraste wieder durch Blau und Grau,
durch Meer und Himmel, zu einer Art von Harmonie zusammengestimmt, die
auf naive Gemüther berauschend wirkt. In dieser raffinirten Absichtlichkeit des
Kontrastes liegt etwas ungemein Anstößiges und Frivoles, nicht in dem nackten
Körper der Nymphe, wiewohl auch dieser genug Aergerniß erregt hat. Die
Griechen und ihre würdigen Jünger, wie Carstens und Genelli, wußten solche
Fabelwesen durch eine naive Sinnlichkeit zu adeln und in eine andere Sphäre
zu erheben. Sobald aber in solche Elementargeister grobsinnliche, niedrige Ge¬
fühlsregungen hineingetragen werden, die an die niedrigsten Regionen mensch¬
lichen Sinnenlebens erinnern, ist der schärfste Protest im Namen der obersten
Kunstgesetze am Ort. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, dieses Bild für
die Nativnalgalerie zu erwerben. Aber eine hohe, einflußreiche Dame, welche
das Gemälde auf einer Berliner Ausstellung sah, sand es in solchem Grade
LuoelcivZ', daß der Ankauf unterblieb. Das Bild war auch in der deutscheu
Abtheilung der Pariser Weltausstellung zu sehen, fand aber von Seiten der
französischen Kritiker nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit. Vermuthlich nahmen
diese Herren an der nicht tadellosen Modellirung des weiblichen Körpers An¬
stoß. Soviel ich gesehen, hat sich nur der feinsinnige Kenner deutscher Malerei,
Paul Mantz, im "Temps" eingehender mit diesem "seltsamen Bilde" befaßt,


dings nicht ab. Und doch soll er während seiner Lehrzeit in Düsseldorf auch
das Atelier Theodor Hildebrand's, des Malers der „Söhne Eduard's", besucht
haben, der, wie man aus seinen nachgelassenen Studien und Akten sieht, ein
ganz vortrefflicher Zeichner war.

Um das rechte Bein und den rechten Arm, der auf der Stirn des Mäd¬
chens ruht, ist ein grünlich gelber, ganz durchsichtiger Schleier gewunden, auf
dem goldene Lichter spielen. Das schöne von rothblonden Locken umwallte
Haupt ist zurückgesunken, das Auge in wollüstigen Schauer halb geschlossen,
und der Körper ganz der Wohlthat des kühlenden Elementes hingegeben. Die¬
jenigen, die in jedem Bilde Böcklin's einen humoristischen Zug finden wollen,
werden ihn in der Handbewegung der Nymphe suchen, die vielleicht beabsichtigt,
das verliebte Seeungeheuer mit Wasser zu bespritzen. Ueber die See, auf deren
Spiegel weißköpfige Wellen tanzen, ist ein düsterer Abendhimmel gespannt, der
nur hie und da von einer lichten Stelle unterbrochen ist. Himmel und Meer
werfen graue und bläuliche Reflexe auf den weißen Körper der Nereide.

In dieser Schilderung habe ich versucht, zugleich den koloristischen Werth
des Bildes anzudeuten. Das ungeheuere Raffinement, welches in der Gegen¬
überstellung so grundverschiedener, überdies in mehr als halber Menschengröße
ausgeführter Gestalten liegt, wird noch erhöht durch die malerischen Kontraste:
hier das bläulich angehauchte Weiß des menschlichen Körpers, dort das fahle
Gelbgrau des Thierleibes, und beide Kontraste wieder durch Blau und Grau,
durch Meer und Himmel, zu einer Art von Harmonie zusammengestimmt, die
auf naive Gemüther berauschend wirkt. In dieser raffinirten Absichtlichkeit des
Kontrastes liegt etwas ungemein Anstößiges und Frivoles, nicht in dem nackten
Körper der Nymphe, wiewohl auch dieser genug Aergerniß erregt hat. Die
Griechen und ihre würdigen Jünger, wie Carstens und Genelli, wußten solche
Fabelwesen durch eine naive Sinnlichkeit zu adeln und in eine andere Sphäre
zu erheben. Sobald aber in solche Elementargeister grobsinnliche, niedrige Ge¬
fühlsregungen hineingetragen werden, die an die niedrigsten Regionen mensch¬
lichen Sinnenlebens erinnern, ist der schärfste Protest im Namen der obersten
Kunstgesetze am Ort. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, dieses Bild für
die Nativnalgalerie zu erwerben. Aber eine hohe, einflußreiche Dame, welche
das Gemälde auf einer Berliner Ausstellung sah, sand es in solchem Grade
LuoelcivZ', daß der Ankauf unterblieb. Das Bild war auch in der deutscheu
Abtheilung der Pariser Weltausstellung zu sehen, fand aber von Seiten der
französischen Kritiker nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit. Vermuthlich nahmen
diese Herren an der nicht tadellosen Modellirung des weiblichen Körpers An¬
stoß. Soviel ich gesehen, hat sich nur der feinsinnige Kenner deutscher Malerei,
Paul Mantz, im „Temps" eingehender mit diesem „seltsamen Bilde" befaßt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141814"/>
          <p xml:id="ID_1188" prev="#ID_1187"> dings nicht ab. Und doch soll er während seiner Lehrzeit in Düsseldorf auch<lb/>
das Atelier Theodor Hildebrand's, des Malers der &#x201E;Söhne Eduard's", besucht<lb/>
haben, der, wie man aus seinen nachgelassenen Studien und Akten sieht, ein<lb/>
ganz vortrefflicher Zeichner war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189"> Um das rechte Bein und den rechten Arm, der auf der Stirn des Mäd¬<lb/>
chens ruht, ist ein grünlich gelber, ganz durchsichtiger Schleier gewunden, auf<lb/>
dem goldene Lichter spielen. Das schöne von rothblonden Locken umwallte<lb/>
Haupt ist zurückgesunken, das Auge in wollüstigen Schauer halb geschlossen,<lb/>
und der Körper ganz der Wohlthat des kühlenden Elementes hingegeben. Die¬<lb/>
jenigen, die in jedem Bilde Böcklin's einen humoristischen Zug finden wollen,<lb/>
werden ihn in der Handbewegung der Nymphe suchen, die vielleicht beabsichtigt,<lb/>
das verliebte Seeungeheuer mit Wasser zu bespritzen. Ueber die See, auf deren<lb/>
Spiegel weißköpfige Wellen tanzen, ist ein düsterer Abendhimmel gespannt, der<lb/>
nur hie und da von einer lichten Stelle unterbrochen ist. Himmel und Meer<lb/>
werfen graue und bläuliche Reflexe auf den weißen Körper der Nereide.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190" next="#ID_1191"> In dieser Schilderung habe ich versucht, zugleich den koloristischen Werth<lb/>
des Bildes anzudeuten. Das ungeheuere Raffinement, welches in der Gegen¬<lb/>
überstellung so grundverschiedener, überdies in mehr als halber Menschengröße<lb/>
ausgeführter Gestalten liegt, wird noch erhöht durch die malerischen Kontraste:<lb/>
hier das bläulich angehauchte Weiß des menschlichen Körpers, dort das fahle<lb/>
Gelbgrau des Thierleibes, und beide Kontraste wieder durch Blau und Grau,<lb/>
durch Meer und Himmel, zu einer Art von Harmonie zusammengestimmt, die<lb/>
auf naive Gemüther berauschend wirkt. In dieser raffinirten Absichtlichkeit des<lb/>
Kontrastes liegt etwas ungemein Anstößiges und Frivoles, nicht in dem nackten<lb/>
Körper der Nymphe, wiewohl auch dieser genug Aergerniß erregt hat. Die<lb/>
Griechen und ihre würdigen Jünger, wie Carstens und Genelli, wußten solche<lb/>
Fabelwesen durch eine naive Sinnlichkeit zu adeln und in eine andere Sphäre<lb/>
zu erheben. Sobald aber in solche Elementargeister grobsinnliche, niedrige Ge¬<lb/>
fühlsregungen hineingetragen werden, die an die niedrigsten Regionen mensch¬<lb/>
lichen Sinnenlebens erinnern, ist der schärfste Protest im Namen der obersten<lb/>
Kunstgesetze am Ort. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, dieses Bild für<lb/>
die Nativnalgalerie zu erwerben. Aber eine hohe, einflußreiche Dame, welche<lb/>
das Gemälde auf einer Berliner Ausstellung sah, sand es in solchem Grade<lb/>
LuoelcivZ', daß der Ankauf unterblieb. Das Bild war auch in der deutscheu<lb/>
Abtheilung der Pariser Weltausstellung zu sehen, fand aber von Seiten der<lb/>
französischen Kritiker nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit. Vermuthlich nahmen<lb/>
diese Herren an der nicht tadellosen Modellirung des weiblichen Körpers An¬<lb/>
stoß. Soviel ich gesehen, hat sich nur der feinsinnige Kenner deutscher Malerei,<lb/>
Paul Mantz, im &#x201E;Temps" eingehender mit diesem &#x201E;seltsamen Bilde" befaßt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] dings nicht ab. Und doch soll er während seiner Lehrzeit in Düsseldorf auch das Atelier Theodor Hildebrand's, des Malers der „Söhne Eduard's", besucht haben, der, wie man aus seinen nachgelassenen Studien und Akten sieht, ein ganz vortrefflicher Zeichner war. Um das rechte Bein und den rechten Arm, der auf der Stirn des Mäd¬ chens ruht, ist ein grünlich gelber, ganz durchsichtiger Schleier gewunden, auf dem goldene Lichter spielen. Das schöne von rothblonden Locken umwallte Haupt ist zurückgesunken, das Auge in wollüstigen Schauer halb geschlossen, und der Körper ganz der Wohlthat des kühlenden Elementes hingegeben. Die¬ jenigen, die in jedem Bilde Böcklin's einen humoristischen Zug finden wollen, werden ihn in der Handbewegung der Nymphe suchen, die vielleicht beabsichtigt, das verliebte Seeungeheuer mit Wasser zu bespritzen. Ueber die See, auf deren Spiegel weißköpfige Wellen tanzen, ist ein düsterer Abendhimmel gespannt, der nur hie und da von einer lichten Stelle unterbrochen ist. Himmel und Meer werfen graue und bläuliche Reflexe auf den weißen Körper der Nereide. In dieser Schilderung habe ich versucht, zugleich den koloristischen Werth des Bildes anzudeuten. Das ungeheuere Raffinement, welches in der Gegen¬ überstellung so grundverschiedener, überdies in mehr als halber Menschengröße ausgeführter Gestalten liegt, wird noch erhöht durch die malerischen Kontraste: hier das bläulich angehauchte Weiß des menschlichen Körpers, dort das fahle Gelbgrau des Thierleibes, und beide Kontraste wieder durch Blau und Grau, durch Meer und Himmel, zu einer Art von Harmonie zusammengestimmt, die auf naive Gemüther berauschend wirkt. In dieser raffinirten Absichtlichkeit des Kontrastes liegt etwas ungemein Anstößiges und Frivoles, nicht in dem nackten Körper der Nymphe, wiewohl auch dieser genug Aergerniß erregt hat. Die Griechen und ihre würdigen Jünger, wie Carstens und Genelli, wußten solche Fabelwesen durch eine naive Sinnlichkeit zu adeln und in eine andere Sphäre zu erheben. Sobald aber in solche Elementargeister grobsinnliche, niedrige Ge¬ fühlsregungen hineingetragen werden, die an die niedrigsten Regionen mensch¬ lichen Sinnenlebens erinnern, ist der schärfste Protest im Namen der obersten Kunstgesetze am Ort. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, dieses Bild für die Nativnalgalerie zu erwerben. Aber eine hohe, einflußreiche Dame, welche das Gemälde auf einer Berliner Ausstellung sah, sand es in solchem Grade LuoelcivZ', daß der Ankauf unterblieb. Das Bild war auch in der deutscheu Abtheilung der Pariser Weltausstellung zu sehen, fand aber von Seiten der französischen Kritiker nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit. Vermuthlich nahmen diese Herren an der nicht tadellosen Modellirung des weiblichen Körpers An¬ stoß. Soviel ich gesehen, hat sich nur der feinsinnige Kenner deutscher Malerei, Paul Mantz, im „Temps" eingehender mit diesem „seltsamen Bilde" befaßt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/403>, abgerufen am 26.08.2024.